Leitsatz (amtlich)

Die Frage, ob eine Bedingung im Sinne der Kausalitätsnorm des Rechts der Kriegsopferversorgung neben anderen Bedingungen die wesentliche Bedingung gewesen ist, kann nicht danach beurteilt werden, ob die Bedingung erfahrungsgemäß, im allgemeinen, unter gleichen Umständen bei anderen Personen den gleichen Erfolg herbeigeführt hätte, sondern nur nach den besonderen Umständen und der besonderen Einzelpersönlichkeit; es kommt nicht darauf an, ob die versorgungsrechtlich erheblichen Ereignisse sich im Rahmen durchschnittlicher, gewöhnlicher Anforderungen gehalten haben, sondern auf die besondere individuelle Belastung und Belastbarkeit des Betroffenen.

 

Normenkette

SGG § 162 Abs. 1 Nr. 3 Fassung: 1953-09-03; BVG § 1 Fassung: 1950-12-20

 

Tenor

Das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 20. Dezember 1956 wird aufgehoben; die Sache wird zu neuer Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

Der Ehemann der Klägerin, K R, wurde am 13. August 1901 geboren; er war früher Friseur, später Bürodiener. Während des Krieges war er zunächst bei Ersatzeinheiten, vom 19. März 1943 an war er Pferdepfleger bei einer Veterinärkompanie in Rußland, am 3. Mai 1943 erschoß er sich in einem Mannschaftsquartier. Der Antrag der Klägerin auf Witwenrente wurde vom Versorgungsamt (VersorgA.) L durch Bescheid vom 8. November 1944 abgelehnt, da K R durch Freitod aus dem Leben geschieden sei; die Beschwerde der Klägerin gegen diesen Bescheid wurde infolge der Kriegsereignisse nicht mehr beschieden. Die Klägerin beantragte dann Witwenrente nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG), dieser Antrag wurde vom VersorgA. II S durch Bescheid vom 15. Mai 1952 abgelehnt. Die Klägerin legte Berufung ein; das Württembergische Oberversicherungsamt (OVA.) hörte als Sachverständigen den ärztlichen Direktor der Nervenklinik S, Prof. Dr. H dieser kam zu dem Ergebnis, bei K R sei zweifellos ein psychopathisches und ein zirkuläres (manisch-depressives) Moment vorhanden gewesen, aus dieser Verfassung heraus müsse es zu einem plötzlichen Raptus gekommen sein, Anlaß dazu sei eine Reaktion auf die ungewohnte subjektiv unerträgliche Lebenssituation während des Einsatzes in Rußland gewesen, diese Situation könne aber objektiv keineswegs unerträglich gewesen sein, die Reaktion sei jedenfalls weit mehr in der psychischen Grundstruktur als in den äußeren Verhältnissen begründet gewesen. Mit dem Inkrafttreten des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ging die Berufung als Klage auf das Sozialgericht (SG.) Heilbronn über. Das SG. wies durch Urteil vom 3. August 1954 die Klage ab. Die Klägerin legte Berufung ein, im Verfahren vor dem Landessozialgericht (LSG.) Baden-Württemberg ergänzte Prof. Dr. H sein Gutachten dahin, nach vorhandenen Briefen sei K R ein seelisch weicher, wohl auch körperlich nicht allzu leistungsfähiger Mann gewesen, der seelisch unter der ungewohnten Tätigkeit als Pferdepfleger, den ihm ganz neuen Unterkunfts- und klimatischen Verhältnissen in Rußland, der Entfernung von der Heimat und offenbar auch unter Heimweh gelitten habe; um eine echte - reaktive - Depression habe es sich nicht gehandelt, die Verstimmung habe auch von der Truppenführung nicht bemerkt werden können; auch wenn man das Verhältnis von Belastung zu Belastbarkeit berücksichtige, liege der Schwerpunkt für den Entschluß zur Selbsttötung in der psychischen Abartigkeit, um ein psychiatrisches Krankheitsbild habe es sich nicht gehandelt. Das LSG. wies durch Urteil vom 20. Dezember 1956 die Berufung zurück, es folgte im wesentlichen dem Gutachten von Prof. Dr. H und kam zu dem Ergebnis, K R sei zur Zeit der Tat in seiner freien Willensbestimmung wesentlich beeinträchtigt gewesen, die psychische Abartigkeit sei eine "wesentliche Teilursache" für die Selbsttötung gewesen, die Beeinträchtigung sei aber nicht durch Einflüsse des militärischen Dienstes "wesentlich mitverursacht" worden; die subjektive Belastungsfähigkeit des K. R. sei zwar bedeutend geringer gewesen als es dem Durchschnitt entsprochen habe, im Versorgungsrecht sei aber nicht die subjektive Belastbarkeit, sondern die objektive Belastung, gemessen an den durchschnittlichen Lebensverhältnissen, maßgebend; nur wenn durch militärischen Dienst überdurchschnittliche außergewöhnliche Anforderungen gestellt worden seien, seien die Belastungen als "wesentliche Mitursache" für den Entschluß zur Selbsttötung anzusehen, solche überdurchschnittlichen Belastungen hätten nicht vorgelegen; die durch den Wehrdienst bedingten äußeren Umstände seien nur die letzte Bedingung für den Entschluß zur Selbsttötung gewesen, aber nicht die wesentliche Mitursache, die abartige Persönlichkeitsstruktur habe so sehr überwogen, daß sie versorgungsrechtlich allein als "wesentliche Ursache" für die Beeinträchtigung der freien Willensbestimmung zur Zeit der Tat aufzufassen sei. Die Revision ließ das LSG. nicht zu. Das Urteil wurde der Klägerin am 15. Februar 1957 zugestellt. Am 14. März 1957 legte die Klägerin Revision ein, sie beantragte,

