Entscheidungsstichwort (Thema)

Zu den Grenzen des Korrigierens und Saldierens bei Folgebescheiden

 

Leitsatz (NV)

1. Der Umfang der Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 10 AO richtet sich nach dem für den Folgebescheid maßgeblichen Regelungsgehalt des Grundlagenbescheids.

2. Die doppelte Berücksichtigung von Einkünften aus einer bestimmten Beteiligung im Einkommensteuerbescheid läßt sich, wenn sowohl die allgemeine Festsetzungsfrist nach den §§ 169 ff. AO als auch die spezielle nach § 171 Abs. 10 abgelaufen ist, nur noch durch Saldieren nach § 177 AO rückgängig machen -- d. h. nur insoweit, als durch eine Korrektur aus anderem Grund die Möglichkeit zum Gegenrechnen eröffnet ist.

 

Normenkette

AO 1977 §§ 129, 157, 164 Abs. 4, § 169 Abs. 1 S. 2, § 171 Abs. 10, § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, §§ 177, 179, 182 Abs. 1

 

Verfahrensgang

FG Düsseldorf

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) erzielte im Streitjahr 1979 neben Einkünften aus selbständiger Tätigkeit als Ärztin Einkünfte aus verschiedenen Fonds der X-Anlagegesellschaft (X). In ihrer Einkommensteuererklärung für 1979 machte sie u. a. aus ihrer Beteiligung am X-Fonds Nr. 6 einen Verlust aus Gewerbebetrieb in Höhe von 41 956 DM zum Abzug geltend, den der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt -- FA --) jedoch mangels einer ESt-4-Mitteilung des zuständigen Betriebsfinanzamts (BF) erst nach Einspruch der Klägerin berücksichtigte.

Nachdem das für den X-Fonds Nr. 6 zuständige BF in einem unter Vorbehalt der Nachprüfung stehenden Feststellungsbescheid für 1979 vom 15. November 1982 einen Verlustanteil der Klägerin aus Vermietung und Verpachtung (VuV) von 27 440 DM festgestellt hatte, erließ das FA am 9. Juni 1983 einen Änderungsbescheid, in dem es unter Berufung auf § 175 Abs. 1 Satz 1 der Abgabenordnung (AO 1977) zwar diesen Verlust berücksichtigte, aber den wegen derselben Beteiligung zuvor angesetzten Verlust aus Gewerbebetrieb (41 956 DM) nicht herausrechnete.

Auch im Rahmen einer weiteren, durch die Beteiligung der Klägerin am X-Fonds Nr. 5 veranlaßten Folgeänderung vom 18. September 1985 blieb es bei der doppelten Berücksichtigung des X-Fonds-Nr. 6-Verlustes mit der Erläuterung, dieser werde "wie bisher mit 27 440,-- angesetzt".

Erst als im Hinblick auf die Beteiligung der Klägerin am X-Fonds Nr. 4 eine weitere Änderung des Einkommensteuerbescheids für 1979 erforderlich wurde, ließ das FA in dem auf § 129 und § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO 1977 gestützten Bescheid vom 12. Januar 1987 den Verlust aus Gewerbebetrieb von 41 956 DM unberücksichtigt.

Der hiergegen eingelegte, auf Verjährung (hinsichtlich der Einkünfte aus Gewerbe betrieb) gestützte Einspruch führte dazu, daß das FA im Änderungsbescheid vom 24. Februar 1987 wieder einen Verlust aus Gewerbebetrieb für den X-Fonds Nr. 6 ansetzte, nunmehr allerdings im Betrag von 27 440 DM.

Als schließlich das BF in dem den X-Fonds Nr. 6 betreffenden Feststellungsbescheid gemäß § 164 Abs. 2 AO 1977 vom 7. Oktober 1988 den Verlustanteil der Klägerin endgültig auf 23 065,80 DM festgestellt hatte, änderte das FA am 2. Januar 1989 den Einkommensteuerbescheid der Klägerin für 1979 unter Berufung auf § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO 1977 ein weiteres Mal und berücksichtigte diese Beteiligung der Klägerin nunmehr nur noch bei den Einkünften aus VuV mit einem Verlust in Höhe von 23 066 DM, also nicht mehr mit dem außerdem zuvor angesetzten "Verlust aus Gewerbebetrieb" von 27 440 DM.

Der hiergegen nach erfolglosem Einspruch erhobenen Klage gab das Finanzgericht (FG) statt, nachdem zuvor ein weiterer Änderungsbescheid vom 17. Juli 1992 (der Bemessungsgrundlagen und Steuerfestsetzung unberührt ließ, nur teilweise Vorläufigkeit aussprach) gemäß § 68 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zum Gegenstand des Verfahrens gemacht worden war. Das FG setzte die Einkommensteuer der Klägerin für 1979 antragsgemäß unter Berücksichtigung des streitigen Verlustes aus Gewerbebetrieb von 27 440 DM entsprechend niedriger fest.

