Leitsatz (amtlich)

Der Bescheid einer Krankenkasse über die Berechnung von Sozialversicherungsbeiträgen ist rechtswidrig, wenn darin die Versicherten, auf die sich der Bescheid bezieht, nicht mit Namen genannt oder wenigstens so genau bezeichnet sind, daß sie eindeutig bestimmt werden können (Fortführung von BSG 1977-12-01 12 RK 13/77 = BSGE 45, 206).

 

Normenkette

SGB 10 § 33 Abs 1 Fassung: 1980-08-18; SVBehindertenG Art 1 § 1 Fassung: 1975-05-07, § 4 Fassung: 1975-05-07, § 8 Fassung: 1975-05-07

 

Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 07.08.1980; Aktenzeichen L 16 Kr 37/79)

SG Köln (Entscheidung vom 29.01.1979; Aktenzeichen S 19 Kr 251/77)

 

Tatbestand

Streitig ist, ob für Behinderte in geschützten Einrichtungen Sozialversicherungsbeiträge nach Mindestentgelten auch für solche Zeiten abgeführt werden müssen, in denen die Behinderten ohne Urlaub oder Krankmeldung fehlen oder ohne Entgelt beurlaubt sind.

Die Klägerin beschäftigt in ihren Werkstätten Behinderte, die nach § 1 des Gesetzes über die Sozialversicherung Behinderter in geschützten Einrichtungen (SVBG) bei der Beklagten kranken- und bei den Beigeladenen rentenversichert sind. Für die genannten Fehlzeiten zahlt die Klägerin kein Entgelt und entrichtet auch keine Sozialversicherungsbeiträge, auch nicht die Mindestbeiträge gemäß §§ 4, 8 SVBG. Mit Bescheid vom 6. Juli 1977 teilte die Beklagte als Einzugsstelle der Beiträge der Klägerin mit, daß für die Behinderten auch bei unentschuldigten Fehlzeiten mindestens Beiträge auf der Berechnungsgrundlage des monatlichen Mindestentgelts zu entrichten seien, und forderte die Klägerin auf, künftig entsprechend zu verfahren. Dem Widerspruch der Klägerin half die Beklagte nach Anhörung der beigeladenen Rentenversicherungsträger nicht ab (Widerspruchsbescheid vom 22. November 1977). Das Sozialgericht (SG) Köln hob die angefochtenen Bescheide entsprechend dem Antrag der Klägerin auf (Urteil vom 29. Januar 1979). Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) für das Land Nordrhein-Westfalen das Urteil des SG abgeändert und die Klage abgewiesen (Urteil vom 7. August 1980). Das LSG hat aus Sinn und Zweck der §§ 4, 8 SVBG gefolgert, daß bei einer durchlaufenden Beschäftigung das fiktive monatliche Mindestentgelt bei der Beitragsberechnung nicht unterschritten werden dürfe und daß deshalb auch sogenannte Bummeltage keine Kürzung rechtfertigten.

Mit der - vom LSG zugelassenen - Revision rügt die Klägerin die Verletzung der §§ 4 und 8 SVBG.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung

gegen das Urteil des SG zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Die Beigeladenen haben keine Anträge gestellt.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Klägerin ist begründet; das SG hatte im Ergebnis zu Recht die Verwaltungsentscheidungen der Beklagten aufgehoben.

Der Rechtsstreit betrifft die Frage, ob Beiträge zur Kranken- und Rentenversicherung für die in einer geschützten Einrichtung iS des SVBG beschäftigten Behinderten auch für solche Tage nach den Mindestentgelten der §§ 4, 8 SVBG zu entrichten sind, für die den Behinderten kein Entgelt gezahlt worden ist, weil sie entweder unbezahlten Urlaub erhalten oder ohne Beurlaubung gefehlt hatten. Diese Frage kann als solche, dh als eine nicht auf ein bestimmtes Rechtsverhältnis bezogene Rechtsfrage, nicht Regelungsgegenstand eines Verwaltungsaktes und deshalb auch nicht Streit- und Entscheidungsgegenstand eines sozialgerichtlichen Verfahrens sein; denn anders als ein Rechtssatz, der für einen lediglich gedachten Tatbestand eine abstrakte Rechtsfolge anordnet, kann ein Verwaltungsakt nur "zur Regelung eines Einzelfalles", dh eines konkreten, in der Lebenswirklichkeit gegebenen Sachverhalts ergehen (§ 31 Satz 1 des Zehnten Buchs des Sozialgesetzbuchs - Verwaltungsverfahren - -SGB 10-).

