Leitsatz (amtlich)

1. Über ihre Zahlungspflicht nach § 141n AFG entscheidet die Bundesanstalt für Arbeit gegenüber der Einzugsstelle durch Verwaltungsakt. Sie ist dabei an Feststellungen der Einzugsstelle über Beitragspflicht und Höhe der Beiträge grundsätzlich nicht gebunden (teilweise Aufgabe von BSG 1.3.1978 12 RAr 49/77 = SozR 4100 § 141n Nr 1).

2. Zum Verfahren über die Beitragsentrichtungspflicht der Bundesanstalt für Arbeit und über die Rücknahme solcher Entscheidungen sind die zuständigen Träger der Rentenversicherung notwendig beizuladen (insoweit Aufgabe von BSG 29.2.1984 10 RAr 14/82 = SozR 1500 § 75 Nr 51).

 

Normenkette

AFG § 141n; SGG § 75 Abs 2 Fassung: 1953-09-03; SGB 10 § 45

 

Verfahrensgang

LSG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 13.05.1983; Aktenzeichen L 6 Ar 79/82)

SG Speyer (Entscheidung vom 16.09.1982; Aktenzeichen S 1 Ar 261/81)

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit eines Bescheides der beklagten Bundesanstalt für Arbeit (BA), mit dem diese ihre Entscheidungen gegenüber der klagenden Allgemeinen Ortskrankenkasse (AOK) über die Entrichtung von rückständigen Beiträgen und Zinsen gemäß § 141n des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) zurückgenommen hat.

Mit dem streitigen Bescheid vom 26. Oktober 1981 nahm die Beklagte ihre Entscheidungen vom 24. November 1975 und 13. Februar 1976, mit denen sie Anträgen der Klägerin auf Entrichtung von rückständigen Sozialversicherungsbeiträgen und Zahlung von Verzugszinsen entsprochen hatte, zurück, weil die Voraussetzungen des § 141n AFG seinerzeit nicht erfüllt gewesen seien. Die Klage und die Berufung der Klägerin sind ohne Erfolg geblieben (Urteil des Sozialgerichts Speyer -SG- vom 16. September 1982; Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz -LSG- vom 13. Mai 1983).

Mit ihrer - von dem LSG zugelassenen - Revision rügt die Klägerin eine Verletzung der §§ 45 und 50 des Zehnten Buchs des Sozialgesetzbuches (SGB X).

Sie beantragt, das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 13. Mai 1983 sowie das Urteil des Sozialgerichts Speyer vom 16. September 1982 abzuändern und den Bescheid der Beklagten vom 26. (nicht 27. ) Oktober 1981 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung einverstanden (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Landessozialgericht, weil dieses die notwendige Beiladung nach § 75 Abs 2 SGG der zuständigen Rentenversicherungsträger unterlassen hat, was von Amts wegen zu beachten ist (SozR 1500 § 75 Nr 1), und die Beiladung gemäß § 168 SGG im Revisionsverfahren unzulässig ist.

Eine Entscheidung darüber, ob die Beklagte ihre seinerzeitigen Entscheidungen zurücknehmen darf, betrifft ua auch die entrichteten Beiträge zur Rentenversicherung der Beschäftigten, die die Klägerin in ihrer Eigenschaft als Einzugsstelle zwar einzieht, dabei aber nur treuhänderisch tätig wird und die für die Rentenversicherungsträger eingezogenen Beiträge gemäß § 1433 Abs 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) - § 155 Abs 1 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) - unverzüglich an diese abzuführen hat (BSG, Urteil vom 25. April 1984 - 8 RK 30/83 - zur Veröffentlichung bestimmt). Bezüglich der von der Beklagten nach § 141n AFG entrichteten Beiträge gilt nichts anderes, denn die Zahlungen der Beklagten sollen der Einzugsstelle die Mittel zufließen lassen, die - während des Konkursausfallgeld (Kaug)- Zeitraumes - vom Arbeitgeber hätten entrichtet werden müssen. Hätte die Beklagte also zu Unrecht Beiträge entrichtet, so hätten die Rentenversicherungsträger und auch die Beklagte als Träger der Arbeitslosenversicherung die an sie abgeführten Beiträge ohne Rechtsgrund erhalten. Die Rentenversicherungsträger müßten also - sei es gemäß § 26 des Vierten Buchs des Sozialgesetzbuches (SGB IV), sei es nach § 50 SGB X - diese Beiträge erstatten, soweit dem nicht bestimmte Gründe, wie etwa Verjährung, Verwirkung oder erbrachte Leistungen iS von § 26 Abs 1 Satz 1 2. Satzteil SGB IV, entgegenstehen oder eine Rücknahme der früheren Entscheidungen nach § 45 SGB X unzulässig wäre.

Die Frage, ob die Träger der Rentenversicherung auch dann notwendig beizuladen wären, wenn über den Antrag der Einzugsstelle nach § 141n AFG nicht durch einen der Bindung fähigen Verwaltungsakt, sondern durch schlichtes Verwaltungshandeln der Beklagten mit der Folge entschieden würde, daß bei einer Fehlbewilligung ein Verwaltungsakt nicht zurückzunehmen wäre, kann dahingestellt bleiben. Die Entscheidung darüber, ob rückständige Beiträge nach § 141n AFG von der Beklagten an die Einzugsstelle zu entrichten sind, betrifft die Beklagte nämlich durch einen Verwaltungsakt. Der Senat folgt insoweit weiterhin der Rechtsauffassung des seinerzeit zuständigen 12. Senats des Bundessozialgerichts -BSG- (Urteil vom 1. März 1978 - SozR 4100 § 141n Nr 1 -). § 141n AFG begründet einen Anspruch der Einzugsstelle gegen die Beklagte (BA), dessen Inhalt und Umfang allerdings durch rückständige Sozialversicherungsbeiträge für die Beschäftigten eines insolventen Arbeitgebers bestimmt wird. Allein aus der Tatsache, daß sich zwei Versicherungsträger (Behörden) als grundsätzlich gleichrangige Beteiligte eines gesetzlichen Schuldverhältnisses gegenüberstehen, folgt nicht, daß zwischen ihnen kein Verwaltungsakt ergehen kann. Aus der Gestaltung des Anspruchs in § 141n AFG ergibt sich vielmehr, daß der Beklagten insoweit eine Regelungsbefugnis übertragen worden ist. Im Rahmen eines öffentlich-rechtlichen Schuldverhältnisses ist eine Regelung im Einzelfall darüber zu treffen, ob eine Leistungspflicht der Beklagten gegenüber der jeweils zuständigen Einzugsstelle besteht. Sie hat hierüber in gleicher Weise zu entscheiden wie über andere von ihr zu erfüllende Leistungsansprüche. Das geht auch daraus hervor, daß ua § 141e AFG entsprechend gilt, dh die Einzugsstelle die Entrichtung der rückständigen Beiträge bei der Beklagten zu beantragen hat und dabei ebenso wie die Kaug-berechtigten Arbeitnehmer an die dort bestimmten Antragsfristen gebunden ist. Es handelt sich also hier zwischen den beteiligten Verwaltungsträgern um ein Rechtsverhältnis, das dem zwischen Verwaltung und Betroffenen vergleichbar ist (so der 12. Senat des BSG aaO mwN).

Die von der Beklagten mit einem Verwaltungsakt zu treffende Entscheidung über ihre Beitragsentrichtungspflicht erfaßt alle Anspruchsvoraussetzungen. Sie ist dabei nicht an Feststellungen der Einzugsstelle über Versicherungspflicht, Beitragshöhe und Zahlungspflicht gebunden. Insoweit vermag der Senat an der von dem 12. Senat des BSG (aaO) vertretenen Rechtsauffassung nicht mehr festzuhalten. Es kann dahingestellt bleiben, ob etwas anderes zu gelten hat, wenn die Einzugsstelle gegenüber dem an dem Rentenversicherungsverhältnis Beteiligten bindend oder gar rechtskräftig im Rahmen ihrer gesetzlichen Zuständigkeit als Einzugsstelle solche Entscheidungen getroffen hatte, bevor sie den Antrag nach § 141n AFG stellt, was allerdings nach der Natur der Sache kaum je der Fall sein wird und wofür auch hier keinerlei Anhaltspunkte vorliegen. Aus der Rechtsstellung der Einzugsstelle, wonach ihre Entscheidung über Versicherungs- und Beitragspflicht auch für Renten- und Arbeitslosenversicherungsträger wirkt (BSGE 15, 118, 124), läßt sich nicht herleiten, daß gegenüber der BA als Trägerin der Konkursausfallversicherung in bezug auf den Anspruch nach § 141n AFG die Einzugsstelle mit der Antragstellung für die Beklagte bindend über diese Tatbestände entscheidet. Im Unterschied zu den Beitragsansprüchen der Renten-, Kranken- und Arbeitslosenversicherungsträger, bei denen der Einzugsstelle die alleinige und umfassende Regelungsbefugnis übertragen ist, hat über den Anspruch nach § 141n AFG die BA gegenüber der Einzugsstelle die Regelungsbefugnis. Versicherungspflicht sowie Beitragspflicht und -höhe sind Tatbestandsmerkmale des Anspruchs aus § 141n AFG ebenso wie die konkursrechtlichen anspruchsbegründenden Tatsachen. Eine gespaltene Regelungsbefugnis der Einzugsstelle und der BA jeweils für einen Teil der Tatbestandsvoraussetzungen müßte dazu führen, daß sie jeweils über die in ihre Zuständigkeit fallenden Tatbestände Verwaltungsakte zu erlassen hätten, die nachprüfbar sein müßten, dh gegenseitig angefochten werden könnten. Ein solches Verfahren wäre nicht sinnvoll. Es ist auch vom Gesetzgeber nicht gewollt, denn er schreibt der Einzugsstelle in § 141n Abs 1 Satz 2 AFG vor, sie habe der BA die Beiträge nachzuweisen. Er legt ihr also in ihrer Rolle als Antragsteller eine bestimmte Mitwirkungspflicht auf. Hätte die Einzugsstelle der BA gegenüber durch Verwaltungsakt über Versicherungspflicht und Beitragshöhe zu entscheiden, bedürfte es nicht des in § 141n AFG ausdrücklich vorgeschriebenen "Nachweises" der Beiträge.

