Leitsatz (amtlich)

Die einjährige Ausschlußfrist für die rückwirkende Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes nach § 45 Abs 4 S 2 SGB 10 beginnt frühestens mit dem Inkrafttreten des SGB 10 am 1.1.1981.

 

Normenkette

SGB 10 § 45 Abs 4 S 2 Fassung: 1980-08-18; SGB 10 Art 2 § 37 Abs 2 Fassung: 1980-08-18, § 40 Abs 1 Fassung: 1980-08-18; VwVfG § 48 Abs 4 S 1, § 96 Abs 3

 

Verfahrensgang

LSG Rheinland-Pfalz (Entscheidung vom 13.05.1983; Aktenzeichen L 6 Ar 89/82)

SG Mainz (Entscheidung vom 08.11.1982; Aktenzeichen S 1 Ar 79/82)

 

Tatbestand

Die Klägerin wendet sich gegen eine Rückforderung von 12.440,85 DM.

Die Klägerin beantragte 1975 bei der Beklagten die Gewährung eines Investitionskostenzuschusses für die Anschaffung eines Winterbauzeltes nebst Zubehör. Zu den von der Klägerin nachgewiesenen Gesamtkosten von 91.148,23 DM bewilligte ihr die Beklagte gem § 77 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) Investitionskostenzuschüsse in Höhe von insgesamt 51.134,69 DM (Bescheide vom 1. März 1975 und 2. April 1975). Im Januar 1979 erfuhr die Beklagte durch eine Mitteilung des zuständigen Finanzamtes, daß der Klägerin vom Verkäufer des Zeltes (Fa.P GmbH; P) vereinbarungsgemäß ein verdeckter Preisnachlaß gewährt worden ist, der insgesamt 21.176,21 DM betrug. Der Nachlaß war, als Provision deklariert, der Schwiegermutter des Geschäftsführers in Form eines Schecks übersandt und dem Konto der Ehefrau des Geschäftsführers gutgeschrieben worden.

Nach Anhörung der Klägerin hob die Beklagte mit Bescheid vom 12. März 1981 ihre Bewilligungsbescheide vom 1. März 1975 und 2. April 1975 in Höhe eines Teilbetrages von 12.440,85 DM auf und forderte diesen Betrag von der Klägerin zurück. Es handelte sich um den Teil des bewilligten und ausbezahlten Investitionskostenzuschusses, der auf den um den verdeckten Preisnachlaß überhöhten Kaufpreis des Winterbauzeltes entfiel.

Widerspruch, Klage und zugelassene Berufung der Klägerin sind erfolglos geblieben (Widerspruchsbescheid vom 15. April 1982; Urteil des Sozialgerichts -SG- Mainz vom 8. November 1982; Urteil des Landessozialgerichts -LSG- Rheinland-Pfalz vom 13. Mai 1983). Das LSG hat zur Begründung ausgeführt:

Die Beklagte fordere zu Recht von der Klägerin 12.440,85 DM. Es handele sich dabei um den auch der Höhe nach zutreffend errechneten Teil der Investitionskostenzuschüsse, den die Beklagte wegen der unzutreffenden Angaben der Klägerin über den Kaufpreis des Winterbauzeltes nebst Zubehör zu Unrecht gezahlt habe. Die Beklagte habe deshalb in diesem Umfange ihre früheren Bewilligungsbescheide zurücknehmen und die entsprechende Erstattung von der Klägerin verlangen dürfen, wie sich aus § 45 Abs 2 Satz 3 Nrn 1 und 2 und aus § 50 Abs 1 des Sozialgesetzbuches - Zehntes Buch - (SGB 10) vom 18. August 1980 (BGBl I 1469) ergebe.

Der im vorliegenden Fall rückwirkenden Rücknahme stehe nicht die Ausschlußfrist von einem Jahr seit Kenntnis der zur Rücknahme berechtigenden Tatsachen iSd § 45 Abs 4 Satz 2 SGB 10 entgegen; denn diese Frist sei bei Erlaß des Bescheides vom 12. März 1981 noch nicht abgelaufen gewesen, weil sie erst mit dem Inkrafttreten des SGB 10 am 1. Januar 1981 begonnen habe. Weder aus dem Wortlaut noch aus dem Sinn der einschlägigen Vorschriften des SGB 10 ergäbe sich, daß die Ausschlußfrist des § 45 Abs 4 Satz 2 SGB 10 eine in die Vergangenheit reichende Wirkung besitze; das LSG führt dies des Näheren aus. Dafür, daß die Beklagte ihre Rechte auf Rücknahme und Rückforderung verwirkt habe, seien keine Anhaltspunkte erkennbar; dies werde auch von der Klägerin selbst weder behauptet noch dargelegt.

