Rn 12

Erforderlich ist ein Mangel im Verfahren, nicht ein Mangel in der Rechtsfindung (›error in procedendo‹, nicht ›error in iudicando‹). Mängel in der Anwendung des materiellen Rechts können auch dann nicht zu einer Zurückverweisung führen, wenn es sich um besonders grobe Fehler handelt, die für die Sachprüfung vorgreiflich sind und die gebotene Sachaufklärung vollständig verhindern. Ein Verfahrensmangel liegt nicht nur in den absoluten Revisionsgründen (§ 547; gesetzlicher Richter: München GmbHR 17, 469), sondern in allen Fällen vor, in denen Verfahrensvorschriften verletzt werden, die das rechtliche Gehör der Parteien und die umfassende und sachgerechte Aufklärung des streitigen Sachverhalts gewährleisten sollen (Potsdam BauR 05, 1819; KG MDR 05, 1431 [KG Berlin 10.03.2005 - 8 U 122/04]; Musielak/Ball Rz 11 mwN). Wichtige Schwerpunkte bilden dabei die materielle Prozessleitungspflicht (§ 139), die Präklusionsmöglichkeit (§ 296) und die Beweisvorschriften (§§ 284 ff, 355 ff). Bejaht wird ein Verfahrensfehler va bei der Verletzung der richterlichen Hinweispflicht (Brandbg FamRZ 20, 941; Frankf NJW-RR 18, 799; Hamm FamRZ 16, 1289 und FamRZ 14, 1722), bei Entscheidung über nicht gestellte Anträge (Hamm FamRZ 16, 1289) oder ohne wiedereröffnete mündliche Verhandlung (Saarbr OLG Report 47/15 Nr. 4), unzureichender Sachaufklärung, mangelhafter Beweiserhebung und Beweiswürdigung (München MDR 15, 1294 [OLG München 04.09.2015 - 10 U 3814/14]; München Verkehrsrecht aktuell 10, 93; Bremen OLGR 09, 352). Praktisch wichtige Einzelfälle: Übergehen von Parteivortrag (BGH NZI 20, 520 [BGH 05.03.2020 - IX ZR 171/18]; Hamm NJW-RR 20, 979 [OLG Hamm 05.05.2020 - 9 U 1/20]; Kobl GesR 14, 610 [OLG Koblenz 30.04.2014 - 5 U 1504/13]), Verkennen des Parteibegehrs (Naumbg Urt v 21.11.13 – 1 U 28/13; Hamm OLG Report NRW 45/13 Anm 6; Kobl MedR 12, 400 [OLG Koblenz 14.07.2011 - 5 U 223/11]) oder des wesentlichen Kerns des Vorbringens (Köln NJW-RR 17, 217 [OLG Köln 10.11.2016 - 7 U 97/15]; zu den Grenzen BGH RdTW 18, 286), Unterlassen jeder Beweisaufnahme (Frankf NJW-RR 10, 1689; KG NJW-Spezial 10, 682 [KG Berlin 02.08.2010 - 12 U 49/10]), Nichtberücksichtigung von Beweisangeboten (BGH VersR 11, 1392 [BGH 20.07.2011 - IV ZR 291/10]; München RIW 14, 460; München Urt v 5.2.14 – 3 U 4256/13), Nichteinholung erforderlicher Gutachten (München Verkehrsrecht aktuell 16, 112 und NJW-Spezial 16, 362 [OLG München 24.03.2016 - 10 U 3730/14]; Kobl MDR 15, 1364 [OLG Koblenz 30.10.2015 - 10 U 227/15] und DWW 13, 61; aA aber BGH NJW-RR 10, 1048), Beauftragung eines Sachverständigen ohne die erforderliche Fachkunde (Celle BauR 17, 769), Entscheidung über die Ablehnung eines Sachverständigen erst im Urt (BGH JR 20, 382 m abl Anm Ahrens, 377), Nichtbeiziehung der Verkehrsunfallakten (Schlesw OLGR 08, 314), Verwendung eines Privatgutachtens anstelle eines erforderlichen gerichtlichen Gutachtens (Hambg OLGR Hambg 05, 216), unkritische Übernahme von Sachverständigenbewertungen (Frankf v 7.3.06 – 9 U 30/04), Nichtanhörung benannter Gegenzeugen (KG KGR 05, 479) Nichtanhörung (München Urt v 5.2.10 – 10 U 4091/09) oder Nichtvernehmung (Frankf ZIP 20, 1190) einer Partei, Verwertung der im Strafprozess gemachten Aussagen anstelle einer erneuten Vernehmung der Zeugen (Kobl OLGR 06, 106), Verstoß gegen die beweisrechtliche Unmittelbarkeit (§ 355; Naumbg MDR 14, 743; KG BauR 11, 297; Bremen OLGR 09, 352) unzulässige Schätzung nach § 287 (München Verkehrsrecht aktuell 10, 93), Nichtaufklärung ausländischen Rechts (München ZfSch 17, 151). Ein Verfahrensmangel liegt auch vor, wenn ohne besonderen Hinweis außergewöhnlich hohe Anforderungen an die Substantiierung gestellt werden (Hamm VersR 12, 316 [OLG München 22.09.2011 - 29 U 1360/11]), wenn eine Klageerwiderungsfrist ohne Belehrung nach § 277 II gesetzt wird (Frankf NJW-RR 11, 1001 [BGH 17.02.2011 - V ZB 205/10]), die Entscheidung auf eine nach Insolvenzeröffnung durchgeführte mündliche Verhandlung (Hamm Urt v. 12.1.17 – 5 U 21/16; Hamm MDR 11, 888) bzw unzulässig durch den Einzelrichter ergeht (Köln Urt v 16.5.12 – 11 U 154/11) Schließlich kann ein Verfahrensfehler darin liegen, dass das Urt nicht binnen 5 Monaten nach Verkündung schriftlich niedergelegt wurde (BGH NJW 11, 769) oder sich die Begründung der angefochtenen Entscheidung auf leere Redensarten oder die Wiedergabe des Gesetzestextes beschränkt oder erhebliche Lücken aufweist (Saarbr NJW-RR 19, 953 [BGH 30.04.2019 - VI ZB 48/18]). Nicht zur Zurückverweisung berechtigen das Erfordernis, den Parteien Gelegenheit zu weiterem Vortrag zu geben (weil dies auch dem Berufungsgericht gegenüber möglich ist), auch wenn hierdurch möglicherweise eine Beweisaufnahme erforderlich wird (BGH NJW-RR 13, 1013 [BGH 14.05.2013 - II ZR 76/12]; aA teilw Kobl NJW-RR 13, 528 [OLG Koblenz 14.11.2012 - 5 U 465/12] für den Fall eines unzureichenden Hinweises auf die mangelnde Subtanziierung des Klägervortrags); die verspätete Zustellung des Urteils (da dieser Fehler prozessual über ...

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