Leitsatz (amtlich)

1. Hat der Kurarzt bei Beendigung einer stationären medizinischen Rehabilitationsmaßnahme lediglich Arbeitsunfähigkeit für eine anschließende Zeit bescheinigt, so ist dies einer "ärztlich verordneten Schonungszeit" iS von RVO § 1240 S 2 nicht gleichzusetzen.

2. Zu den Kriterien der "Schonungszeit" und deren Verhältnis zur Arbeitsunfähigkeit (Anschluß an und Fortführung von BSG 1978-04-19 4 RJ 21/77 = BSGE 46, 108).

 

Normenkette

RVO § 1240 S. 2 Fassung: 1974-08-07

 

Verfahrensgang

LSG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 25.04.1978; Aktenzeichen L 9 J 1706/76-1)

SG Mannheim (Entscheidung vom 10.09.1976; Aktenzeichen S 7 J 468/76)

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten werden die Urteile des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 25. April 1978 und des Sozialgerichts Mannheim vom 10. September 1976 aufgehoben.

Die Klage wird abgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Umstritten ist, ob der klagenden Betriebskrankenkasse (BKK) gegen die beklagte Landesversicherungsanstalt (LVA) ein Anspruch auf Erstattung der Barleistungen zusteht, die sie dem Versicherten für die Zeit vom 18. September bis zum 8. Oktober 1975 im Anschluß an ein von der Beklagten gewährtes stationäres Heilverfahren gezahlt hat (§ 1240 Satz 2 Reichsversicherungsordnung - RVO -).

Die Beklagte bewilligte dem Versicherten als Maßnahme der medizinischen Rehabilitation eine stationäre Heilbehandlung. Diese wurde vom 6. August bis zum 17. September 1975 im R.-Klinikum in Bad N. durchgeführt. Dem Bericht der Klinik vom 31. Oktober 1975 zufolge lautete die medizinische Beurteilung "gebessert". Im Entlassungsschein vermerkte der Arzt der Klinik unter dem 15. September 1975, der Versicherte sei "arbeitsunfähig voraussichtlich bis 8.10.75". Bis zu diesem Tag gewährte die Klägerin dem Versicherten Barleistungen. Die Beklagte lehnte die Erstattung der auf die Zeit ab 18. September 1975 entfallenden Beträge ab, weil der Versicherte als arbeitsunfähig entlassen worden sei, der Begriff "Schonungszeit" in § 1240 Satz 2 RVO jedoch Arbeitsfähigkeit voraussetze.

Das Sozialgericht (SG) Mannheim hat die Beklagte verpflichtet, die von der Klägerin für die Zeit vom 18. September bis zum 8. Oktober 1975 erbrachten Aufwendungen (Übergangsgeld im Gesamtbetrag von 597,66 DM) zu erstatten; die Berufung wurde zugelassen (Urteil vom 10. September 1976). Das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg hat die Berufung der beklagten LVA zurückgewiesen und im Urteil vom 25. April 1978 ausgeführt: Bei der umstrittenen Zeit handele es sich um eine "ärztliche verordnete Schonungszeit" iS des § 1240 Satz 2 RVO. Dem stehe nicht entgegen, daß der Versicherte als arbeitsunfähig aus der Kur entlassen worden sei. Arbeitsunfähigkeit und ärztlich gebotene Schonung schlössen sich weder nach dem Wortlaut noch nach dem Sinn und Zweck der neu gefaßten Vorschrift aus.

Die Beklagte führt mit der - vom LSG zugelassenen - Revision aus, das Berufungsgericht habe die Entlassung als arbeitsunfähig zu Unrecht als "ärztlich verordnete Schonungszeit" angesehen. Dem zwischen den Beteiligten unstreitigen, im angefochtenen Urteil wiedergegebenen Sachverhalt zufolge sei der Versicherte als bis zum 8. Oktober 1975 voraussichtlich arbeitsunfähig entlassen worden. Das LSG habe rechtsirrtümlich gemeint, die Entlassung in "gebessertem", aber gleichwohl "arbeitsunfähigem" Zustand erfülle bereits das Tatbestandsmerkmal einer "ärztlich verordneten Schonungszeit". Eine solche lasse jedoch das gesamte bisherige Verfahren nicht erkennen. Der Verordnung einer Schonungszeit habe es auch nicht bedurft, weil der Versicherte bereits wegen der Arbeitsunfähigkeit keiner Arbeitsbelastung ausgesetzt gewesen sei.