das angefochtene Urteil und die diesem zugrundeliegenden Vorentscheidungen aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, den Tod des Ehemannes der Klägerin als Schädigungsfolge nach dem BVG anzuerkennen und der Klägerin vom 1. November 1950 ab Witwenrente zu gewähren,

hilfsweise beantragte sie,

die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuverweisen.

Die Frist zur Revisionsbegründung wurde bis 15. Mai 1957 verlängert. Am 14. Mai 1957 begründete die Klägerin die Revision: Das LSG. habe die versorgungsrechtliche Kausalitätsnorm verletzt, die Revision sei daher nach § 162 Abs. 1 Nr. 3 SGG statthaft; sie sei auch begründet; im Rahmen der Ursachenwertung könnten nur die Verhältnisse des Einzelfalls maßgebend sein, also die Grenzen der subjektiven Belastbarkeit unter Berücksichtigung der vorhandenen Anlage, es komme nicht auf die objektive Belastung an; im vorliegenden Fall hätten die besonderen Umstände des Wehrdienstes auf dem Boden der bei Karl R vorhandenen Anlage zu dem Entschluß zur Selbsttötung geführt, diese Umstände seien daher die Ursache im Rechtssinne gewesen.

Der Beklagte beantragte,

die Revision als unzulässig zu verwerfen.

II

1. Das LSG. hat die Revision nicht zugelassen (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG); Mängel im Verfahren des LSG. sind nicht gerügt (§ 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG). Die Revision ist jedoch statthaft nach § 162 Abs. 1 Nr. 3 SGG; das LSG. hat bei der Beurteilung des ursächlichen Zusammenhangs des Todes des Karl R. mit einer Schädigung im Sinne des BVG das Gesetz verletzt.

2. Bei der Beurteilung des ursächlichen Zusammenhangs einer Gesundheitsstörung oder des Todes mit einer Schädigung im Sinne des BVG ist das Gesetz verletzt, wenn die Kausalitätsnorm, die für das Gebiet der Kriegsopferversorgung gilt, verletzt ist. Die Kausalitätsnormen sind nicht ausdrücklich in einer gesetzlichen Vorschrift niedergelegt, sie sind vielmehr für die einzelnen Rechtsgebiete als allgemein gültige, den ursächlichen Zusammenhang regelnde Rechtssätze von der Rechtslehre und von der Rechtsprechung entwickelt worden (BSG. 1 S. 268 ff.). Nach der für das Gebiet der Kriegsopferversorgung geltenden Kausalitätsnorm ist als ursächlich (im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne) nur diejenige Bedingung anzusehen, die im Verhältnis zu anderen Einzelbedingungen wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt hat (BSG. a.a.O. mit weiteren Hinweisen). Die Prüfung, ob eine Tatsache die für den Erfolg wesentliche Bedingung gewesen ist, bezieht sich auf die Frage, ob die Kausalitätsnorm richtig angewandt worden ist, also auf ein Tatbestandsmerkmal dieser Kausalitätsnorm (BSG. 7 S. 288 ff. (290)).