Zur Begründung führte das FG aus, der streitigen Änderung stehe der Eintritt der Festsetzungsverjährung entgegen: Die Frist hierfür sei, nachdem die Einkommensteuererklärung 1980 abgegeben worden sei, zum 31. Dezember 1984 abgelaufen. Der Fristablauf sei durch den Feststellungsbescheid vom 7. Oktober 1988 gemäß § 171 Abs. 10 AO 1977 nur insoweit gehemmt worden, als darin ein niedrigerer Verlust aus VuV festgestellt worden sei.

Mit der Revision rügt das FA Verletzung materiellen Rechts: Das FG habe die Bedeutung der Bindungswirkung von Grundlagenbescheiden und der Vorschrift des § 171 Abs. 10 AO 1977 verkannt. Schon wegen des Nachprüfungsvorbehalts, unter dem der Feststellungsbescheid bis zur letzten Änderung gestanden und der auf den Folgebescheid durchgeschlagen habe, sei die vom FG angenommene Begrenzung der Änderungsbefugnis nicht eingetreten. Im übrigen sei es, das FA, bei späteren Änderungen gemäß § 177 AO 1977 zum Saldieren berechtigt.

Das FA beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben.

Die Klägerin beantragt sinngemäß, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet (§ 126 Abs. 2 FGO). Zu Recht hat das FG den angefochtenen Bescheid vom 2. Januar 1989 (in Gestalt der Einspruchsentscheidung und des Änderungsbescheids vom 17. Juli 1992) dem Klagebegehren entsprechend abgeändert: Hinsichtlich des Verlustes von 27 440 DM war das FA weder zur Korrektur noch zur Saldierung berechtigt.

1. Der Einkommensteuerbescheid 1979 ist im angefochtenen Umfang rechtswidrig, weil insoweit der Steueranspruch erloschen ist. Nach den nicht zu beanstandenden Feststellungen des FG war zum 31. Dezember 1984 die Festsetzungsfrist abgelaufen. Dies hatte außer dem Erlöschen dieses Anspruchs (§ 47 AO 1977) zur Folge, daß Korrekturen der Steuerfestsetzung fortan grundsätzlich ausgeschlossen waren -- selbst wenn es um die Berichtigung offenbarer Unrichtigkeiten i. S. des § 129 AO 1977 ging (§ 169 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 AO 1977).

2. Eine Ausnahme von dieser Änderungssperre, die im Streitfall erstmals den Bescheid vom 18. September 1985 betraf, eröffnete sich gemäß § 171 Abs. 10 AO 1977 nur, soweit ein für die Einkommensteuerfestsetzung 1979 bindender Grund lagenbescheid erging und der Ablauf der Festsetzungsfrist entsprechend dieser Vorschrift um ein Jahr nach Bekanntgabe des Grundlagenbescheids hinausgeschoben wurde.

Der Umfang einer solchen Ablaufhemmung richtet sich, da sich nach § 157 Abs. 2 und § 179 Abs. 1 AO 1977 die Abhängigkeit des Folgebescheids (Einkommensteuerbescheids) vom Grundlagenbescheid auf bestimmte Besteuerungsgrundlagen bezieht, danach, in welchem Umfang die gemäß § 182 Abs. 1 AO 1977 bestimmten gesondert (und im Streitfall außerdem einheitlich -- § 179 Abs. 2 Satz 2, § 180 Abs. 1 Nr. 2 a AO 1977) getroffenen Feststellungen bindend sind (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 12. August 1987 II R 202/84, BFHE 150, 319, BStBl II 1988, 318, und vom 4. November 1992 XI R 32/91, BFHE 170, 291, BStBl II 1993, 425).

Maßgeblich ist also auch insoweit der gesetzlich festgelegte Regelungsgehalt des jeweiligen Grundlagenbescheids (vgl. Senatsurteil vom 8. März 1989 X R 116/87, BFHE 156, 59, BStBl II 1989, 531). Dieser bestand beim Feststellungsbescheid vom 15. November 1982 positiv in der Aussage, die Einkünfte der Klägerin aus ihrer Beteiligung an dem X-Fonds Nr. 6 beliefen sich für 1979 auf ./. 27 440 DM und seien als solche aus VuV zu qualifizieren, negativ (vgl. BFH-Urteile vom 16. Oktober 1985 II R 230/82, BFHE 144, 463, BStBl II 1986, 41, und vom 11. April 1990 I R 82/86, BFH/NV 1991, 143, 144 m. w. N.) in der Feststellung, es gebe aus dieser Beteiligung der Klägerin im Feststellungszeitraum weder der Art noch der Höhe nach andere Einkünfte. Hinsichtlich der erst genannten Feststellung ist das FA im Bescheid vom 9. Juni 1983 dem Anpassungsgebot des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO 1977 gefolgt, hinsichtlich der negativen Aussage nicht. -- Insoweit war mit Ablauf eines Jahres nach Bekanntgabe des Feststellungsbescheids vom 15. November 1982 auch die besondere Verjährungsfrist des § 171 Abs. 10 AO 1977 abgelaufen.