Die Beklagte beantragt,

"das angefochtene Urteil des LSG abzuändern und die Klage der Klägerin vom 10.3.1976 abzuweisen."

Die Klägerin beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie widerspricht der Rechtsansicht, § 1240 Satz 2 RVO beziehe sich nur auf den arbeitsfähigen Betreuten. Ob eine ärztlich verordnete Schonungszeit iS dieser Vorschrift vorliege, sei vom Gericht nachzuprüfen, hänge aber nicht von einer Ermessensentscheidung des zuständigen Rehabilitationsträgers ab.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist begründet.

Die klagende BKK hat keinen Anspruch gegen die beklagte LVA auf Erstattung des von ihr dem Versicherten für die Zeit vom 18. September bis zum 8. Oktober 1975 gezahlten Übergangsgeldes (§ 1240 Satz 2 RVO).

Mit den Beteiligten ist davon auszugehen, daß die beklagte LVA mit Zahlungsauftrag vom 3. September 1975 der klagenden BKK die Zahlung von Übergangsgeld "für die Dauer der bewilligten Maßnahmen" übertragen hat; in dem an den Versicherten gerichteten Bescheid dieses Tages heißt es, sollte dieser nach Abschluß der Heilbehandlung arbeitsfähig entlassen werden, sei für die Dauer der ärztlich verordneten Schonungszeit - längstens für sieben Tage - das Übergangsgeld weiterzuzahlen. Danach war der Auftrag der Beklagten auf das Übergangsgeld beschränkt, das sie selbst dem Grunde nach hätte leisten müssen. Die Klägerin konnte deshalb keine weitergehenden Rechte erwerben als ein Versicherungsträger, der - ohne Auftrag - vorläufig geleistet hat; ein solcher kann von einem anderen Träger Erstattung nur verlangen, wenn dieser für die Leistung zuständig ist (vgl § 6 Abs 3 des Gesetzes über die Angleichung der Leistungen zur Rehabilitation - RehaAnglG).

Die beklagte LVA wäre hier für die Zahlung des Übergangsgeldes nur "zuständig" gewesen, wenn die Voraussetzungen des § 1240 Satz 2 RVO idF des RehaAnglG vorgelegen hätten. Daran fehlt es jedoch.

Nach § 1240 Satz 2 RVO wird Übergangsgeld auch "für eine ärztlich verordnete Schonungszeit gewährt". Das LSG hat sich mit der Frage befaßt, ob Arbeitsunfähigkeit eine Schonungszeit ausschließt, ohne zu untersuchen, ob überhaupt eine Schonungszeit "ärztlich verordnet" war.

Der Arzt des R.-Klinikums hat im Entlassungsschein vom 15. September 1975 lediglich eine Arbeitsunfähigkeit des Versicherten "bis voraussichtlich 8. Oktober 1975" bescheinigt. Damit hat der für die Verordnung der Schonungszeit nach der Vorstellung des Gesetzgebers "zuständige" Arzt, das ist der die Heilbehandlungsmaßnahme zuletzt durchführende Arzt (vgl amtl Begründung der Regierungsvorlage zu § 1240 RVO, BT-Drucks 7/1237, S. 70), keine derartige Verordnung ausgesprochen.

Der "ärztlichen Verordnung" der Schonungszeit kommt ausschlaggebende Bedeutung bei der mit § 1240 Satz 2 RVO geschaffenen Neuregelung zu; denn sie hat die Wirkung, daß der Rehabilitationsträger für die angegebene Schonungszeit Übergangsgeld gewähren muß. In der Bescheinigung von Arbeitsunfähigkeit für eine an eine Kur anschließende Zeit ist nicht die Verordnung einer Schonungszeit zu sehen. Die beiden Begriffe können nicht gleichgesetzt werden. Der Begriff der Schonungszeit ist in der RVO neu und nicht definiert. Zwar enthält die RVO auch keine Definition des Begriffs der Arbeitsunfähigkeit. Insoweit besteht aber eine gefestigte höchstrichterliche Rechtsprechung; sie versteht unter Arbeitsunfähigkeit iS der Krankenversicherung, daß ein Versicherter infolge einer Erkrankung die bisherige oder eine ähnliche Beschäftigung nicht oder nur auf die Gefahr der Verschlimmerung seines Zustandes (weiter) verrichten kann (zB BSGE 19, 179, 181; 26, 288, 290; SozR 2200 § 165 Nr 2 und Nr 4). Auf diesen krankenversicherungsrechtlichen Begriff iS von § 182 Abs 1 Nr 2 und Abs 3, § 183 Abs 2 RVO kommt es auch im Rahmen der Rehabilitationsvorschriften an (vgl Urteile des Senats vom 8. Februar 1979 - 4 RJ 41/78 - und vom 19. April 1978 - 4 RJ 21/77 - = BSGE 46, 108, 110 = SozR 2200 § 1240 Nr 1)