Das LSG. hat diese Kausalitätsnorm angewandt. Es ist zunächst zutreffend davon ausgegangen, daß die Klägerin dann Witwenrente nach den §§ 38, 39 BVG zu beanspruchen hat, wenn der Ehemann die Selbsttötung in einem die freie Willensbestimmung wesentlich beeinträchtigenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit begangen hat und wenn dieser Zustand mit Wahrscheinlichkeit durch Einwirkungen seines militärischen Dienstes verursacht worden ist (BSG. 1 S. 150 ff.); hierzu hat das LSG. festgestellt, daß Karl R. in der freien Willensbestimmung z.Zt. der Tat wesentlich beeinträchtigt gewesen ist. Diese Feststellung ist für das Bundessozialgericht (BSG.) bindend (§ 163 SGG). Das LSG. hat weiter geprüft, ob die Beeinträchtigung der freien Willensbestimmung durch Einflüsse des militärischen Dienstes "wesentlich mitverursacht" worden ist; dabei hat es zwar einerseits die psychische Abartigkeit als "wesentliche Teilursache" bezeichnet, es hat die Umstände des Wehrdienstes nicht als "wesentliche Mitursache" angesehen; da es aber andererseits abschließend zu dem Ergebnis gekommen ist, die abartige Persönlichkeitsstruktur sei versorgungsrechtlich allein als "wesentliche Ursache" anzusehen, hat es offensichtlich sagen wollen, daß von mehreren Bedingungen, die - im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne - für den Entschluß zur Selbsttötung ursächlich gewesen sind, die seelische Abartigkeit die wesentliche Bedingung und damit im Rechtssinne die alleinige Ursache gewesen ist; es hat damit im Ergebnis die in den Verhältnissen des Wehrdienstes liegende Bedingung für den eingetretenen Erfolg (den Entschluß zur Selbsttötung) abgewogen gegen die Bedingung, die in der abartigen Persönlichkeitsstruktur des Karl R. gelegen ist (vgl. hierzu BSG. SozR. Nr. 115 zu § 162 SGG). Die Klägerin wendet sich mit der Revision auch ausschließlich gegen diese Anwendung der Kausalitätsnorm, sie hat keine Revisionsrügen gegen die tatsächlichen Feststellungen des LSG. erhoben, sie hat im besonderen nicht die Feststellung des LSG. angegriffen, daß neben den vom LSG. als "letzte Bedingung" bezeichneten wehrdiensteigentümlichen Verhältnissen - auch - die abartige Persönlichkeit des Karl R eine Bedingung für seinen Entschluß zur Selbsttötung gewesen ist; die Klägerin wendet sich nur gegen die rechtliche Schlußfolgerung des LSG, daß diese Abartigkeit die wesentliche Bedingung und damit im Rechtssinne die Ursache gewesen ist. Zu dieser Schlußfolgerung ist das LSG. deshalb gekommen, weil es der Auffassung gewesen ist, daß Belastungen des Wehrdienstes nur dann als "wesentliche" Bedingung im Sinne des Versorgungsgesetzes angesehen werden dürfen, wenn der Wehrdienst "überdurchschnittliche, außerordentliche Anforderungen" gestellt habe; dabei ist es nach seiner Meinung nicht auf die subjektive Belastbarkeit angekommen, sondern auf die objektive Belastung. Damit ist aber die für das Gebiet der Kriegsopferversorgung geltende Kausalitätsnorm unrichtig angewandt worden; Das LSG. hat dieser Kausalitätsnorm einen Inhalt gegeben, den sie nicht hat, seine Erwägungen sind durch Rechtsirrtum über den Inhalt der Kausalitätsnorm bestimmt. Ob eine Bedingung "wesentlich" zu dem Erfolg beigetragen hat, kann nur nach den Umständen des besonderen Falles, über den zu entscheiden ist, beurteilt werden. Ein generalisierendes Moment enthält zwar die nach herrschender Meinung für das Gebiet des Zivilrechts maßgebende Kausalitätsnorm, wonach nur diejenige Bedingung Ursache im Rechtssinne ist, die mit dem eingetretenen Erfolg in einem "adäquaten" Zusammenhang steht, wonach also diejenigen Bedingungen nicht Ursache sind, die "nach allgemeiner Lebenserfahrung" für den Eintritt des Erfolgs gleichgültig gewesen sind. Die Möglichkeit des Eintritts eines bestimmten Erfolgs infolge der Bedingung darf nach dieser "Adäquanztheorie" nicht eine so entfernte sein, daß sie "nach der Auffassung des Lebens" vernünftigerweise nicht in Betracht gezogen werden kann. Ein solches generalisierendes Moment ist in dem für die Kausalität in der Kriegsopferversorgung maßgebenden Begriff der "Wesentlichkeit" einer Bedingung nicht enthalten. Ob eine Bedingung "wesentlich" ist, kann nicht danach beurteilt werden, ob sie "erfahrungsgemäß", im allgemeinen, unter gleichen Umständen bei anderen Personen den gleichen Erfolg herbeigeführt hätte, sondern nur nach den besonderen Umständen und der besonderen Einzelpersönlichkeit. Das LSG. hat also die Kausalitätsnorm verkannt, wenn es den militärischen Dienst des Ehemannes der Klägerin nur deshalb nicht als "wesentliche" Bedingung für den Entschluß zur Selbsttötung gehalten hat, weil nach "objektiven", also generalisierenden Maßstäben gleiche Umstände "für den Durchschnitt" der Masse der Soldaten nicht zur Selbsttötung geführt haben.