Zwar ist der Bekanntgabetermin selbst nicht festgestellt. Aus dem Verhalten der Beteiligten im Verfahren des Einspruchs gegen den Bescheid vom 12. Januar 1987 jedoch folgt zwingend, daß jedenfalls zu diesem Zeitpunkt der in diesem Bescheid vorgenommenen abermaligen Änderung hinsichtlich der Beteiligung am X-Fonds Nr. 6 ("Einkünfte aus Gewerbebetrieb") im Hinblick auf § 171 Abs. 10 AO 1977 die Rechtsgrundlage fehlte (vgl. auch BFH- Urteil vom 17. Februar 1993 II R 15/91, BFH/NV 1994, 1).

3. Es kann dahingestellt bleiben, wann der Vorbehalt der Nachprüfung, unter den ein Grundlagenbescheid gestellt ist, auf den Folgebescheid "durchschlägt", wie das FA meint. Aus dem BFH-Urteil vom 30. Oktober 1986 IV R 175/84 (BFHE 148, 119, BStBl II 1987, 89, 91; vgl. auch Tipke/Kruse, Kommentar zur AO u. a., 15. Aufl. 1994, § 182 Tz. 1) folgt kein allgemeiner Rechtssatz hierzu. -- Hier jedenfalls ist mit Ablauf der Anpassungsfrist nach § 171 Abs. 10 AO 1977 hinsichtlich der negativen Feststellung ein solcher Vorbehalt entfallen (§ 164 Abs. 4 AO 1977).

4. Schließlich läßt sich die streitige Änderung nicht, auch nicht teilweise, aus § 177 AO 1977 in der für dieses Verfahren maßgeblichen Fassung (Art. 26 Nr. 18 und Art. 27 des Steuermißbrauchsgesetzes vom 21. Dezember 1993, BGBl I 1993, 2310; Art. 97 § 1 Abs. 4 des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung) rechtfertigen.

Nach dieser Vorschrift sind, soweit die Voraussetzungen für die Korrektur eines Steuerbescheids zuungunsten (Abs. 1) oder zugunsten (Abs. 2) des Steuerpflichtigen vorliegen, im Rahmen einer solchen Änderung zugunsten wie zuungunsten des Steuerpflichtigen auch solche materiellen Fehler zu berichtigen, die nicht Anlaß der Aufhebung oder Änderung sind. -- Dabei sind als materielle Fehler alle solche, einschließlich offenbarer Unrichtigkeiten i. S. des § 129 AO 1977, anzusehen, die zur Festsetzung einer Steuer führen, die von der kraft Gesetzes entstandenen Steuer abweicht (§ 177 Abs. 3 AO 1977 n. F.).

Die Berücksichtigung des streitigen Verlustes bei der Steuerfestsetzung 1979 (zuletzt im Bescheid vom 24. Februar 1987) ist zwar ein solcher Fehler. Auch stünde der Verjährungseintritt der Anwendung des § 177 AO 1977 nicht entgegen (Senats urteil vom 18. Dezember 1991 X R 38/90, BFHE 167, 1, BStBl II 1992, 504). Diese scheitert aber hier daran, daß für den Bescheid vom 2. Januar 1989, der Gegenstand dieses Verfahrens ist, eine Kompen sationslage i. S. des § 177 AO 1977 nicht vorliegt: Der Grundlagenbescheid vom 7. Oktober 1988 führte mit seiner Herabsetzung des Verlustanteils von 27 440 DM auf 23 066 DM bei den Einkünften der Klägerin aus VuV gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO 1977 nur im Ausmaß der damit verbundenen Erhöhung der Einkommensteuerschuld der Klägerin zu einer Durchbrechung der Bestandskraft des Einkommensteuerbescheids 1979 und eröffnete auch nur insoweit Kompensationsmöglichkeiten nach § 177 Abs. 1 AO 1977. Für eine Fehlerberichtigung zum Nachteil der Klägerin im angefochtenen Einkommensteuerbescheid fehlt derzeit und in diesem Verfahren die Rechtsgrundlage; daß diese womöglich zu einem früheren Zeitpunkt gegeben war oder zu einem späteren Zeitpunkt wieder gegeben sein wird, berührt nicht die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Änderungsbescheids, um die es hier allein geht.

 

Fundstellen

Haufe-Index 420457

BFH/NV 1995, 566

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