Die Klägerin rügt mit der Revision eine Verletzung von Art I §§ 45, 50, Art II §§ 37, 40 SGB 10. Sie führt dazu insbesondere aus: Die Jahresfrist des § 45 Abs 4 SGB 10 räume der Verwaltung ein Jahr Zeit zum Handeln ein, um fehlerhafte begünstigende Verwaltungsakte in die Vergangenheit hinein zu korrigieren. Schon nach dem Wortlaut der Vorschrift knüpfe der Fristbeginn an die Kenntnis der dafür maßgeblichen Tatsachen an. Auf das Inkrafttreten des SGB 10 komme es nicht an, wie sich auch aus Art II § 40 Abs 2 SGB 10 ergebe; der Lauf der Jahresfrist beginne mit der fristungebundenen Kenntnis der die Rücknahme rechtfertigenden Tatsachen. Daran ändere es nichts, daß das SGB 10 insoweit eine Einschränkung des Rücknahmerechts gegenüber dem früheren Rechtszustand beinhalte. Im übrigen sei das Rücknahmerecht der Beklagten verwirkt; sie habe schon seit Januar 1979 Kenntnis von dem der Klägerin gewährten Preisnachlaß gehabt und durch langes Nichthandeln bei der Klägerin das berechtigte Vertrauen erweckt, sie werde von der Rücknahme der begünstigenden Verwaltungsakte absehen.

Die Klägerin beantragt, das angefochtene Urteil, das Urteil des SG Mainz vom 8. November 1982 und den Bescheid der Beklagten vom 12. März 1981 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. April 1982 aufzuheben sowie der Beklagten die Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen, hilfsweise, die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.

Die Beklagte beantragt, die Revision der Klägerin zurückzuweisen.

Zur Begründung macht sie sich die Gründe des Berufungsurteils zu eigen und führt ergänzend aus: Für den Fall, daß das Recht zur rückwirkenden Aufhebung von Verwaltungsakten nach dem vor dem 1. Januar 1981 geltenden Recht einer Verjährung unterlegen habe, sei das Bundessozialgericht (BSG) bei unerlaubten Handlungen von einer Dreijahresfrist seit deren Kenntnis ausgegangen, analog § 852 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB). Eine derartige Frist wäre aber nach der Regelung in Art II § 37 Abs 2 SGB 10 zu beachten und im vorliegenden Falle eingehalten.

Beide Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Klägerin ist nicht begründet.

Nach den Feststellungen des LSG, die die Klägerin nicht angegriffen hat (§ 163 SGG), hat sie im Zusammenhang mit der Beantragung von Investitionskostenzuschüssen im Januar 1975 zumindest grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtige Angaben gemacht, nämlich hinsichtlich der Höhe des von ihr zu zahlenden Kaufpreises für das zu fördernde Winterbaugerät. Hierauf beruht es, daß die Beklagte der Klägerin insgesamt 12.440,85 DM Zuschüsse zuviel bewilligt und ausbezahlt hat. Somit sind die Voraussetzungen für die entsprechende Rücknahme dieser Bewilligungen und für die Rückforderung der zu Unrecht erbrachten Leistungen gem Art I §§ 45 Abs 2 Satz 3 Nr 2, 50 Abs 1 SGB 10 erfüllt, wie das LSG zutreffend erkannt hat. Diese Vorschriften gelten ungeachtet des Umstandes, daß die streitige Rücknahme Verwaltungsakte betrifft, die schon vor Inkrafttreten des SGB 10 (1. Januar 1981, Art II § 40 Abs 1 SGB 10) erlassen worden sind; denn nach Art II § 40 Abs 2 Sätze 1 und 2 SGB 10 ist ua auch Art I § 45 SGB 10 anzuwenden, wenn - wie hier - nach dem 31. Dezember 1980 ein Verwaltungsakt aufgehoben wird, der vor dem 1. Januar 1981 erlassen worden ist. Die Ausnahme in Satz 3 aaO, wonach bestandskräftige Verwaltungsakte, die auch nach § 1744 der Reichsversicherungsordnung (RVO) aF nicht mehr überprüft werden konnten, in jedem Falle unberührt bleiben, ist hier ohne Bedeutung; denn auf Bewilligungen nach dem AFG fand § 1744 RVO aF keine Anwendung, ebensowenig unterlagen sie einem vergleichbaren Bestandsschutz (vgl § 151 AFG idF vor dem 1. Januar 1981). Angesichts der festgestellten Falschangaben der Klägerin wären im übrigen auch die Voraussetzungen für eine neue Prüfung der Bewilligungsbescheide nach den Grundsätzen des § 1744 RVO aF (vgl dort insbesondere Abs 1 Nr 4) vorhanden gewesen.