Wie der Senat bereits zu der Berücksichtigung seelischer Begleiterscheinungen nach § 30 Abs. 1 BVG 2. Halbsatz ausgeführt hat (BSG. 8 S. 209 ff.), enthält jede seelische Reaktion notwendig stets ein subjektives Moment, ein Moment also, das nicht nur nach einem als "normal" unterstellten Durchschnittsmaßstab und damit generell, sondern individuell zu bewerten ist. Ebenso kann es auch bei der Beurteilung der Frage, wie weit ein Mensch von versorgungsrechtlich erheblichen Ereignissen betroffen worden ist, nicht darauf ankommen, ob er nach einem von seiner Person unabhängigen, generalisierenden Maßstab mit diesen Verhältnissen äußerlich oder innerlich hätte fertig werden können, ob diese Ereignisse sich im Rahmen "durchschnittlicher, gewöhnlicher" Anforderungen gehalten haben, mit denen im allgemeinen, "generell" Menschen unter gleichen Umständen fertig zu werden pflegen - dies meint das LSG. offensichtlich mit der "objektiven Belastung, gemessen an den durchschnittlichen Lebensverhältnissen". Abgesehen davon, daß es einen "Durchschnittsmenschen" und damit auch einen Durchschnittsmaßstab in diesem Sinne nicht gibt, weil eine solche Bewertung nur auf einer Abstraktion aus der Fülle menschlicher individueller Beschaffenheiten beruht, kann auch in der Sozialversicherung und im Versorgungsrecht der Mensch immer nur so, wie er tatsächlich individuell beschaffen ist, rechtlich beurteilt werden. Das wird im Versorgungsrecht und in der Sozialversicherung auch nicht in Zweifel gezogen, soweit es sich um die körperliche Reaktion auf äußere Umstände handelt; der Mensch, der sich als Folge des Wehrdienstes nur deshalb ein Herzleiden zugezogen hat, weil sein Herz nach einem generalisierenden Maßstab nicht so belastbar gewesen ist, wie es dem "Durchschnitt" entspricht, oder der nur deshalb einen Berufsunfall erlitten hat, weil er nicht so schnell reagiert hat wie sonst ein "normaler", wird nur so beurteilt, wie er zu der Zeit, zu der er von dem äußeren Geschehen betroffen worden ist, tatsächlich gewesen ist; bei der Bemessung seines Versorgungsanspruchs oder seines Anspruchs auf Rente aus der Sozialversicherung ist der Zustand maßgebend, in dem er von dem äußeren Ereignis betroffen worden ist. Auf psychischem Gebiet kann nichts grundsätzlich anderes gelten. Es kommt auch insoweit nicht darauf an, wie "im Durchschnitt" Menschen zu reagieren pflegen, sondern darauf, wie gerade dieser Mensch nach der Struktur seiner Persönlichkeit hat reagieren können und müssen. Vorausgesetzt wird allerdings bei jedem Betroffenen die sittliche und seelische "Anspannung" (vgl. BGHSt. 2 S. 184 ff.), "seinen Willen gemäß den Anforderungen seiner Situation zu steuern und seinen Begehrensvorstellungen Widerstand entgegenzusetzen" (BGHZ. 20 S. 137 ff.); wie weit er dazu aber entsprechend seinem seelischen Zustand, seiner möglicherweise abartigen seelischen Reaktionsweise in der Lage ist, kann nur im Einzelfalle beurteilt werden. Auch der Bundesgerichtshof (BGH.) hat - unter Hinweisen auf die Rechtsprechung des Reichsgerichts (RG.) - zu der Frage der Haftung des Schädigers für Neuroseschäden ausgeführt: "Muß aber zugunsten des Klägers davon ausgegangen werden, daß ohne das Unfallgeschehen eben der seelische Zustand nicht vorliegen würde, der die Wiedereinführung des Klägers in das Arbeitsleben erschwert, so kann der ursächliche Zusammenhang auch dann nicht verneint werden, wenn eine wesentliche Mitursache dieses Zustandes in der seelisch anfälligen Persönlichkeit des Klägers liegt". Nach dem Urteil desselben Senats vom 10. Juni 1958 (NJW. 1958 S. 1579 ff.) ist "zu fragen, wie sich die vom (ärztlichen) Gutachter bestätigten körperlichen und seelischen Gesundheitsstörungen auf den Betroffenen unter Berücksichtigung seiner Persönlichkeitsartung und seiner konkreten Lebensverhältnisse im Zeitpunkt des Unfalls oder der Krankheit ausgewirkt haben". Diese Betrachtungsweise ist nicht nur maßgebend für das bürgerliche Recht, sondern auch für das Recht der Kriegsopferversorgung, das im weiteren Sinne ebenfalls einen begrenzten Ausgleich des durch den Wehrdienst entstandenen Schadens anstrebt. Der Senat geht davon aus, daß in der Kriegsopferversorgung auch die Wirkung äußerer Ereignisse auf das Empfinden und Wollen des Betroffenen zu beachten ist, da der Kausalitätsablauf durch die einem Menschen eigentümliche Reaktionsweise nicht abgebrochen wird (vgl. hierzu auch Glücklich, Sozialgerichtsbarkeit 1955, S. 290 ff.; Grömig, Deutsche Versicherungszeitschrift 1956 S. 80 ff. mit weiteren Hinweisen). Für die Frage, wieweit ein Selbstmord, der im Zustand einer wesentlichen Beeinträchtigung der freien Willensbestimmung begangen ist, Schädigungsfolge im Sinne des Versorgungsrechts ist, bedeutet dies, daß vom Einzelfalle und damit auch von der etwaigen konstitutionsbedingten Schwäche, aber auch von einer etwaigen psychischen Labilität auszugehen und zu fragen ist, wie die wehrdiensteigentümlichen Verhältnisse gerade auf diesen Menschen gewirkt haben; wenn sich ergibt, daß er auch bei der ihm zumutbaren Anspannung seines Willens nicht mit den wehrdienstbedingten Umständen hat fertig werden können und wenn andere Umstände als der Wehrdienst, die als Ursache für den Entschluß zur Selbsttötung in Betracht kommen, auszuschließen sind, sind die wehrdiensteigentümlichen Verhältnisse als wesentliche Bedingung im Sinne der versorgungsrechtlichen Kausalitätsnorm anzusehen.

Im vorliegenden Fall hat das LSG. festgestellt, Karl R habe sich im Zeitpunkt der Selbsttötung in einem Zustand befunden, in dem seine Willensbestimmung wesentlich beeinträchtigt gewesen ist. Als "Ursache" dieses Zustandes im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinn hat das LSG. einerseits die von dem ärztlichen Gutachter bestätigte "psychische Abartigkeit", die nach seinem Gutachten "ins Psychopathische und ins Depressive" gehenden Züge, und andererseits die äußeren Umstände des Einsatzes in Rußland in Betracht gezogen. Es hat dabei zwar festgestellt, daß überdurchschnittliche, außergewöhnliche Anforderungen an Karl R nach den konkreten Umständen seines Einsatzes in Rußland nicht gestellt worden sind. Hierauf ist es aber - wie bereits ausgeführt ist - nicht entscheidend angekommen. Auch wenn das LSG. weitere Bedingungen für den Entschluß zur Selbsttötung - wie etwa familiäre Verhältnisse, Auseinandersetzungen mit Vorgesetzten und Kameraden, Furcht vor einer Strafe oder vor der Entwicklung eines bereits bestehenden, vom Wehrdienst unabhängigen Leidens, Sorge um die Familie, Trunkenheit und dergleichen - nicht hat ermitteln können, so hat es doch nicht, wie es dies getan hat, dahingestellt lassen dürfen, ob wirklich die äußeren und inneren Umstände des Einsatzes in Rußland die "letzte" Bedingung und nach der Kausalitätsnorm des Rechts der Kriegsopferversorgung möglicherweise die wesentliche Bedingung für den Entschluß gerade des Ehemanns der Klägerin gewesen sind. Da die Revision nach § 162 Abs. 1 Nr. 3 SGG statthaft und auch in gehöriger Frist und Form eingelegt ist, ist sie sonach zulässig.

