Leitsatz (redaktionell)

Zu den Anforderungen an eine Fortbildungsmaßnahme und deren Zugangsvoraussetzungen (hier: Abgrenzung von Maßnahmen in Studienform zu Vollstudium).

 

Normenkette

AFG § 41 Abs. 1 Fassung: 1969-06-25; AFuU § 2 Abs. 2 Fassung: 1969-12-18, Abs. 6 S. 3 Fassung: 1969-12-18; AFG § 34 Fassung: 1969-06-25

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 16. Juli 1974 aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Förderung seines dreisemestrigen Studiums an der Staatlichen Ingenieurschule für Maschinenwesen in S.

Der 1946 geborene Kläger erlernte nach Abschluß der mittleren Reife den Beruf eines Maschinenschlossers. Das daran anschließende Studium eines Maschinenbau-Ingenieurs (grad.) schloß er im September 1969 erfolgreich ab. Von Oktober 1969 bis Ende August 1970 war er in der Industrie tätig.

Am 3. August 1970 beantragte der Kläger beim Arbeitsamt, die Fortbildung zum Wirtschaftsingenieur zu fördern. Es handelte sich um ein dreisemestriges Studium an der Staatlichen Ingenieurschule für Maschinenwesen in S in der Zeit vom 1. September 1970 bis 15. Januar 1972. Am Ende des Lehrgangs hatte der Student eine Prüfung vor der staatlichen Prüfungskommission abzulegen.

Das Arbeitsamt lehnte den Antrag des Klägers durch Bescheid vom 17. Dezember 1970 mit der Begründung ab, daß das Studium nicht den für die berufliche Fortbildung erforderlichen Voraussetzungen für eine Förderung entspreche. Den Widerspruch des Klägers wies die Beklagte im Widerspruchsbescheid vom 20. April 1971 zurück. Auch seine Klage blieb erfolglos (Urteil des Sozialgerichts - SG - Lübeck vom 8. Juni 1972).

Auf die Berufung des Klägers hat das Schleswig-Holsteinische Landessozialgericht (LSG) die Entscheidung des SG sowie die angefochtenen Bescheide aufgehoben und die Beklagte verurteilt, die Teilnahme des Klägers an dem in Rede stehenden Studium als Teilnahme an einer Maßnahme der beruflichen Fortbildung zu fördern und Leistungen in gesetzlicher Höhe zu gewähren (Urteil vom 16. Juli 1974). Das LSG hat die Revision zugelassen. - Es hat das Studium des Klägers inhaltlich als eine Maßnahme der beruflichen Fortbildung im Sinne von § 41 AFG angesehen und im einzelnen ausgeführt: Die nach dieser Vorschrift erforderlichen Zugangsvoraussetzungen seien erfüllt. Objektive, vom Maßnahmeträger überwachte Voraussetzung der Teilnahme an dem Studium sei nämlich der erfolgreiche Abschluß eines Studiums an einer staatlichen Ingenieurschule, also eine in sich abgeschlossene Berufsausbildung. Diese Feststellung beruht auf eingeholten Auskünften der Gesamthochschule S. - Das LSG hat ferner festgestellt, daß das dreisemestrige Studium des Klägers schulorganisatorisch zwar mit dem normalen Studiengang an der Ingenieurschule, der sechs Semester dauere, verbunden sei, nämlich in der Weise, daß der Kläger den sogenannten Hauptstudiengang, das ist für den Normalstudenten das vierte bis sechste Semester, besucht. Es hat dann bereits ausgeführt, funktionell sei das Studium des Klägers jedoch vom normalen Studiengang getrennt. Es hat es infolgedessen für unschädlich gehalten, daß im eigentlichen Unterrichtsbetrieb keine eindeutige Trennung zwischen der Ausbildung der regulären Studenten und der Fortbildung der bereits graduierten Ingenieure vorgenommen worden sei, sondern daß viele der Veranstaltungen von den Teilnehmern beider Gruppen gemeinsam besucht worden seien. Diese organisatorische Zusammenfassung der funktionell getrennten Maßnahmen beruhte nämlich auf der Notwendigkeit, mit den seinerzeit vorhandenen schulorganisatorischen und wirtschaftlichen Möglichkeiten den Bedarf an Ingenieuren mit einer bestimmten Qualifikation zu befriedigen. - Dem Anspruch des Klägers stehe auch nicht die Regelung in § 2 Abs. 6 der Anordnung des Verwaltungsrats der Bundesanstalt für Arbeit (BA) über die individuelle Förderung der beruflichen Fortbildung und Umschulung vom 18. Dezember 1969 (ANBA 1970, 85 - AFuU 1969 -) entgegen. Der Studienabschluß der graduierten Ingenieure weise nämlich wesentliche, auf deren Fortbildung ausgerichtete Besonderheiten auf; während der Normalstudent erst mit dem Abschluß des sechssemestrigen Studiums die Berufsbezeichnung "graduierter Ingenieur" führen dürfe, besäßen Bewerber wie der Kläger diesen Status bereits. Ihnen würde mit dem Abschluß keine weitere Graduierung verliehen; sie erhielten vielmehr nach erfolgreicher Abschlußprüfung lediglich ein Zeugnis über die in den einzelnen Fächern erreichten Noten. Die Beklagte könne sich auch nicht darauf berufen, daß Fortbildungsmaßnahmen dieser Art nur gefördert werden dürften, wenn sie nicht länger als zwei Semester dauerten. Für eine derartige Einschränkung ergebe sich weder aus dem Gesetz noch aus der AFuU 1969 eine Grundlage. Auch die übrigen Voraussetzungen des Gesetzes für eine Förderung sind nach den Feststellungen des LSG gegeben.