Der Anspruch aus § 141n AFG läßt den eigentlichen Beitragsanspruch gegen den Beitragsschuldner zwar unberührt. Die BA erfüllt nicht etwa für den Schuldner. Sie tritt allenfalls iS eines "gesetzlichen Schuldbeitritts" neben den Schuldner (so Heuer in Hennig/Kühl/Heuer, Arbeitsförderungsgesetz, Stand Oktober 1984 § 141n Anm 2a), jedoch mit einer eigenständigen Schuldverpflichtung, die allerdings durch Erfüllung seitens des Beitragsschuldners gemindert würde - ggf auch ganz entfiele - weil dann keine Beiträge mehr rückständig sind. Die Leistung seitens der BA befreit den Beitragsschuldner jedoch nicht. Die gegen ihn gerichtete Forderung ging bis zum Inkrafttreten des 5. AFG-ÄndG vom 23. Juli 1979 (BGBl I 1189) am 1. August 1979 gemäß § 141n, letzter Satz AFG aF iVm § 141m AFG mit der Antragstellung auf die Beklagte über, seitdem verbleibt sie bei der Einzugsstelle (§ 141n Abs 2 AFG nF), die für ihre Beitreibung zu sorgen und soweit Zahlungen geleistet worden sind, die nach § 141n Abs 1 Satz 1 AFG entrichteten Beiträge zu erstatten hat.

Aus dieser umfassenden Regelungsbefugnis der BA folgt das unmittelbare Betroffensein der Rentenversicherungsträger. Die Entscheidung der BA, ob sie nach § 141n AFG rückständige Beiträge zu entrichten hat und gegebenenfalls in welcher Höhe, betrifft die Rentenversicherungsträger, an welche die auf die Rentenversicherung entfallenden Teile der Leistung abzuführen sind, in gleicher Weise wie die Entscheidungen der Einzugsstelle gegenüber den Beitragspflichtigen (BSGE 15, 118, 124), so daß auch hier die zuständigen Rentenversicherungsträger beizuladen sind. Die Tatsache, daß die Beitragsforderung gegenüber dem eigentlichen Beitragsschuldner bestehen bleibt, dh die Einzugsstelle (früher die BA) die Forderung gegen ihn geltend zu machen hat, steht dem nicht entgegen. Denn vom Beitragsschuldner geleistete Zahlungen sind an die BA "zu erstatten". Die Rentenversicherungsträger werden also durch die Leistung nach § 141n AFG endgültig befriedigt; ebenso wie die Träger der Krankenversicherung und die BA als Trägerin der Arbeitslosenversicherung, die jedoch bereits am Verfahren beteiligt sind. Sowohl die positive als auch die negative Entscheidung der BA über den Antrag der Einzugsstelle wirkt unmittelbar für und gegen die Beitragsgläubiger. Der Senat hält daher an seiner Entscheidung vom 29. Februar 1984 - 10 RAr 14/82 - insoweit nicht mehr fest. Durch die Rücknahme eines Bewilligungsbescheides der BA werden die Beitragsgläubiger aber in gleicher Weise unmittelbar betroffen wie durch die Ablehnung der Bewilligung.

Eine Zurückverweisung zum Zweck der Beiladung der Rentenversicherungsträger erübrigt sich auch nicht etwa deshalb, weil eine Sachentscheidung aus formellen Gründen gar nicht ergehen könnte. Das LSG hat - was auch noch im Revisionsverfahren zu prüfen ist - die vom SG nicht zugelassene Berufung zutreffend als zulässig erachtet (vgl dazu das zur Veröffentlichung bestimmte Urteil des erkennenden Senats vom 14. August 1984 - 10 RAr 18/83 -).

Nach erfolgter Beiladung wird das LSG somit erneut zu prüfen haben, ob die Beklagte berechtigt war, ihre damaligen Bewilligungsentscheidungen nach den nunmehr anzuwendenden Vorschriften des SGB X zurückzunehmen und dabei wohl auch untersuchen müssen, in welcher Weise im Rahmen des § 45 SGB X eine Interessenabwägung zu erfolgen hat und inwieweit unter Versicherungsträgern ein schutzwürdiges Vertrauen besteht.

Im übrigen wird auf das Urteil des 11. Senats des BSG vom 25. Oktober 1984 - 11 RA 24/84 - (zur Frage der Ermessensausübung bei Rücknahme eines begünstigenden Verwaltungsaktes), sowie auf das Urteil des 7. Senats des BSG vom 15. November 1984 - 7 RAr 69/83 - (zur Frage des Beginns der Frist des § 45 Abs 4 SGB X) hingewiesen.

Das LSG wird auch über die Erstattung der Kosten für das Revisionsverfahren zu entscheiden haben.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1660557

ZIP 1985, 696

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