Dazu gehört im Beitragsrecht der Sozialversicherung, daß sich die Regelung des Verwaltungsakts auf bestimmte Personen bezieht, die darin mit ihren Namen oder wenigstens so deutlich bezeichnet werden, daß sie ohne weiteres festgestellt werden können. Ob der Verwaltungsakt darüber hinaus in seinem "verfügenden Teil" (vgl § 37 Abs 4 SGB 10) noch weiter konkretisiert sein muß, ob insbesondere bei der Entrichtung von Beiträgen diese ausdrücklich für einen bestimmten Zeitraum und in bestimmter Höhe gefordert werden müssen, oder ob es nicht auch zulässig ist, die Beitragsforderung zunächst nur dem Grunde nach - beschränkt auf die jeweils streitigen Elemente der Forderung - geltend zu machen, braucht hier nicht entschieden zu werden. Notwendig ist jedenfalls eine Konkretisierung des Verwaltungsakts insoweit, als es sich um die von ihm betroffenen Personen handelt; daher ist der Erlaß eines Verwaltungsakts, der sich an einen nur nach allgemeinen Merkmalen bestimmten oder bestimmbaren Personenkreis richtet (vgl die Definition der Allgemeinverfügung in § 31 Satz 2 SGB 10), im Beitragsrecht der Sozialversicherung unzulässig. Hier ist vielmehr ein Verwaltungsakt nur dann "inhaltlich hinreichend bestimmt" (§ 33 Abs 1 SGB 10), wenn er auch die betroffenen Personen genügend deutlich bezeichnet (zu der entsprechenden Vorschrift in § 37 Abs 1 des Verwaltungsverfahrensgesetzes des Bundes vom 25. Mai 1976, BGBl I 1253, vgl die Kommentare von Stelkens/Bonk/Leonhardt, Randziff 10, und von Kopp, 2. Aufl, Randziff 7, wobei letzterer auch auf "personenbezogene" Verwaltungsakte wie Erlaubnisse uä verweist).

Auf eine solche Bezeichnung der Personen kann schon aus Gründen der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit nicht verzichtet werden; nur dann ist vor allem der Personenkreis, für und gegen den der Verwaltungsakt bindend werden soll, eindeutig bestimmt (vgl Kopp aaO § 37, Randziff 2). Auch ist nur bei einer - hinreichend deutlichen - Benennung bestimmter Personen sichergestellt, daß diese zum Verwaltungsverfahren und - nach Klageerhebung - zum sozialgerichtlichen Verfahren hinzugezogen werden und als anhörungspflichtige Beteiligte ihre Interessen sachgemäß vertreten können (vgl § 12 Abs 2, § 24 SGB 10; § 75 SGG).

Der Senat hat deshalb schon früher den Bescheid einer Einzugsstelle, in dem nur die Versicherungspflicht (Beitragspflicht) einer bestimmten Tätigkeit festgestellt war, ohne daß eine bestimmte, diese Tätigkeit ausübende Person namentlich genannt war, für unzulässig gehalten (BSGE 45, 206 = SozR 2200 § 1227 Nr 10; vgl auch BSGE 37, 114 und 41, 297 = SozR 2200 § 1399 Nr 1 und Nr 4, ferner die Urteile des Senats vom 29. April 1976, 12/3 RK 38/75, und vom 23. Februar 1977, 12 RK 34/76 = USK 7630 und 7713). Das gleiche gilt, wenn - wie im vorliegenden Fall - nicht oder nicht mehr über die Versicherungs- bzw Beitragspflicht als solche, sondern nur über die Höhe der Beiträge gestritten wird. Auch in diesem Fall muß mithin der Bescheid der Einzugsstelle mindestens die betroffenen Versicherten hinreichend deutlich bezeichnen. Daran fehlt es in der angefochtenen Entscheidung. Diese ist deshalb schon aus diesem Grunde als rechtswidrig aufzuheben, und zwar ohne Rücksicht darauf, ob die ihr zugrunde liegende Rechtsauffassung zutrifft.

Auf die Revision der Klägerin hat der Senat daher das Urteil des LSG aufgehoben und die Berufung der Beklagten zurückgewiesen, ohne daß es dem Senat möglich war, die an sich beachtlichen Rechtsausführungen des LSG sachlich zu prüfen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Breith. 1982, 939

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Kranken- und Pflegeversicherungs Office. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen