Entscheidungsstichwort (Thema)

Haftung der Eltern bei vom Kind verursachtem Fahrradunfall

 

Leitsatz (amtlich)

1. Werden in einem Verkehrsunfallprozess Kläger und Beklagter, die am Unfall unmittelbar beteiligt waren, im Rahmen von § 141 Abs. 1 und 2 ZPO persönlich angehört, so hat die Anhörung (jedenfalls dann) zwingend in Anwesenheit eines unfallanalytischen Sachverständigen zu erfolgen, wenn ohne unfallanalytische Sachkunde die Angaben weder auf Glaubhaftigkeit und technische Nachvollziehbarkeit überprüft oder verfeinert, noch sachgerechte ergänzende Fragen gestellt und weitere Anknüpfungspunkte oder geeigneter Sachvortrag gewonnen werden können.

2. Grundsätzlich kann und darf aus der Kenntnis der örtlichen Verhältnisse eine gesteigerte Sorgfaltspflicht abgeleitet werden. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass dem Betroffenen die sich aus den örtlichen Verhältnissen ergebende Gefahr bekannt und bewusst ist, was positiv festgestellt werden muss.

3. Ihrer in Bezug auf ihre Kinder bestehenden Aufsichtspflicht genügen Eltern im Straßenverkehr dann, wenn die Aufsicht, dem Alter und Leistungsvermögen des Kindes angepasst, gewährleistet, dass aufgrund des unberechenbaren und einem Erwachsenen noch nicht vergleichbaren, also kindestypischen Verhaltens entstehende Gefahren für den Straßenverkehr im Rahmen des Zumutbaren verhütet werden. Damit ist es nicht vereinbar, zunächst selbst eine nicht notwendige Gefahrenlage zu schaffen und ein erst sechsjähriges Kind ohne jegliche Unterweisung der Eigenverantwortung zu überlassen.

4. Bei der Annahme eines Mitverschuldens des Verletzten dürfen nur solche Umstände erfasst werden, die sich erwiesenermaßen auf den Unfall ausgewirkt, also als Gefahrenmoment in dem Unfall tatsächlich niedergeschlagen haben; diese Umstände müssen feststehen, also unstreitig, zugestanden oder nach § 286 ZPO bewiesen sein. Eine vollständige Überbürdung des Schadens auf einen der Beteiligten unter dem Gesichtspunkt des Mitverschuldens ist nur ausnahmsweise in Betracht zu ziehen.

 

Normenkette

BGB § 254 Abs. 1, § 832 Abs. 1; ZPO § 286 Abs. 1 S. 1, § 529 Abs. 1 Nr. 1, § 538 Abs. 1, 2 Nr. 1, § 538 Nr. 4; GG Art. 103 Abs. 1; GKG § 21 Abs. 1 S. 1

 

Verfahrensgang

LG Traunstein (Urteil vom 25.08.2014; Aktenzeichen 3 O 878/14)

 

Tenor

1. Auf die Berufung des Klägers vom 25.09.2014 wird das Endurteil des LG Traunstein vom 25.08.2014 (Az. 3 O 878/14) samt dem ihm zugrunde liegenden Verfahren aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LG Traunstein zurückverwiesen.

2. Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens bleibt dem LG Traunstein vorbehalten. Gerichtsgebühren für die Berufungsinstanz, sowie gerichtliche Gebühren und Auslagen, die durch das aufgehobene Urteil verursacht worden sind, werden nicht erhoben.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

Weiter ergeht gemäß §§ 63 II 1, 47 I 1, 40, 48 I 1 GKG, 3 ff. ZPO folgender

Beschluss:

Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 17.128,25 EUR festgesetzt.

 

Gründe

A. Der Kläger macht gegen den Beklagten Ansprüche auf Schadensersatz aus einem Unfall im Straßenverkehr geltend, wobei er ein verzinstes angemessenes Schmerzensgeld, mindestens jedoch 6.000,- EUR, verzinsten Erwerbsschaden von 6.128,15 EUR sowie die Feststellung verlangt, dass der Beklagte zum Ersatz jeglichen künftigen unfallbedingten materiellen und immateriellen Schadens verpflichtet sei.

Zugrunde liegt ein Sturz des Klägers am Sonntag, den 08.07.2012 gegen 17.45 Uhr, auf dem Radweg am S. in der Gemeinde A. Der Kläger war mit seinem Fahrrad GT Outport in Richtung H. unterwegs gewesen, als er wegen der in den Fahrradweg einfahrenden Tochter des Beklagten eine Notbremsung machen musste. Der Kläger macht erhebliche Verletzungen und Dauerschäden geltend, der Beklagte bestreitet eine Aufsichtspflichtverletzung für seine damals sechsjährige Tochter. Hinsichtlich des Parteivortrags und der tatsächlichen Feststellungen erster Instanz wird auf das angefochtene Urteil vom 25.08.2014 (Bl. 69/74 d.A.) Bezug genommen (§ 540 I 1 Nr. 1 ZPO).

Das LG Traunstein hat nach Beweisaufnahme die Klage vollständig abgewiesen (EU 1 = Bl. 69 d.A.), weil der Beklagte sich vom Vorwurf einer Aufsichtspflichtverletzung habe entlasten können (EU 4 = Bl. 72 d.A.). Hinsichtlich der Erwägungen des LG wird auf die Entscheidungsgründe (Bl. 72/74 d.A.) des angefochtenen Urteils verwiesen.

Gegen dieses ihm am 01.09.2014 zugestellte Urteil hat der Kläger mit beim Oberlandesgericht München am 25.09.2014 eingegangenen Schriftsatz vom gleichen Tag Berufung eingelegt (Bl. 84/88 d.A.) und diese gleichzeitig begründet.

Der Kläger beantragt, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils nach den Anträgen erster Instanz zu erkennen (BB 2 = Bl. 85 d.A.; EU 3 = Bl. 71 d.A.).

Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen (Bl. 116/117, 120/123 d.A.), wie sich seinen Stellungnahmen schlüssig entnehmen lässt.

Der Senat hat gemäß Beschluss vom 01.03.2016 mit Zustimmung der Partei...

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