Entscheidungsstichwort (Thema)

Gesetzliche Unfallversicherung. Schülerunfall. haftungsbegründende Kausalität. Theorie der wesentlichen Bedingung. Konkurrenzursache. annähernd gleichwertige Mitursache. Epiphysenlösung. adoleszenzspezifische Gesundheitsstörung. Sturz beim Eislaufen

 

Leitsatz (amtlich)

1. Bei den sogenannten Epiphysenlösungen handelt es sich grundsätzlich um adoleszenzspezifische Gesundheitsstörungen (vgl insoweit Molkentin, MED SACH 2011, S 192 ff).

2. Aber auch bei diesen Verletzungsbildern kann im Rahmen der gesetzlichen Unfallversicherung damit ein Ursachenzusammenhang mit einem versicherten Ereignis nicht generell abgelehnt werden. Es ist vielmehr die Bewertung des Zusammenhangs im individuellen Einzelfall nach der sozialrechtlichen Kausalitätslehre der wesentlichen Bedingung vorzunehmen. Danach spielt nicht jede Bedingung im Rahmen einer naturwissenschaftlichen Kausalitätsbetrachtung eine Rolle (sogenannte Conditio sine qua non), sondern nur diejenige Bedingung, die wesentlich mitgewirkt hat. Es sind diejenigen Bedingungen rechtlich wesentlich, die unter Abwägung ihres verschiedenen Wertes zum Schaden in eine besonders enge Beziehung treten und so zu einem Entstehen wesentlich beigetragen haben. Es ist zu prüfen, welche Auswirkungen der Versicherungsfall gerade bei dem betroffenen Versicherten infolge der Eigenart seiner Persönlichkeit gehabt hat (so schon BSG vom 11.11.1959 - 11/9 RV 290/57 = BSGE 11, 50; so schon BSG vom 29.2.1968 - 2 RU 246/64 = BSGE 28, 14). Dies schließt jedoch nicht aus, dass es auch Mitursachen für den Eintritt der Bedingung, hier der Gesundheitsstörungen, gibt. Dabei handelt es sich im Endeffekt auch nach der Rechtsprechung des BSG um eine wertende Entscheidung unter Abwägung von Ursachen und konkurrierenden Ursachen.

3. Der Zusammenhang zwischen Unfallereignis und gesundheitlichem Erstschaden muss mit Wahrscheinlichkeit nachgewiesen werden. Da dies anspruchsbegründende Tatsachen sind, hat die Klägerin hierfür die Beweislast zu tragen. Hingegen ist für die konkurrierende Ursache und ihren Zusammenhang zum eingetretenen Gesundheitserstschaden als anspruchsvernichtende Tatsache die Beklagte beweislastpflichtig. Da ein Zusammenhang nach den oben dargestellten Grundsätzen nur dann zu verneinen ist, wenn die konkurrierenden Ursachen von überragender Bedeutung sind, trägt die Beklagte auch hierfür die Beweislast.

 

Orientierungssatz

Az beim LSG Darmstadt: L 3 U 40/13.

 

Tenor

1. Unter Aufhebung des Bescheids vom 02.12.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26.06.2009 wird die Beklagte verurteilt, das Ereignis vom 26.02.2008 als Arbeitsunfall anzuerkennen.

2. Die Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu tragen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten wegen der Anerkennung eines Ereignisses als Arbeitsunfall.

Die 1997 geborene Klägerin ist als Schülerin einer allgemeinbildenden Schule bei der Beklagten im Rahmen der gesetzlichen Unfallversicherung versichert. Im Rahmen eines Klassenausflugs stürzte sie beim Eislaufen in ZW. am 26.02.2008. Nach Angaben des begleitenden Klassenlehrers stürzte sie auf die rechte Seite und klagte über Schmerzen im rechten Bein und beim Laufen. Der Klassenlehrer brachte die Versicherte mit einem Taxi zur elterlichen Wohnung. Dort wurde wegen der starken Schmerzen entschieden, die Versicherte mit einem Krankenwagen zum Durchgangsarzt zu bringen. Der Durchgangsarzt Dr. G., B-Stadt, diagnostizierte am selben Tag eine mediale Schenkelhalsfraktur rechts und stellte ergänzend fest, dass die Versicherte seit ca. sechs Wochen über unklare Schmerzen im rechten Knie klage. Zur Frage im Durchgangsarztbericht, ob Hergang und Befund gegen die Annahme eines Arbeitsunfalls sprechen würden, äußerte der Durchgangsarzt die Ansicht, dies sei nicht der Fall. Die Klägerin wurde in die Städtischen Kliniken D-Stadt, H., überwiesen. Dort wurde nach eingehender Diagnostik eine Femurkopfepiphyseolysis rechts nicht traumatischer Natur diagnostiziert. Prof. K. äußerte in seinem Durchgangsarztbericht gleichzeitig die Ansicht, es liege “kein Berufsunfall„ im Sinne des SGB VII vor. Die weitere Behandlung wurde im Städtischen Klinikum D-Stadt, H., durchgeführt. In einem ausführlichen fachärztlichen Bericht auch zur Zusammenhangsfrage vom 04.09.2008 äußert Dr. D. die Ansicht, die chronische Epiphysiolysis stehe im Zusammenhang mit dem versicherten Ereignis. Nach Lage der Dinge habe der jetzt bestehende Gesundheitsschaden als sogenanntes Grundleiden im Zeitpunkt des Unfalls als klinisch funktionell manifeste Krankheit bereits vorgelegen, habe aber durch das Unfallereignis eine Verschlimmerung erfahren. Die Annahme einer Gelegenheitsursache sei seines Erachtens nicht gerechtfertigt, dagegen spreche die zeitliche Abfolge von Sturz und Entstehung des Schmerzes. Nach kinderorthopädischer Erfahrung könne eine Gelegenheitsursache durchaus zu einer Epiphysiolysis akuta führen. Dabei komme es aber in der zeitlichen Abfolge zunächst erst zu Schmerz und dann info...

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