3. Die Revision ist auch begründet. Es ist möglich, daß das Urteil des LSG. anders ausfällt, wenn die Kausalitätsnorm richtig angewandt wird. Das Urteil des LSG. ist deshalb aufzuheben. Das LSG. wird den Sachverhalt nicht unter dem Gesichtspunkt der "außergewöhnlichen, überdurchschnittlichen Belastung" und nach dem Maßstab der "generellen" Belastbarkeit, sondern danach zu prüfen haben, ob nach der besonderen "individuellen" Belastung und Belastbarkeit des Ehemanns der Klägerin festzustellen ist, daß nur die Umstände des Einsatzes in Rußland ihn zu dem Entschluß zur Selbsttötung gebracht haben. Der Senat hat insoweit das Ergebnis des Verfahrens nicht selbst würdigen und keine eigenen tatsächlichen Feststellungen treffen können. Die Sache ist deshalb an das LSG. zu neuer Entscheidung zurückzuverweisen (§ 170 Abs. 2 Satz 2 SGG). Kommt das LSG. zu dem Ergebnis, es lasse sich nicht feststellen, welche Bedingung - die Persönlichkeit des Klägers, Umstände des Wehrdienstes oder andere vom Wehrdienst unabhängige Verhältnisse - zu dem Entschluß zur Selbsttötung geführt habe, so ist der Anspruch der Klägerin abzulehnen; auch in Angelegenheiten der Kriegsopferversorgung gilt der Grundsatz der objektiven Beweislast, insbesondere der Feststellungslast; nach diesem Grundsatz muß es die Klägerin gegen sich gelten lassen, wenn nicht festgestellt werden kann, daß auch bei Berücksichtigung der psychischen Abartigkeit des K R die Umstände des Wehrdienstes die wesentliche Bedingung und damit im Rechtssinn die Ursache für den Entschluß zur Selbsttötung gewesen sind (BSG. 6 S. 70 ff.).

Die Entscheidung über die Kosten bleibt dem Schlußurteil vorbehalten.

 

Fundstellen

BSGE, 50

NJW 1960, 406

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