Entscheidungsstichwort (Thema)

Minderung des Arbeitslosengeld II. Meldeversäumnis. Nichterscheinen zur ärztlichen Untersuchung. § 32 SGB 2 nF als lex specialis. fehlender Sanktionsbescheid

 

Leitsatz (amtlich)

Soweit es um das Nichterscheinen zu einem angeordneten ärztlichen Untersuchungstermin geht, enthält die am 1.4.2011 in Kraft getretene Bestimmung des § 32 SGB 2 idF des Gesetzes vom 24.3.2011 (BGBl I, 2011, 453-456) eine spezielle Regelung, die die allgemeine Vorschrift des § 66 SGB 1 in seinem Anwendungsbereich verdrängt.

 

Orientierungssatz

Die Minderung des Arbeitslosengeld II tritt zwar kraft Gesetzes ein, bedarf aber gleichwohl eines feststellenden Verwaltungsaktes, um Wirkung zu entfalten (vgl BSG vom 17.12.2009 - B 4 AS 20/09 R = BSGE 105, 194 = SozR 4-4200 § 31 Nr 2 und vom 9.11.2010 - B 4 AS 27/10 R = SozR 4-4200 § 31 Nr 6 = NJW 2011, 2073). Insofern ordnet § 32 Abs 2 S 2 SGB 2 nF die entsprechende Geltung des § 31b Abs 1 S 1 SGB 2 an.

 

Tenor

Auf die Beschwerde des Antragsstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Itzehoe vom 22. Juni 2011 aufgehoben. Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller beginnend mit Mai 2011 vorläufig monatliche Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe der bis April 2011 gewährten Leistungen für sechs Monate zu gewähren. Dabei tritt diese Anordnung bei einer etwaigen Sanktionierung des Antragstellers wegen Nichtwahrnehmung des Untersuchungstermins am 11. Mai 2011 in Höhe der ausgesprochenen Sanktion hinter diese zurück.

Die weiter gehende Beschwerde des Antragstellers wird zurückgewiesen.

Der Antragsgegner hat dem Antragsteller die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens zu erstatten.

Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren unter Beiordnung von Rechtsanwältin S..., K..., wird abgelehnt.

 

Gründe

I.

Der Antragsteller begehrt im Wege vorläufigen Rechtsschutzes die Gewährung laufender Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).

Der Antragsteller bezog zunächst bis 31. Januar 2010 von dem Antragsgegner Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Der Ärztliche Dienst der Bundesagentur für Arbeit führte in einem Gutachten vom 2. Januar 2010 aus, der Antragsteller könne Tätigkeiten im Umfang von täglich weniger als drei Stunden verrichten. Die Einschränkungen bestünden voraussichtlich länger als sechs Monate, aber nicht auf Dauer. Hierauf stellte der Antragsgegner die Leistungsgewährung zunächst ein; der Antragsteller erhielt Sozialhilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) von der Stadt I. Nachdem die Deutsche Rentenversicherung Nord mit Bescheid vom 16. Februar 2010 mitgeteilt hatte, dass die Erwerbsfähigkeit des Antragstellers nicht erheblich gefährdet oder gemindert sei, bezog der Antragsteller ab 1. Mai 2010 wieder Leistungen nach dem SGB II. Zuletzt erfolgte mit Änderungsbescheid vom 26. März 2011 die Bewilligung der Regelleistung abzüglich einer sanktionsbedingten Minderung um 10% für die Zeit bis 30. April 2011.

Am 18. April 2011 stellte der Antragsteller einen Fortzahlungsantrag. Mit Schreiben vom 27. April 2011 forderte der Antragsgegner ihn auf, auf die gesondert erfolgende Aufforderung zu einer ärztlichen Untersuchung zunächst deren Ergebnis mitzuteilen. Mit weiterem Schreiben vom 2. Mai 2011 forderte der Antragsgegner den Antragsteller unter Hinweis auf die §§ 60ff. Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) auf, am 11. Mai 2011 zum Zwecke einer sozialmedizinischen Beurteilung bei Dr. A... in H... zu erscheinen. Den Untersuchungstermin nahm der Antragsteller nicht wahr; Gründe dafür teilte er zunächst nicht mit. Hierauf erließ der Antragsgegner einen auf §§ 60, 66 SGB I gestützten Bescheid vom 18. Mai 2011, mit dem er die beantragten Leistungen ab 1. Mai 2011 versagte. Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies der Antragsgegner mit Widerspruchsbescheid vom 23. Juni 2011 als unbegründet zurück.

Am 23. Mai 2011 hat der Antragsteller bei dem Sozialgericht Itzehoe sinngemäß beantragt,

den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm vorläufig Leistungen nach dem SGB II seit Antragstellung zu gewähren.

Zur Begründung hat er im Wesentlichen geltend gemacht, dass der Antragsgegner die beantragte Leistung nicht vollständig nach §§ 60, 66 SGB I versagen dürfe; in Betracht komme allenfalls eine Sanktion nach dem SGB II. Im Übrigen habe er den Untersuchungstermin nicht wahrnehmen können, weil der Antragsgegner ihm nicht zuvor Reisekosten zur Verfügung gestellt habe.

Der Antragsgegner ist dem Antrag entgegen getreten und hat insbesondere seine Auffassung dargelegt, dass die in § 32 SGB II vorgesehenen Sanktionsmöglichkeit ein Verfahren nach §§ 60ff. SGB I nicht ausschließe. Dazu hat der Antragsgegner den Inhalt seines Bescheides vom 18. Mai 2011 weiter vertieft.

Mit Beschluss vom 22. Juni 2011 hat das Sozialgericht den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt. Auf die Entscheidungsgründe w...

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