Die Klägerin, die die festgestellten tatsächlichen Vorgänge nicht in Abrede stellt, kann sich nicht darauf berufen, das Rücknahmerecht der Beklagten sei nach § 45 Abs 4 Satz 2 SGB 10 ausgeschlossen oder aus anderen Gründen verwirkt.

Nach § 45 Abs 4 Satz 2 SGB 10 muß die Behörde innerhalb eines Jahres seit Kenntnis der die Rücknahme für die Vergangenheit rechtfertigenden Tatsachen (iSd Abs 2 Satz 3 oder Abs 3 Satz 2) die Rücknahme verwirklichen. Es handelt sich hierbei um eine der Regelung des § 48 Abs 4 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG) nachgebildete Ausschlußfrist (vgl die Motive zum SGB 10, BT-Drucks 8/2034, Zu § 43 Abs 4; ferner Hauck/Haines, Komm z SGB X 1, 2, Stand: September 1984, RdNr 31 zu § 45; Komm z Recht der gesetzlichen Rentenversicherung, herausgegeben vom Verband Deutscher Rentenversicherungsträger - Verbandskommentar - SGB X Stand: Juli 1983, RdNr 27 zu § 45; für § 48 Abs 4 VwVfG: Kopp, Komm z VwVfG, 3. Aufl, RdNrn 94ff zu § 48; Stelkens/Bonk/Leonhardt, Komm z VwVfG, 2. Aufl, RdNr 48a zu § 48; Meyer/Borgs, Komm z VwVfG, 2. Aufl, RdNr 70 zu § 48; BVerwGE 66, 61, 63).

Die Beklagte hat diese Frist mit ihrem Rücknahmebescheid vom 12. März 1981 nicht versäumt; denn die Ausschlußfrist nach § 45 Abs 4 Satz 2 SGB 10 beginnt frühestens am 1. Januar 1981, dem Tage des Inkrafttretens dieser Regelung des SGB 10 (Art II § 40 Abs 1 SGB 10). Dies folgt sowohl aus dem Zusammenhang der gesetzlichen Vorschriften als auch aus Sinn und Zweck dieser Bestimmung.

Obwohl bei Inkrafttreten des SGB 10 (1. Januar 1981) bereits laufende Verfahren nach den neuen Vorschriften zu Ende zu führen sind (Art II § 37 Abs 1 SGB 10), wird für Fristen, deren Lauf zuvor begonnen hat, angeordnet, daß sich ihre Berechnung nach den bisherigen Rechtsvorschriften richtet (Art II § 37 Abs 2 SGB 10). Das gilt ua für die Frist, in der ein Erstattungsanspruch wegen zu Unrecht erbrachter Leistungen gem § 50 SGB 10 verjährt. Ebenso wie in § 96 Abs 3 VwVfG für das VwVfG ist hier also der Wille des Gesetzgebers ausgedrückt, daß Neuregelungen des SGB 10 in Bezug auf für das Verwaltungsverfahren geltende Fristen keine Wirkung auf die schon vor dem Inkrafttreten des Gesetzes begonnenen Fristen haben soll. Diese Absicht verdient um so mehr Beachtung, als der Gesetzgeber bei den früher erlassenen Büchern des SGB anders verfahren ist. So wurde in Art II § 17 des Sozialgesetzbuches - Allgemeiner Teil - (SGB 1) angeordnet, daß die neuen Verjährungsregeln des Art I § 45 SGB 1 für Ansprüche auf Sozialleistungen auch für nach altem Recht noch nicht verjährte Ansprüche gelten; entsprechendes wurde in Art II § 15 des Sozialgesetzbuches - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung - (SGB 4) für die Verjährung von Beitrags- und Beitragserstattungsansprüchen angeordnet. Aus Fristablauf folgende Leistungshemmnisse sollen sich hier nach dem jeweils neuen Recht richten. Wenn der Gesetzgeber des SGB 10 für nach altem Recht vorhandene Fristen ausdrücklich das Gegenteil bestimmt hat, spricht dies bereits dafür, daß auch durch das SGB 10 neu geschaffene verfahrenshemmende Fristen nicht in die Vergangenheit zurückreichen sollten.

Das Recht zur rückwirkenden Aufhebung eines begünstigenden Verwaltungsaktes unterlag nach dem AFG idF vor dem 1. Januar 1981 (aF) allerdings keiner Ausschlußfrist. Gegenüber dem grundsätzlich uneingeschränkten Aufhebungsrecht nach § 151 AFG aF konnte sich der Betroffene allenfalls auf Verwirkung berufen; der Rückforderungsanspruch als solcher (§ 152 AFG aF) unterlag einer vierjährigen Verjährung (§ 222 AFG aF). Letztere Frist war bei Erlaß des angefochtenen Rücknahme- und Rückforderungsbescheides vom 12. März 1981 ebensowenig abgelaufen, wie eine von der Beklagten in Analogie zu § 852 BGB erwogene dreijährige Verjährungsfrist nach Kenntnis von der unerlaubten Handlung des Leistungsempfängers, selbst wenn diese Kenntnis schon für den von der Klägerin angenommenen Zeitpunkt (10. Januar 1979) gelten sollte. Weil aber dem Art II § 37 Abs 2 SGB 10 der Gedanke der Rechtssicherheit zugrundeliegt (vgl die Motive zu der gleichlautenden Vorschrift des § 96 Abs 3 VwVfG, BT-Drucks 7/910, Begründung zu § 91 Abs 3: "Die Vorschrift dient der Rechtssicherheit"), kann nicht davon ausgegangen werden, die Regelung bestimme zwar für nach altem Recht vorhandene Fristen deren Weitergeltung, ordne jedoch für neu eingeführte Fristen ohne Rücksicht auf dadurch eintretende Rechtsbeeinträchtigungen oder gar Rechtsverluste deren Rückwirkung an. Rechtssicherheit in bezug hierauf kann vielmehr nur bedeuten, den bisherigen Rechtszustand unangetastet zu lassen und auf vorhandene Sachverhalte Auswirkungen aus dem neuen Recht erst mit dessen Inkrafttreten entstehen zu lassen. Dem Gesetzgeber kann jedenfalls schon angesichts der Regelung in Art II § 37 Abs 2 SGB 10 nicht unterstellt werden, er habe die Rechte der Verwaltung aus § 45 Abs 4 SGB 10 bei am 1. Januar 1981 länger als ein Jahr zurückliegender Kenntnis von einem Rücknahmetatbestand ersatzlos beseitigen wollen, obwohl die einzelne Behörde, wie im vorliegenden Falle die Beklagte, am 31. Dezember 1980 - und ohne das SGB 10 auch noch länger - ein derartiges Recht noch unbeeinträchtigt von gesetzlichen Verjährungsfristen hätte wahrnehmen können.

Die somit bereits aus dem Text des SGB 10 ableitbare Folgerung, daß die Ausschlußfrist des § 45 Abs 4 SGB 10 erst am 1. Januar 1981 zu laufen begonnen hat, deckt sich schließlich mit deren Zweck. Wenn hierdurch die Verwaltung im Interesse schutzwürdigen Vertrauens und der Rechtssicherheit gehalten ist, innerhalb eines Jahres nach Kenntnis des zur rückwirkenden Rücknahme berechtigenden Sachverhalts tätig zu werden (vgl dazu die Motive zu § 43 des Entwurfs eines SGB 10, BT-Drucks 8/2034 und BT-Drucks 8/4022), kann ihr ein solches Verhalten nicht schon vor der Geltung einer derartigen Frist angesonnen werden. Der Senat folgt deshalb sowohl der zu § 45 Abs 4 Satz 2 SGB 10 als auch der zu der gleichlautenden Regelung des § 48 Abs 4 Satz 1 VwVfG nahezu einhellig vertretenen Auffassung, daß die einjährige Ausschlußfrist für das Tätigwerden der Behörde erst mit dem Inkrafttreten des Gesetzes zu laufen begonnen hat (vgl zu § 45 Abs 4 SGB 10: Verbandskommentar, aaO, RdNr 27 zu § 45; Neumann-Duesberg in BKK 1981, 6, 19; wohl auch Hauck/Haines, aaO, RdNr 31 zu § 45; nicht eindeutig: Schroeder-Printzen ua, Komm z SGB 10 Anm 2 zu § 37 Art II. Zu § 48 Abs 4 VwVfG: Kopp, aaO, RdNr 6 zu § 96; Meyer/ Borgs, aaO, RdNr 70 zu § 48; Stelkens/Bonk/Leonhardt, aaO, RdNr 6 zu § 96, jeweils mit weiteren Nachweisen aus der Rechtsprechung der OVGe; vgl auch die Ausführungen in der Entscheidung des BVerwG in DVBl 1982, 1004, 1005). Ungeachtet der Frage, wann die Beklagte iSd § 45 Abs 4 SGB 10 Kenntnis von den Tatsachen erhalten hat, die zur rückwirkenden Rücknahme berechtigten, war die Ausschlußfrist dieser Vorschrift bei Erlaß des Rücknahmebescheides im März 1981 folglich noch nicht abgelaufen.

