Leitsatz

  1. Einen saldierungsfähigen materiellen Fehler i.S. des § 177 Abs. 3 AO stellt auch die nicht rechtzeitige Auswertung eines Grundlagenbescheids dar.
  2. Der Saldierungsrahmen i.S. des § 177 AO ergibt sich aus allen vorangegangenen Änderungsbescheiden, die noch nicht formell bestandskräftig sind.
 

Sachverhalt

Eine KG ist an zahlreichen Personen- und Kapitalgesellschaften beteiligt. Das Finanzamt stellte den Einheitswert des Betriebsvermögens auf den 1.1.1986 unter Vorbehalt der Nachprüfung fest. Bis 1992 ergingen Einheitswertbescheide für die Beteiligungsgesellschaften, die das Finanzamt zunächst nicht auswertete. Nach einer Außenprüfung erhöhte das Finanzamt 1996 den Einheitswert, berücksichtigte dabei zugunsten der KG erstmals Schuldposten von 4095443 DM, wegen Eintritts der Festsetzungsverjährung jedoch nicht den (Mehr-)Wert der Beteiligungen von 9095933 DM. Mit der Einspruchsentscheidung ermäßigte das Finanzamt den Einheitswert nochmals, nahm aber in Höhe der im früheren Bescheid zugunsten der KG vorgenommenen Änderungen von 4095443 DM eine Saldierung nach § 177 Abs. 2 AO vor.

 

Entscheidung

  1. Materielle Fehler i.S. des § 177 Abs. 1, 2 AO sind alle Fehler, die zur Festsetzung einer Steuer führen, die von der kraft Gesetzes entstandenen Steuer abweicht[1]. Diese Definition umfasst auch Fehler, die darin liegen, dass das Finanzamt einen Grundlagenbescheid nicht rechtzeitig ausgewertet hat und nunmehr durch die Vorschriften über die Festsetzungsverjährung an einer Auswertung gehindert wird[2]. Denn auch in einem solchen Fall weicht die festgesetzte Steuer von der kraft Gesetzes entstandenen Steuer ab.
  2. Der Saldierungsrahmen, dessen Umfang für Zwecke der Anwendung des § 177 AO festzustellen ist, wird nicht allein durch den letzten Änderungsbescheid bestimmt. Vielmehr sind auch alle Änderungen heranzuziehen, die aufgrund der Anwendung selbständiger Korrekturvorschriften zugunsten und zulasten des Steuerpflichtigen in denjenigen Bescheiden vorgenommen worden sind, die dem letzten Änderungsbescheid vorangegangen, aber nicht formell bestandskräftig geworden sind. Dies folgt aus dem engen systematischen Zusammenhang zwischen den Regelungen des § 177 AO einerseits und denen des § 351 Abs. 1 AO andererseits.
  3. Der materielle Fehler liegt hier in der nicht rechtzeitigen Auswertung der Grundlagenbescheide. Der Änderung zugunsten der KG im Umfang von 4095443 DM stehen damit materielle Fehler im Saldo von 9095933 DM zulasten der KG gegenüber.

Zwar lagen bereits bei Erlass des früheren Bescheids die Voraussetzungen für eine entsprechende Saldierung vor. Diese kann indes noch in einem späteren Bescheid vorgenommen werden, solange keiner der seit der Änderung zugunsten des Steuerpflichtigen ergangenen Änderungsbescheide formell bestandskräftig geworden ist.

 

Praxishinweis

§ 177 AO ist selbst keine Korrekturvorschrift, sondern begrenzt lediglich die Wirkungen von Korrekturvorschriften. Er führt nicht dazu, dass ein bereits (teil-)verjährter Steueranspruch neu entsteht. Vielmehr bewirkt die Vorschrift lediglich die Begrenzung der gegenläufigen Festsetzung eines nicht verjährten Teilbetrags.

 

Link zur Entscheidung

BFH, Urteil vom 10.08.2006, II R 24/05

[2] Vgl. BFH-Urteile vom 18.12.1991, X R 38/90, BStBl II 1992, S. 504, unter 3.b = INF 1992, S. 304; vom 1.6.1994, X R 90/91, BStBl II 1994, S. 849, unter 4.; vom 14.12.1994, X R 111/92, BFH/NV 1995, S. 566, unter 4.

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