Gegen das Urteil des LSG hat die Beklagte form- und fristgerecht die zugelassene Revision eingelegt und begründet. Sie rügt eine Verletzung des § 41 Abs. 1 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) und § 2 Abs. 6 Satz 3 AFuU 1969 und führt hierzu insbesondere aus: Bei dem Studium des Klägers habe es sich nicht um eine Fortbildungsmaßnahme im Sinne des § 41 Abs. 1 AFG gehandelt. Nach den Feststellungen des LSG sei das Studium insgesamt auf die Zwecke der Heranbildung von Wirtschaftsingenieuren ausgerichtet und im Aufbau und Ablauf für alle Teilnehmer gleich gewesen. Weder nach Stoff- noch nach Zeitplan habe es für die Teilnehmer am Aufbaustudium Unterschiede zu den ordentlich Studierenden gegeben. Beide Teilnehmergruppen hätten dieselben Vorlesungen gemeinsam besucht; das Studium habe auch zu gleichen Abschlußprüfungen geführt. Es habe sich sonach um eine einheitliche Maßnahme gehandelt. Infolgedessen könne das Studium auch gar nicht von der nach § 41 Abs. 1 AFG verlangten generellen Voraussetzung eines bestimmten Berufsabschlusses oder einer spezifischen Berufserfahrung abhängig gewesen sein, weil für einen Teil der Studierenden jedenfalls abweichende Zugangsvoraussetzungen gegolten hätten. Aus dem Umstand, daß das Studium für beide Teilnehmergruppen inhaltsgleich gewesen sei, folge ferner, daß es nicht auf der abgeschlossenen Berufsausbildung der graduierten Ingenieure aufbauen konnte, sondern allenfalls auf deren Vorkenntnisse, welche die regulär Studierenden allein durch das Grundstudium erwerben konnten. Die Förderung des Studiums müsse daher schon daran scheitern, daß es nicht zwingend für alle Teilnehmer eine abgeschlossene Berufsausbildung oder angemessene Berufserfahrung vorausgesetzt habe. Derart spezielle wirtschaftswissenschaftliche Aufbaustudien, die nur graduierten Ingenieuren zugänglich gewesen seien, habe das Land Nordrhein-Westfalen erst ab 1971 eingerichtet. - Darüber hinaus stehe der Förderung auch § 2 Abs. 6 Satz 3 AFuU 1969 entgegen, denn das Studium ende mit einem Abschluß, der üblicherweise an einer Ingenieurschule erreicht werde. Auch wenn den graduierten Ingenieurstudenten eine weitere Graduierung nicht verliehen worden sei, hätten sie doch ein qualifizierendes Abschlußzeugnis erhalten. - Schließlich stehe es dem Anspruch des Klägers entgegen, daß die von ihm besuchte Maßnahme im Vollzeitunterricht länger als ein Jahr oder zwei Semester gedauert habe. Insoweit sei die Anwendung der Regelung in § 2 Abs. 2 Satz 1 AFuU 1969 analog auf alle Bildungsmaßnahmen an Hochschulen, Fachhochschulen und Ingenieurschulen geboten, weil das Studium an diesen Ausbildungsstätten zum Bereich der Berufsausbildung, also zu nicht von der Beklagten zu fördernden Bildungswegen, gehöre.