Dieser Auffassung stehen nicht die Entscheidungen des 1. Senats des BSG vom 16. Februar 1984 - 1 RA 15/83 - und des 9. Senats vom 7. Dezember 1983 - 9a RV 26/82 - entgegen. Der 1. Senat hat aaO entschieden, daß der beklagte Rentenversicherungsträger einen im Dezember 1978 bekanntgegebenen rechtswidrigen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung im September 1981 nicht mehr aufheben durfte, weil inzwischen die Frist des § 45 Abs 3 SGB 10 von zwei Jahren für die Rücknahme solcher Verwaltungsakte abgelaufen sei. Der 9. Senat hat für einen schon vor dem 1. Januar 1981 erlassenen Berichtigungsbescheid (Rücknahme der Anerkennung einer Körperverletzung als Schädigungsfolge) die Rechtswirkung des Fristablaufs gem § 45 Abs 3 SGB 10 angenommen. Es handelt sich in beiden Fällen nicht nur um andere Tatbestände, sondern auch um eine andere Rechtsfrage. Der § 45 Abs 3 SGB 10 betrifft die Rücknahme rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakte mit Dauerwirkung für die Zukunft; die zur Rücknahme berechtigende Ausschlußfrist bemißt sich nach der Bekanntgabe des Verwaltungsaktes, also eigenem Handeln der Behörde; sie ist im übrigen nicht absolut. § 45 Abs 4 SGB 10 regelt demgegenüber die Rücknahme rechtswidriger Verwaltungsakte für die Vergangenheit und bindet dieses Recht an eine absolute (einzige) Ausschlußfrist; ihm liegen zudem engere rechtliche Voraussetzungen zugrunde als dem § 45 Abs 3 SGB 10. Der Senat weicht mit seiner heutigen Entscheidung mithin nicht iSd § 42 SGG in einer Rechtsfrage von den oa Entscheidungen des BSG ab. Die vom 1. und 9. Senat entschiedenen Fragen besitzen weder rechtliche Identität mit der vom erkennenden Senat entschiedenen Rechtsfrage noch weisen sie nach den jeweils konkreten Sachverhalten eine übereinstimmende Begrenzung auf (vgl GS in BSGE 29, 225, 228; 49, 175, 178; 51, 23, 24; s auch May in DRiZ 1983, 305). Eine Vorlage an den Großen Senat scheidet damit aus.

Die Klägerin macht schließlich zu Unrecht geltend, die Beklagte habe ihr Rücknahme- und Rückforderungsrecht verwirkt. Das LSG hat dazu festgestellt, daß für ein Vorliegen der Voraussetzungen der Verwirkungseinrede nichts erkennbar und von der Klägerin auch nichts behauptet und dargelegt sei. Die Klägerin hat diese Feststellungen nicht angegriffen; soweit sie im Revisionsverfahren hierzu neue Tatsachen vorträgt, kann sie damit nicht gehört werden (§ 163 SGG). Der bloße Zeitablauf zwischen der von der Klägerin behaupteten Kenntniserlangung der Beklagten im Januar 1979 und dem Rücknahmebescheid vom 12. März 1981 vermag den Verwirkungseinwand nicht zu rechtfertigen. Er beträgt wenig mehr als zwei Jahre und liegt damit beträchtlich unter der Verjährungsfrist für die Rückforderung von vier Jahren (§ 222 AFG aF iVm Art II § 37 Abs 2 SGB 10). Der Senat hat aber bereits entschieden, daß ein die Verjährungsfrist unterschreitender Zeitraum bei der Geltendmachung eines Rückforderungsanspruchs der Beklagten grundsätzlich nicht den Verwirkungseinwand begründen kann (BSGE 45, 38, 48 = SozR 4100 § 40 Nr 17; vgl zu den Voraussetzungen der Verwirkung auch BSGE 47, 194, 196 = SozR 2200 § 1399 Nr 11).

Die Revision der Klägerin muß nach allem ohne Erfolg bleiben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1656224

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