Wie der Begriff der Schonungszeit zu bestimmen ist, ergibt sich aus der Rechtsentwicklung, die dem § 1240 Satz 2 RVO vorangegangen ist. Danach gehörte eine Schonungszeit zu den nachgehenden Maßnahmen zur Sicherung des nach Durchführung der Heilbehandlung (und der Berufsförderung) erzielten Ergebnisses iS des § 1237 Abs 4 Buchst b RVO idF vom 23. Februar 1957. Zunächst war strittig gewesen, ob auch während einer solchen Schonungszeit Übergangsgeld nach § 1241 RVO damaliger Fassung zu zahlen sei (vgl Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, S. 665 v, Stand: April 1976). Das Bundessozialgericht (BSG) hat dann entschieden, Übergangsgeld sei nur während der eigentlichen Maßnahmen zu zahlen; Schongeld gehöre zu den nachgehenden Maßnahmen und werde gezahlt, wenn der Betreute nach einer durchgeführten stationären Heilbehandlung zwar arbeitsfähig sei, jedoch noch der Schonung bedürfe (SozR Nr 8 zu § 1237 RVO). Dies entsprach der Praxis der Renten- und der Krankenversicherungsträger (vgl hierzu schon Erläuterung 10 zu § 7 der Vereinbarung zwischen den Trägern der Rentenversicherung und den Trägern der Krankenversicherung über die Durchführung von Gesundheitsmaßnahmen vom 15. September 1958, AOK 1958, 563; aber auch in letzter Zeit zB Richtlinien der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) über die Gewährung von Rehabilitationsleistungen idF vom 21. Juli 1977, § 12; ferner Deutzmann in AmtlMittLVA Rheinpr 1978, 494, 495). Arbeitsunfähigkeit schloß damit im Ergebnis die Gewährung von Schongeld aus.

In der Begründung zum Regierungsentwurf des RehaAnglG (aaO S. 70) ist an dieser Ausschlußwirkung nicht festgehalten, sondern ausgeführt worden, eine Schonungszeit könne unabhängig davon verordnet werden, ob der Betreute während dieser Zeit arbeitsunfähig sei oder nicht. Auch der erkennende Senat hat in dem erwähnten Urteil vom 19. April 1978 unter Hinweis auf die Abgrenzungsschwierigkeiten (vgl hierzu Lekon, Die Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung, 1972, 225, 228) kein Hindernis für die Verordnung einer Schonungszeit darin gesehen, daß bei Beendigung der stationären Heilbehandlung noch für kurze Zeit Arbeitsunfähigkeit anzunehmen ist.

Dies kann indes nicht dazu führen, in einem solchen Fall die vom Arzt für eine bestimmte kurze Zeit bescheinigte Arbeitsunfähigkeit der Verordnung einer Schonungszeit gleichzusetzen. Arbeitsunfähigkeit und "Schonungsbedürftigkeit" sind Begriffe, die sich weder ausschließen noch decken. So hat auch der Gesetzgeber in einer arbeitsrechtlichen Bestimmung, § 7 Abs 4 Satz 1 des Lohnfortzahlungsgesetzes (LFZG) vom 27. Juli 1969, beide Begriffe nebeneinander gestellt und bestimmt, daß für den Zeitraum der an eine Kur anschließenden ärztlich verordneten Schonungszeit ein Anspruch auf Fortzahlung des Arbeitsentgelts nur besteht, soweit der Arbeiter während dieses Zeitraums arbeitsunfähig ist.

Unter Beachtung von Sinn und Zweck des § 1240 Satz 2 RVO sowie der dargelegten Entwicklung, die zu dieser Vorschrift geführt hat, ist unter Schonungszeit eine Zeit der Arbeitsruhe zu verstehen, die an eine stationäre medizinische Maßnahme (Kur) anschließt und der Umstellung auf den Alltagsrhythmus und auf die Wiederaufnahme der Arbeit dient. Wegen ihres Übergangscharakters kann die Schonungszeit nur verhältnismäßig kurz sein. Das Schonungsbedürfnis schließt dabei nicht nur zeitlich an die Kur an, sondern wird auch sachlich durch die besonderen Anforderungen der Kur und deren Ziel, den Kurerfolg zu sichern, mitbestimmt. Die Annahme eines Zusammenhangs zwischen Kur und Schonungsbedürfnis, genauer: der ärztlichen Verordnung der Schonungszeit, entspricht der gesetzlichen Regelung, wonach der Träger der Rentenversicherung die wirtschaftliche Fürsorge für den Betreuten während der Durchführung von Maßnahmen, aber darüber hinaus nur zur Überbrückung von Zeiten, die mit der Durchführung von Maßnahmen zusammenhängen, zu tragen hat (vgl § 1240 Satz 1, § 1241d Abs 1, § 1241e RVO).

Denkbar sind danach etwa folgende Möglichkeiten: Der Betreute wird aus der Kur entlassen

als arbeitsfähig;

als arbeitsfähig mit Schonungszeit, wenn er durch die sofortige Ausübung seiner bisherigen Erwerbstätigkeit zwar nicht seinen Zustand verschlimmern, aber den Kurerfolg gefährden würde;

als arbeitsunfähig mit Schonungszeit, wenn er seiner bisherigen Erwerbstätigkeit nicht oder nur auf die Gefahr hin nachgehen kann, seinen Zustand zu verschlimmern, aber die Durchführung der Kur eine kurze Nacherholung als ratsam erscheinen läßt;

als arbeitsunfähig ohne Schonungszeit, wenn die Kur den bei ihrer Beendigung bestehenden Zustand nicht wesentlich im Sinn einer vorübergehenden Erholungsbedürftigkeit beeinflußt hat.

Ob eine Schonungszeit als Übergangszeit geboten ist, ist eine medizinische Frage und daher sachgerecht nur bei Beendigung der Kur durch den entlassenden Arzt zu beantworten. Eine spätere im nachhinein vorgenommene Beurteilung, ob im Anschluß an eine Kur eine Schonungszeit erforderlich war, wird dem Sinn und Zweck der nur verhältnismäßig kurz zu bemessenden Schonungszeit nicht mehr gerecht. Die bereits im Anschluß an die Heilbehandlungsmaßnahme auszusprechende ärztliche Verordnung kann daher nicht nachgeholt werden.

Die weitreichende Befugnis des Arztes, von dessen Beurteilung abhängt, ob im Anschluß an die Kur Barleistungen zu erbringen sind und welcher Träger dazu verpflichtet ist, wird verständlich bei einem Vergleich mit der Regelung über den Beginn des Krankengeldes. Nach § 182 Abs 3 RVO wird, um eine zeitnahe Beurteilung zu gewährleisten, Krankengeld erst von dem Tag an gewährt, an dem die Arbeitsunfähigkeit ärztlich festgestellt wird. Andererseits löst aber die Feststellung durch den Arzt - in der Regel den Hausarzt - den Anspruch auf Krankengeld beim Vorliegen der übrigen Voraussetzungen aus. Der Kreis der Ärzte, der nach § 1240 Satz 2 RVO für die Verordnung einer Schonungszeit in Betracht kommt, ist demgegenüber eng. Zunächst gehören dazu die in eigenen Kliniken des Rehabilitationsträgers beschäftigten Ärzte, die über den Begriff der Schonungszeit und deren Rechtsfolgen unterrichtet sind. Es ist aber davon auszugehen, daß auch die Ärzte der vom Rehabilitationsträger in Anspruch genommenen anderen Kliniken die Beurteilung sachgerecht abgeben, zumal die Verordnung einer Schonungszeit auf dem Gebiet der Sozialversicherung und im Zusammenhang mit der Lohnfortzahlung seit langem praktiziert wird.

Die Urteile der Vorinstanzen mußten daher aufgehoben werden; die Klage der BKK war abzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.

 

Fundstellen

BSGE, 23

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