Gesetzestext

 

(1) 1Regelungen in völkerrechtlichen Vereinbarungen gehen, soweit sie unmittelbar anwendbares innerstaatliches Recht geworden sind, den Vorschriften dieses Gesetzes vor. 2Regelungen in Rechtsakten der Europäischen Union bleiben unberührt.

(2) Die zur Umsetzung und Ausführung von Vereinbarungen und Rechtsakten im Sinne des Absatzes 1 erlassenen Bestimmungen bleiben unberührt.

A. Normgegenstand.

 

Rn 1

§ 97 statuiert explizit den subsidiären Charakter der autonomen deutschen Vorschriften zum Internationalen Familienverfahrensrecht: sie sind nachrangig ggü völkerrechtlichen (I 1) u europarechtlichen (I 2) Rechtsakten sowie den dazu ergangenen Ausführungsbestimmungen (II). Wie Art 3 EGBGB ist die Norm vorwiegend deklaratorisch. Der Vorrang internationaler Rechtsakte ergibt sich bereits aus der unmittelbaren Anwendbarkeit in Kraft getretener u in innerstaatliches Recht transformierter Staatsverträge, der Vorrang europäischer Rechtsakte aus den allgemeinen unionsrechtlichen Prinzipien (ausf MüKoFamFG/Rauscher Rz 4 ff). Eine Regelung des Verhältnisses europäischer u völkerrechtlicher Instrumente zueinander enthalten idR die EU-Rechtsakte. Bei Anwendung vorrangiger internationaler Rechtsakte gilt der Grundsatz autonomer Auslegung. Der daneben verbleibende Anwendungsbereich des autonomen deutschen IZVR ist begrenzt u verringert sich tendenziell weiter.

B. Staatsverträge.

 

Rn 2

Als völkerrechtliche Vereinbarungen vorrangig (I 1) sind die folgenden multilateralen Staatsverträge:

  • Das KSÜ erfasst im Verhältnis zwischen Vertragsstaaten sorgerechtliche Maßnahmen zum Schutz der Person oder des Vermögens (Art 3, 4 KSÜ) von Kindern (bis zur Vollendung des 18. Lebensjahrs, Art 2 KSÜ) mit gewöhnl Aufenthalt in einem Vertragsstaat.
  • Das Vorläufer-Üb MSA ist durch das KSÜ abgelöst (Art 51 KSÜ) u gilt nur noch ggü den (noch) nicht dem KSÜ beigetretenen MSA-MS (Macau sowie Aruba u St. Martin, Schulz FamRZ 18, 797, 802) für Maßnahmen zum Schutz der Person u des Vermögens v Minderjährigen (Art 12 MSA) mit gewöhnl Aufenthalt in einem Vertragsstaat (Art 13 I MSA).
  • Das EuSorgeRÜ regelt die Anerkennung u Vollstreckung v Sorgerechtsentscheidungen aus anderen Vertragsstaaten betr Kinder unter 16 Jahren (Art 1 lit a EuSorgeRÜ). Es ist ggü dem KSÜ grds vorrangig, praktisch aber selten relevant.
  • Das HKÜ regelt zwischen den Vertragsstaaten die Rückführung entführter Kinder (vor Vollendung des 16. Lebensjahrs, Art 4 HKÜ) mit gewöhnl Aufenthalt in einem Vertragsstaat in Entführungsfällen (vgl Art 3 HKÜ). Es bleibt v KSÜ unberührt (Art 50 KSÜ), gestattet aber die Berufung darauf; zum MSA ist es vorrangig.
  • Das HAdoptÜ erfasst Minderjährigenadoptionen zwischen Vertragsstaaten (Art 2, 3 HAdoptÜ).
  • Das ESÜ regelt die internationale Zuständigkeit, die Anerkennung u Vollstreckung sowie das anwendbare Recht für Schutzmaßnahmen hinsichtlich Person u Vermögens (Art 3, 4 ESÜ) hilfsbedürftiger Erwachsener (ab 18 Jahre, Art 2 ESÜ).
  • Das LugÜ findet im Verhältnis zu Island, Norwegen u der Schweiz Anwendung in Unterhaltssachen sowie in Gewaltschutzsachen (wg Art 1 II lit a LugÜ nicht aber solchen zwischen Ehegatten u eingetragenen Lebenspartnern, MüKoFamFG/Rauscher Rz 36 – aA Prütting/Helms/Hau § 105 Rz 13).
  • Verschiedene Haager Üb greifen zwischen den jeweiligen Vertragsstaaten in internationalen Unterhaltsverfahren ein: das HaagUntÜ v 2007, das HUVÜ v 1973 sowie sein Vorläufer v 1958 (Schulte-Bunert/Weinreich/Martiny Rz 32f). Soweit nicht durch das HaagUntÜ ersetzt, gilt auch das UN-Übereinkommen über die Geltendmachung v Unterhaltsansprüchen im Ausland v 1956 (Schulte-Bunert/Weinreich/Martiny Rz 26).
  • Ferner bestehen zu verschiedenen Einzelkomplexen bilaterale Abkommen mit verschiedenen Staaten (s MüKoFamFG/Rauscher Rz 38 ff).

C. EU-Rechtsakte.

 

Rn 3

Vorrangige Regelungen des europäischen Rechts (I 2) sind:

  • Die Brüssel IIa-VO gilt in allen EU-MS mit Ausnahme Dänemarks (Art 2 Nr 3 Brüssel IIa-VO) für Ehesachen u Verfahren betr die elterliche Verantwortung (Art 1 Brüssel IIa-VO); für ab dem 1.8.22 eingeleitete Verfahren gilt die reformierte Brüssel IIb-VO. Sie hat Vorrang vor dem KSÜ (Art 61 Brüssel IIa-VO), dem MSA (Art 60 lit a Brüssel IIa-VO) sowie dem EuSorgeRÜ (Art 60 lit d Brüssel IIa-VO). Das HKÜ wird nicht verdrängt (Art 60 lit e Brüssel IIa-VO), sondern nur durch Art 10, 11 Brüssel IIa-VO ergänzt.
  • Die Brüssel Ia-VO gilt zwischen allen EU-MS u kraft Anwendungsübereinkommen auch für Dänemark. Sie regelt inzwischen nur noch die internationale Zuständigkeit für Gewaltschutzsachen (wg Art 1 II lit a Brüssel Ia-VO aber nicht für solche zwischen Ehegatten oder eingetragenen Lebenspartnern, MüKoFamFG/Rauscher Rz 42 – aA Prütting/Helms/Hau § 105 Rz 13); für Anerkennung u Vollstreckung gilt die EuGewSchVO (ausf Pietsch NZFam 14, 726; Dutta FamRZ 15, 85). Ferner ist sie für die vermögensrechtlichen Folgen faktischer Lebensgemeinschaften maßgeblich (EuGH NZFam 19, 890 = ECLI:EU:C:2019:473).
  • Die EuUntVO ist maßgeblich in allen EU-MS (in Dänemark aufgrund Abkommens) für Verfahren über auf Familien-, Verwandtschafts- oder eherechtlic...

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