Die Beklagte beantragt,

das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Lübeck vom 8. Juni 1972 zurückzuweisen sowie zu entscheiden, daß außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten sind.

Der Kläger beantragt,

die Revision kostenpflichtig zurückzuweisen.

Er hält die angefochtene Entscheidung für richtig.

Beide Beteiligte sind mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -) einverstanden.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist im Sinne der Zurückverweisung des Rechtsstreits an das LSG begründet.

Dem LSG ist darin beizupflichten, daß das Studium des Klägers an der Ingenieurschule in S für ihn inhaltlich eine Maßnahme der beruflichen Fortbildung im Sinne des § 41 Abs. 1 AFG war. Durch das Studium hat der Kläger nämlich nicht einen Beruf mit neuem Inhalt erlernt (§ 47 AFG), sondern die bei ihm bereits vorhandenen technischen Kenntnissen dadurch erweitert, daß er einschlägige wirtschafts- und arbeitswissenschaftliche Kenntnisse hinzuerworben hat (vgl. Entscheidung des Senats vom 6. Mai 1975 in dem Parallelfall 7 RAr 98/73).

Nach den bindenden Feststellungen des LSG erfüllt die Maßnahme die Zugangsvoraussetzungen nach § 41 Abs. 1 AFG. Für die Teilnehmer an dem dreisemestrigen Studiengang wurde nämlich eine abgeschlossene Berufsausbildung verlangt (BSGE 37, 163). Dem Anspruch des Klägers steht auch nicht die Regelung in § 2 Abs. 6 Satz 3 AFuU 1969 entgegen. Der in dieser Vorschrift vorgesehene generelle Ausschluß von Studien widerspricht, wie der Senat bereits entschieden hat, dem AFG und ist deshalb unwirksam (Urteile des Senats vom 17. Dezember 1974 - 7 RAr 48/72 - und vom 6. Mai 1975 - 7 RAr 98/73 -). Eine Abgrenzung nach der Art des Bildungsganges und der Bildungsstätte findet sich lediglich in § 40 Abs. 1 AFG für die berufliche Ausbildung. Die Ermächtigung des § 39 AFG erlaubt es der Beklagten nicht, eine inhaltliche Veränderung dieser für die einzelnen Bereiche aufgestellten Anspruchsvoraussetzungen vorzunehmen. Die Regelung in § 2 Abs. 6 Satz 3 AFuU 1969 geht über diese Ermächtigung hinaus, weil das Gesetz für die Maßnahme der beruflichen Fortbildung und Umschulung eine Einschränkung nach der Art des Bildungsganges und der Bildungsstätte nicht kennt.

Zu Unrecht beruft sich die Beklagte auf die analoge Anwendung des § 2 Abs. 2 Satz 1 AFuU 1969. Danach können abweichend von der Regelung in § 2 Abs. 6 AFuU 1969 auch Studien gefördert werden bis zur Dauer von einem Jahr, wenn es sich dabei um Maßnahmen zur Anpassung von im Ausland erworbenen Berufsqualifikationen an innerstaatliche Berufsausübungsvorschriften handelt. Diese Regelung betrifft eine so spezielle Personengruppe, daß sie nicht geeignet ist, auf Studenten aller Fachrichtungen an Hochschulen übertragen zu werden. Abgesehen davon lag eine entsprechende Anwendung auch gar nicht in der Absicht der Beklagten, wie aus ihrer - allerdings unwirksamen - Regelung in § 2 Abs. 6 Satz 3 AFuU 1969 ersichtlich ist.

