Entscheidungsstichwort (Thema)

Rechtsfolgen eines Richterwechsels im Arzthaftungsprozess; rechtliches Gehör bei mehreren beklagten Ärzten mit unterschiedlichen Verantwortlichkeiten - Geburtsschaden

 

Leitsatz (amtlich)

1. Tritt ein Richterwechsel zwischen der Beweisaufnahme und dem Urteil ein, leidet das Verfahren an einem zur Aufhebung und Zurückverweisung führenden Mangel, falls wegen des fehlenden persönlichen Eindrucks auszuschließen ist, dass die neu hinzugetretenen Richter das Beweisergebnis sachgemäß gewürdigt haben. Eine Heilung des Verfahrensmangels nach § 295 ZPO scheidet im schriftlichen Verfahren nach § 128 Abs. 2 ZPO aus, wenn erst das schriftliche Urteil den Richterwechsel offenbart.

2. Im Arzthaftungsprozess ist ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG gegeben, wenn besondere Umstände deutlich machen, dass das Vorbringen der Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei der Entscheidung ersichtlich nicht erwogen worden ist. Bei einem komplexen Behandlungsgeschehen (hier: Geburtsleitung und postnatale Betreuung) mit mehreren beteiligten Ärzten ist es insbesondere erforderlich, die unterschiedlichen Verantwortlichkeiten und Verursachungsbeiträge differenziert zu prüfen und zu würdigen.

 

Normenkette

GG Art. 103 Abs. 1; ZPO §§ 128, 286, 295, 313, 355, 538; GKG § 21

 

Verfahrensgang

LG Trier (Urteil vom 18.11.2013; Aktenzeichen 4 O 273/08)

 

Tenor

1. Das Urteil des LG Trier vom 18.11.2013 wird aufgehoben und der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LG zurückverwiesen.

2. Für das Berufungsverfahren werden gerichtliche Kosten und Auslagen nicht erhoben. Im Übrigen bleibt die Entscheidung über die Kosten der Schlussentscheidung vorbehalten.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 750.000 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Der Kläger begehrt von den gesamtschuldnerisch in Anspruch genommenen Beklagten immateriellen Schadensersatz von zumindest 500.000 EUR sowie die Feststellung der materiellen Schadensersatzpflicht für Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft wegen einer behaupteten unzureichenden Schwangerschaftsbetreuung, einer fehlerhaften Geburtshilfe und postnatalen Versorgung in der Zeit von November 2003 bis Juli 2004.

Die Beklagte zu 1) ist Rechtsträgerin des Krankenhauses in dem der Kläger entbunden wurde. Die Beklagten zu 2) und 3) betreiben eine gynäkologische Praxis und sind Belegärzte am Krankenhaus der Beklagten zu 1), das nicht über ein Perinatalzentrum verfügt.

Der Beklagte zu 2) betreute die Mutter des Klägers in der Schwangerschaft. Ihm wirft der Kläger vor, seine Mutter trotz erkennbarer Geburtsrisiken nicht in ein Krankenhaus mit Perinatalzentrum überwiesen und weitere Untersuchungen unterlassen zu haben. Aufgrund der erhobenen Befunde habe der Beklagte zu 2) nicht davon ausgehen können, dass bei dem Kläger keine Mangelversorgung vorliege.

Der Beklagte zu 3) habe die Geburt grob fehlerhafter geleitet. Erforderliche Befunde seien nicht erhoben, engmaschige Kontrollen und diverse konservative Behandlungen seien unterlassen worden. Die Entscheidung zur Schnittentbindung sei verspätet getroffen und die zulässige Entwicklungszeit sei überschritten worden. Sofort nach der Geburt habe ein Pädiater hinzugezogen werden müssen.

Der Beklagten zu 1) sei vorzuwerfen, dass auf der Entbindungsstation kein Pädiater erreichbar gewesen sei. Die bei ihr angestellte Hebamme hätte den Geburtshelfer früher über die pathologischen Befunde unterrichten müssen. Sie hätte intravenös eine Glykose verabreichen oder eine Verlegung in die Kinderklinik veranlassen müssen.

Der Kläger behauptet, seine schwere Behinderung sei Folge der groben Behandlungsfehler, die vor, während und nach der Geburt vorgekommen seien. Die Dauerschäden bestimmten sein Leben in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.

Die Beklagten sind dem umfassend entgegengetreten. Sie bestreiten Organisations-, Befunderhebungs- und Behandlungsfehler, hilfsweise deren Einstufung als grob fehlerhaft sowie die Kausalität der behaupteten Fehler für den beklagten Gesundheitszustand. Letztlich sei auch der Kausalitätsgegenbeweis geführt.

Das LG hat nach der Einholung von gynäkologischen, neonatologischen und genetischen Sachverständigengutachten am 28.11.2012 die beauftragten Gutachter angehört und eine Zeugin vernommen. Die Beweisaufnahme wurde von den Richtern K., H. und R. durchgeführt.

Mit dem angefochtenen Urteil hat das LG durch die Richter K., S. und Sch. die Beklagten als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger verzinsten immateriellen Schadensersatz von 500.000 EUR zu leisten und die materielle Schadensersatzpflicht festgestellt. Es sieht die Behandlung des Klägers durch die Beklagten als grob fehlerhaft an. Aufgrund dessen sei der Kausalitätsbeweis geführt.

Hiergegen wenden sich die Beklagten mit ihren Berufungen, mit denen sie unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrages die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Abweisung der Klage, hilfsweise di...

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