Tz. 68

Stand: EL 36 – ET: 06/2022

Grund für die Haftungsfreistellung des Vorstandsmitglieds gegenüber der Gesellschaft nach § 93 Abs. 4 Satz 1 AktG bei einem gesetzmäßigen Beschluss der HV ist die Regelung des § 83 Abs. 2 AktG. Danach ist der Vorstand verpflichtet, die von der HV im Rahmen ihrer Zuständigkeit getroffenen Beschlüsse auszuführen. Soweit den Vorstand eine solche Ausführungspflicht trifft, kann eine Haftung nicht in Betracht kommen (vgl. BGH, Urteil vom 10.07.2018, II ZR 24/17, NJW 2018, S. 3574 (3577)).

 

Tz. 69

Stand: EL 36 – ET: 06/2022

Erforderlich ist nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut ein förmlicher HV-Beschluss. Nicht ausreichend sind hingegen Meinungsäußerungen der HV oder von (Mehrheits-)Aktionären. Selbst die Zustimmung eines Alleinaktionärs steht einem förmlichen HV-Beschluss nicht gleich. Allenfalls in Ausnahmefällen kann die Inanspruchnahme des Vorstandsmitglieds trotz Einwilligung des Alleinaktionärs rechtsmissbräuchlich i. S. d. § 242 BGB sein (vgl. BGH, Urteil vom 10.07.2018, II ZR 24/17, NJW 2018, S. 3574 (3577); strenger OLG Köln, Urteil vom 25.10.2012, 18 U 37/12, AG 2013, S. 396). Auch eine Billigung durch den AR genügt gemäß § 93 Abs. 4 Satz 2 AktG nicht. Der HV-Beschluss muss vor der Vornahme der Maßnahme durch den Vorstand gefällt worden sein. Ein nachträglicher Beschluss reicht dagegen grds. nicht aus. Nach überwiegender Meinung kann sich der Vorstand auch nicht darauf berufen, die HV hätte die Maßnahme gebilligt, wenn sie gefragt worden wäre (vgl. KK-AktG (2010), § 93, Rn. 150; AktG-GroßKomm. (2015), § 93, Rn. 479ff.; MünchKomm. AktG (2019), § 93, Rn. 279). Der Beschluss muss hinreichend konkretisiert sein. Erforderlich ist zwar nicht, dass der Beschluss eine ausdrückliche Anweisung an den Vorstand enthält. Der Beschluss muss allerdings zumindest konkludent den auf ein bestimmtes Verhalten des Vorstands gerichteten Willen der HV zum Ausdruck bringen. Nicht ausreichend ist hingegen eine bloße Ermächtigung des Vorstands zu einem bestimmten Verhalten (vgl. MünchKomm. AktG (1973), § 93, Rn. 50; BeckOGK-AktG (2021), § 93, Rn. 318f.).

 

Tz. 70

Stand: EL 36 – ET: 06/2022

Der Beschluss der HV muss gesetzmäßig sein. Dies ist der Fall, wenn er weder nichtig noch anfechtbar ist. Ein nichtiger Beschluss liegt insbesondere auch bei einem Beschluss der HV vor, für den diese nicht zuständig ist. Über die in die grds. Zuständigkeit des Vorstands fallenden Geschäftsführungsmaßnahmen darf die HV nur entscheiden, wenn der Vorstand dies verlangt (vgl. § 119 Abs. 2 AktG), so dass ein ohne ein solches Verlangen gefällter Beschluss nichtig ist (vgl. KK-AktG (2010), § 93, Rn. 155; Hüffer-AktG (2022), § 93, Rn. 154f.). Allerdings können nichtige Beschlüsse nach § 242 AktG heilen und anfechtbare Beschlüsse werden durch Ablauf der Anfechtungsfrist des § 246 Abs. 1 AktG unanfechtbar. Ob die Beschlüsse dadurch zu gesetzmäßigen Beschlüssen i. S. d. § 93 Abs. 4 Satz 1 AktG werden und damit das Vorstandsmitglied entlasten, ist umstritten. Nach überwiegender und zutreffender Meinung werden sowohl anfechtbare Beschlüsse mit ihrer Unanfechtbarkeit als auch nichtige Beschlüsse mit ihrer Heilung gesetzmäßig. Es entspricht dem Gebot der Rechtssicherheit und der gesetzlichen Zuständigkeitsverteilung innerhalb einer AG, dass der Vorstand grds. zur Ausführung von Beschlüssen der HV nach § 83 Abs. 2 AktG verpflichtet ist und nur im Ausnahmefall davon abweichen kann (vgl. BGH, Urteil vom 06.10.1960, II ZR 150/58, BGHZ 33, S. 175 (178f.); AktG-GroßKomm. (2015), § 93, Rn. 481ff.; Hüffer-AktG (2022), § 93, Rn. 153ff.; a. A. KK-AktG (2010), § 93, Rn. 155f.; MünchKomm. AktG (1973), § 93, Rn. 48). Die Beweislast für das Vorliegen eines gesetzmäßigen HV-Beschlusses trägt das Vorstandsmitglied. Dies ergibt sich aus dem allg. Grundsatz des Beweisrechts, wonach jeder die ihm günstigen Tatsachen darzulegen und zu beweisen hat.

 

Tz. 71

Stand: EL 36 – ET: 06/2022

In Ausnahmefällen kann trotz Vorliegens eines an sich gesetzmäßigen HV-Beschlusses die Ersatzpflicht eines Vorstandsmitglieds gegenüber der Gesellschaft nicht ausgeschlossen sein. So kann sich ein Vorstandsmitglied nicht auf HV-Beschlüsse berufen, die es pflichtwidrig herbeigeführt hat, z. B. durch unzureichende oder unzutreffende Information der HV. Bei geheilten oder unanfechtbaren Beschlüssen der HV ist die Ersatzpflicht nicht ausgeschlossen, wenn der Vorstand im UN-Interesse dazu verpflichtet war, den Beschluss anzufechten oder Nichtigkeitsklage zu erheben oder auf einen neuen, wirksamen Beschluss hinzuwirken (vgl. HdR-E, AktG § 93, Rn. 8). Eine Berufung des Vorstandsmitglieds auf einen HV-Beschluss scheidet ferner aus, wenn die HV nach § 111 Abs. 4 AktG anstelle des AR einer Geschäftsführungsmaßnahme zugestimmt hat. An eine Zustimmung der HV nach § 111 Abs. 4 AktG ist der Vorstand genauso wenig gebunden wie an eine Zustimmung des AR (vgl. AktG-GroßKomm. (1971), § 93, Rn. 32; MünchKomm. AktG (2019), § 93, Rn. 277ff.). Tritt nach der Beschlussfassung eine wesentliche Änder...

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