Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. Hilfsmittelversorgung. Abgrenzung der Leistungspflicht von der Vorhaltepflicht eines Einrichtungsträgers

 

Orientierungssatz

1. Die Pflicht des Trägers einer Einrichtung der Behindertenhilfe zur Vorhaltung notwendiger Pflegehilfsmittel lässt den Anspruch eines gesetzlich krankenversicherten Bewohners auf Bereitstellung eines sowohl dem Behinderungsausgleich als auch der Pflegerleichterung dienenden Hilfsmittels durch die Krankenkasse nur entfallen, wenn nach der Vereinbarung gemäß § 75 Abs 3 SGB 12 oder dem Heimvertrag dieses Hilfsmittel vom Einrichtungsträger konkret bereitzustellen ist (Anschluss an LSG München vom 29.6.2006 - L 4 KR 253/03 = Breith 2007, 283). Auf die Bestimmung des Nutzerkreises der Einrichtung an Hand von Pflegestufen kommt es dabei ebenso wenig an wie auf die Frage, ob bei der Zweckbestimmung des Hilfsmittels die Pflege im Vordergrund steht, weil eine Selbstbestimmung und Teilhabe am Leben in der Gesellschaft nicht mehr möglich ist und eine Rehabilitation damit nicht mehr stattfindet (Entgegen LSG Erfurt vom 28.1.2013 - L 6 KR 955/09 = HSP § 43a SGB XI Nr 3.3 und LSG Stuttgart vom 15.8.2014 - L 4 P 4137/13 = PflR 2015, 103).

2. Aktenzeichen beim LSG Chemnitz: L 1 KR 193/15.

 

Tenor

I. Der Bescheid vom 13.01.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.06.2014 wird aufgehoben.

Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger mit einem Duschrollstuhl mit Becken- und Brustgurt zu versorgen.

II. Die Beklagte hat dem Kläger die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Verfahrens zu erstatten.

III. Die Berufung ist zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Bereitstellung eines Duschrollstuhls.

Der 1977 geborene, bei der Beklagten gesetzlich krankenversicherte Kläger leidet an infantiler Cerebralparese, Epilepsie, Skoliose und einem operierten Klumpfuß. Der Kläger wird durch seinen Vater als Betreuer gesetzlich vertreten. Er ist pflegebedürftig nach Pflegestufe III.

Seit dem 07.05.2004 wohnt der Kläger in einem Wohnheim für behinderte Menschen der Beigeladenen zu 1, einer Einrichtung der Behindertenhilfe im Sinne von § 43a und § 71 Abs. 4 SGB XI. Die Rechtsverhältnisse zwischen dem Kläger und der Beigeladenen zu 1 regelt ein Heimvertrag vom 28.09.2004 (Bl. 35 ff. der Sozialgerichtsakte).

Der zu 2 beigeladene überörtliche Sozialhilfeträger trägt die Kosten des Aufenthalts im Wohnheim für behinderte Menschen der Beigeladenen zu 1 als Leistung der Eingliederungshilfe. Zur Ermittlung der Vergütung der Beigeladenen zu 1 ist der Kläger der Hilfebedarfsgruppe 4 zugeordnet. Die Rechtsverhältnisse zwischen der Beigeladenen zu 1 und dem Beigeladenen zu 2 regelt die Vereinbarung nach § 75 Abs. 3 SGB XII vom 01.10.2007 (Bl. 48 ff. der Sozialgerichtsakte) in Verbindung mit dem Rahmenvertrag gemäß § 79 Abs. 1 SGB XII für den Freistaat Sachsen vom 29.06.2006 (Bl. 83 ff. der Sozialgerichtsakte).

Am 09.12.2013 beantragte der Kläger unter Vorlage einer Verordnung der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dipl.-Med. Sch. vom 25.11.2013 und eines Kostenvoranschlags der Rehatechnik Israel vom 05.12.2013 über 1.024,71 EUR die Versorgung mit einem Duschrollstuhl (HMV Nr. 18.46.03.0032) nebst Becken- und Brustgurt.

Mit Bescheid vom 13.01.2014 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Die Kosten von Rollstühlen für Bewohner von Einrichtungen der Behindertenhilfe würden nur übernommen, wenn es sich um überwiegend im Rahmen des Behinderungsausgleichs einer medizinischen Rehabilitation eingesetzte oder individuell angepasste Hilfsmittel handele. Werde ein Hilfsmittel dagegen für den üblichen Pflegebetrieb, beispielsweise zur Sicherung der Grundpflege (Lagerung, Transfer, Mobilisation, Körperpflege, Hygiene) und gegebenenfalls von mehreren Bewohnern genutzt, sei nicht die gesetzliche Krankenversicherung, sondern die Einrichtung der Behindertenhilfe zu dessen Bereitstellung verpflichtet. Hier handele es sich nicht um ein individuell angepasstes Hilfsmittel, sondern nur um ein individuell einstellbares Serienfabrikat.

Den am 27.01.2014 hiergegen erhobenen Widerspruch vom 23.01.2014 begründete der Vertreter des Klägers damit, der Kläger könne ohne orthopädische Schuhe nicht stehen und erst recht nicht duschen. Der Duschrollstuhl diene dem Behinderungsausgleich und erleichtere zugleich die Pflege. Aus hygienischen Gründen sei eine Mitnutzung durch andere Bewohner nicht erwünscht. Bei dem Wohnheim handele es sich nicht um ein Pflegeheim, sondern um eine Einrichtung der Behindertenhilfe im Sinne des § 43a SGB XI.

Die Beklagte half dem Widerspruch mit der Begründung nicht ab, der Duschrollstuhl solle zu grundpflegerischen Verrichtungen bzw. primär zum Transport zu pflegerischen Verrichtungen genutzt werden. Er sei ein Serienfabrikat. In Folge der Zuerkennung der Pflegestufe III zahle bereits die Pflegekasse Leistungen an den Beigeladenen zu 2. Trägern von Einrichtungen der Behindertenhilfe stelle bereits der Beigeladene zu 2 finanzielle Mittel für Investitionen zur Verfügung.

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