Die Feststellungen des LSG lassen allerdings keine abschließende Entscheidung darüber zu, ob das dreisemestrige Studium des Klägers eine eigene, von dem übrigen Studiengang institutionell abgegrenzte Maßnahme im Sinne von § 41 Abs. 1 AFG war. Eine solche Abgrenzung ist aber erforderlich, um feststellen zu können, ob es sich überhaupt um eine Maßnahme handelt, die die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Förderung nach § 41 Abs. 1 AFG erfüllt (vgl. Urteil des Senats vom 17. Dezember 1974 - 7 RAr 48/72 -). Für die Beurteilung einer Maßnahme als berufliche Fortbildung ist es erforderlich, ihre Zielvorstellung klar erkennen zu können. Dies setzt notwendig den Bezug zu einer konkret abgrenzbaren Bildungsveranstaltung voraus, deren Zweck die Fortbildung ist. Die Verkürzung der allgemeinen Studiendauer für bestimmte Teilnehmer allein würde diese Voraussetzung nicht erfüllen (BSG aaO). In solchen Fällen fehlte es an einer von dem allgemeinen Studiengang verschiedenen Maßnahme, die nach Zielen und Zugangsvoraussetzungen als Fortbildungsmaßnahme im Sinne des § 41 AFG gefördert werden könnte. Teilnehmer, die nur den Vorzug des verkürzten Studiums genießen, nehmen - wenn auch mit veränderten Bedingungen - ebenfalls an dem allgemeinen Studiengang teil, so daß insoweit nur die Ziele und Zugangsbedingungen dieses allgemeinen Studienganges für die Beurteilung im Rahmen des § 41 AFG entscheidend sind. Die Feststellungen des LSG lassen keine abschließende Entscheidung zu, ob es sich bei dem Studium des Klägers lediglich um eine solche Verkürzung des allgemeinen Studienganges handelt, also nur um die Möglichkeit der Teilnahme bereits ausgebildeter Ingenieure an einem in sich geschlossenen Ausbildungsabschnitt des Studienganges für normal Studierende der Ingenieurschule S. Das LSG hat sich darauf beschränkt, einerseits von schulorganisatorischer Einheit, andererseits von funktioneller Trennung zu sprechen. Diese Begriffe, die noch der Ausfüllung durch konkrete tatsächliche Beschreibung bedürfen, lassen nicht mit Gewißheit erkennen, ob eine institutionelle Abgrenzung im Sinne der Rechtsprechung des Senats gegeben ist. Danach (BSG aaO) bedarf es nicht unbedingt eines eigenen Trägers, eigener Räumlichkeiten oder eigenen Lehrpersonals. Fortbildungsmaßnahmen können an bestehenden Bildungseinrichtungen auch unter Ausnützung der dort ohnehin angebotenen Lehrveranstaltungen durchgeführt werden. Unverzichtbar ist nach Auffassung des Senats, an der festgehalten wird, jedoch zumindest ein im einzelnen festliegender verbindlicher Lehrplan, durch den die Maßnahme nach Inhalt und Dauer als eigenständige Fortbildungsmaßnahme ausgewiesen wird. Hierzu fehlt es an Feststellungen des LSG. Infolgedessen kann der Senat, obwohl die übrigen Förderungsvoraussetzungen nach den insoweit ausreichenden Feststellungen des LSG gegeben sind (§§ 33, 36 AFG), nicht abschließend entscheiden. Die Sache ist deshalb zurückzuverweisen, damit das LSG noch die erforderlichen Feststellungen trifft.

Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1647587

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Kranken- und Pflegeversicherungs Office. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen