Orientierungssatz

1. Bei der Teilnahme eines graduierten Ingenieurs der Fachrichtung Maschinenbau an einem dreisemestrigen Aufbaustudium in Wirtschafts- und Betriebstechnik an der Staatlichen Ingenieurschule für Maschinenwesen handelt es sich um eine berufliche Fortbildung iS des AFG § 41.

2. Eigenständigkeit des Aufbaustudiums als Förderungsvoraussetzung.

 

Normenkette

AFG § 41 Abs. 1 Fassung: 1969-06-25; AFuU § 2 Abs. 6 S. 3 Fassung: 1969-12-18; AFuU 1969 § 2 Abs. 6 S. 3 Fassung: 1969-12-18

 

Verfahrensgang

LSG Niedersachsen (Entscheidung vom 04.09.1973; Aktenzeichen L 7 Ar 41/72)

SG Hannover (Entscheidung vom 02.05.1972; Aktenzeichen S 3 Ar 50/71)

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 4. September 1973 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

 

Tatbestand

Der Kläger, der das Ingenieurstudium der Fachrichtung Maschinenbau im Januar 1969 mit der Graduierung abgeschlossen hatte, war anschließend als angestellter Ingenieur tätig. Vom 7. September 1970 an nahm er an dem dreisemestrigen "Aufbaustudium in Wirtschafts- und Betriebstechnik" an der Staatlichen Ingenieurschule für Maschinenwesen in S. teil, das im Januar 1972 mit einer Abschlußprüfung endete.

Für dieses Studium begehrt der Kläger von der beklagten Bundesanstalt für Arbeit (BA) Förderungsleistungen nach dem Arbeitsförderungsgesetz (AFG). Sein Antrag vom 6. August 1970 wurde durch Bescheid vom 15. Dezember 1970 und Widerspruchsbescheid vom 18. Juni 1971 mit der Begründung abgelehnt, nach § 2 Abs. 6 Satz 3 der Anordnung des Verwaltungsrates der BA über die individuelle Förderung der beruflichen Fortbildung und Umschulung vom 18. Dezember 1969 (AFuU 1969 - ANBA 1970 S. 85) könne das Studium an einer Ingenieurschule nicht gefördert werden, wenn es - wie hier - länger als ein Jahr dauere. Dabei sei es ohne Bedeutung, daß durch das Studium die berufliche Mobilität des Klägers verbessert und sein beruflicher Aufstieg erleichtert werde.

Das Sozialgericht (SG) Hannover hat mit Urteil vom 2. Mai 1972 antragsgemäß die Beklagte unter Aufhebung ihrer Bescheide verurteilt, dem Kläger für seine Fortbildung zum Wirtschaftsingenieur eine Förderungsbeihilfe in gesetzlicher Höhe zu gewähren. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es folgendes ausgeführt: Die Beklagte habe in § 2 Abs. 6 AFuU 1969 zu Recht, - ohne damit die gesetzliche Ermächtigung des § 39 AFG zu überschreiten - auf dem Wege der autonomen Rechtsetzung die Förderung von Bildungsmaßnahmen im Hochschulbereich von der Fortbildungsförderung ausgenommen, weil hier in der Regel die nach § 41 Abs. 1 AFG erforderlichen Zugangsvoraussetzungen - abgeschlossene Berufsausbildung oder angemessene Berufserfahrung - nicht vorlägen; für die Zulassung zu einem Studium dieser Art genüge der Abschluß einer allgemeinbildenden Schule und ein zusätzliches Praktikum. Das Aufbaustudium des Klägers an der Ingenieurschule S. falle gleichermaßen wie die Normalstudiengänge an dieser Schule nicht unter die berufliche Fortbildung i. S. des § 41 Abs. 1 AFG. Die Teilnehmer am Aufbaustudium besuchten nämlich zusammen mit den anderen Studierenden der Ingenieurschule überwiegend dieselben Vorlesungen. Die allen Studierenden zugänglichen Vorlesungen hätten demnach eine spezifische Berufserfahrung nicht vorausgesetzt und also auch nicht darauf aufgebaut. Die abgeschlossene Berufsausbildung als graduierter Ingenieur sei allein für die Abschlußprüfung gefordert worden; maßgebend für die Erfüllung der Zugangsvoraussetzungen sei aber die Bildungsmaßnahme selbst. Die Regelung des § 2 Abs. 7 AFuU 1971 könne im vorliegenden Fall schon deshalb nicht angewandt werden, weil der Kläger bereits vor deren Inkrafttreten zum 1. Januar 1972 in die Bildungsmaßnahme eingetreten sei (§ 24 AFuU 1971). Die entsprechende Regelung des § 2 Abs. 6 Satz 2 AFuU 1969 gelte nur für den Fachschulbereich; das Aufbaustudium des Klägers an der Ingenieurschule S. gehöre aber nicht nur örtlich sondern auch inhaltlich dem Hochschulbereich an. Aus der bedingten Zusage des Landesarbeitsamts könne der Kläger keine Rechte herleiten; die Bedingung, daß die Maßnahme nicht die Dauer von einem Jahr überschreite, sei nicht eingetreten. Der Kläger könne sich auch nicht darauf berufen, daß Teilnehmer an einem entsprechenden Lehrgang in P. Förderungsleistungen erhalten hätten; in diesen Fällen habe eine andere Förderungszusage, mithin ein anderer Sachverhalt vorgelegen.

Mit der - vom LSG zugelassenen - Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 41 AFG. Zur Begründung führt er aus, es handele sich bei dem von ihm besuchten Aufbaulehrgang nicht um eine Maßnahme, die im Sinne des § 2 Abs. 6 Satz 3 AFuU 1969 als Studiengang an einer Hochschule anzusehen sei. Mit diesem Aufbaukurs werde keine - weitere - Graduierung erstrebt. Entscheidend sei, daß sich der Kursus insgesamt als berufliche Fortbildung i. S. des AFG darstelle; daran ändere der Umstand nicht, daß die dazu gehörenden Vorlesungen auch von ordentlichen Studierenden besucht worden seien. Die Zugangsvoraussetzungen entsprächen den Anforderungen, die das AFG an förderbare Fortbildungsmaßnahmen stelle.

Der Kläger beantragt inhaltlich,

unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 2. Mai 1972 zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision des Klägers zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil im Ergebnis und in der Begründung für zutreffend.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist zulässig und insoweit begründet, als das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache an das LSG zurückzuverweisen ist.

Das LSG geht zutreffend davon aus, daß eine Förderung des vom Kläger absolvierten "Aufbaustudiums" durch die Beklagte nur als berufliche Fortbildungsmaßnahme in Betracht kommt. Der Kläger erstrebte als Ingenieur (grad.) mit dieser betriebswirtschaftlichen Zusatzausbildung eine Erweiterung seiner beruflichen Kenntnisse und Fertigkeiten und damit zugleich die Ermöglichung eines beruflichen Aufstiegs (§ 41 Abs. 1 AFG), nicht aber den Übergang in eine Berufstätigkeit mit neuem Inhalt im Sinne des § 47 Abs. 1 AFG iVm § 3 Abs. 2 AFuU 1969 (Umschulung).

Voraussetzung für die Förderung der Teilnahme an einer auf Fortbildung gerichteten Maßnahme ist nach § 41 Abs. 1 AFG, daß die Teilnahme an der Maßnahme von einer abgeschlossenen Berufsausbildung oder einer angemessenen Berufserfahrung abhängig gemacht wird (objektive Zugangsvoraussetzungen). Wenn es in den Gründen des angefochtenen Urteils dazu heißt, die abgeschlossene Berufsausbildung als Ingenieur sei allein für die Zulassung zur Abschlußprüfung des "Aufbaustudiums", nicht aber für die Bildungsmaßnahme selbst erforderlich gewesen, so liegt darin keine - das Revisionsgericht bindende - tatsächliche Feststellung des LSG. Das Gegenteil ergibt sich schon aus dem Tatbestand des Urteils, wonach es sich um eine Zusatzausbildung "für graduierte Ingenieure" handelt; auch ergibt sich aus den vom LSG ausdrücklich in Bezug genommenen Maßnahmeakten der Beklagten über das "Aufbaustudium", daß für die Aufnahme eine abgeschlossene Berufsausbildung als Ingenieur (grad.) und zusätzlich noch eine einjährige praktische Tätigkeit als Ingenieur verlangt wurden. Bei den angesprochenen Sätzen der Urteilsbegründung handelt es sich vielmehr - wie aus dem Zusammenhang ersichtlich - um eine subsumierende Schlußfolgerung des LSG aus dem Umstand, daß die von den Ingenieuren im Rahmen ihres "Aufbaustudiums" besuchten Vorlesungen überwiegend auch anderen Studierenden der Ingenieurschule, also auch solchen zugänglich waren, die noch keine abgeschlossene Berufsausbildung oder angemessene Berufserfahrung hatten. Der dieser Erkenntnis zugrundeliegenden Auffassung des LSG, daß auch die einzelnen Lehrveranstaltungen einer Fortbildungsmaßnahme inhaltlich allein auf die Teilnahme beruflich vorqualifizierter Schüler zugeschnitten sein müßten, vermag der Senat nicht zu folgen. Wenn in § 41 Abs. 1 AFG als Ziel von Fortbildungsmaßnahmen ua anerkannt wird, berufliche Kenntnisse und Fertigkeiten "zu erweitern oder der technischen Entwicklung anzupassen", so bedeutet das, daß in großem Umfang hierbei auch zusätzliche Kenntnisse und Fertigkeiten von Grund auf vermittelt werden müssen, weil sie auch für den beruflich vorqualifizierten Teilnehmer neuartig sind. Eine die berufliche Kenntnisse und Fertigkeiten nicht vertiefende, sondern - gleichsam in horizontaler Richtung- ergänzende Lehrveranstaltung kann inhaltlich nicht auf bereits vorhandenen Kenntnissen aufbauen. Für den Fortbildungscharakter einer Maßnahme kommt es aber nicht entscheidend darauf an, daß die zur Voraussetzung für die Teilnahme gemachte berufliche Vorqualifikation bereits zum Erwerb der neuen Kenntnisse und Fertigkeiten benötigt wird, sondern darauf, daß diese nur in Verbindung mit der Vorqualifikation zum Ziel der beruflichen Fortbildung führen. Der Umstand, daß die einzelnen Lehrveranstaltungen einer zu Fortbildungszwecken eingerichteten Bildungsmaßnahme jeweils auch der beruflichen Ausbildung anderer - die besonderen Zugangsvoraussetzungen nicht erfüllender - Teilnehmer dienen können, braucht also noch nicht zu bedeuten, daß die Maßnahme im ganzen der in § 41 Abs. 1 AFG verlangten Zugangsvoraussetzungen ermangelt. Es steht daher der Förderungsfähigkeit einer Maßnahme nach § 41 Abs. 1 AFG nicht notwendig entgegen, daß ihre Lehrveranstaltungen aus organisatorischen Gründen von dem Maßnahmeträger zugleich auch für Teilnehmer an anderen Ausbildungslehrgängen bestimmt worden sind. Voraussetzung ist allerdings, daß es sich überhaupt um eine eigenständige, gegenüber anderen Ausbildungsgängen institutionell abgegrenzte Bildungsmaßnahme handelt (vgl. Urt. d. Senats vom 17.12.1974 - 7 RAr 48/72 - zum Fall eines verkürzten Studiums), da sonst das Vorliegen echter Zugangsvoraussetzungen gar nicht feststellbar wäre. Diese Voraussetzung wäre jedenfalls dann nicht mehr gegeben, wenn es sich - entgegen dem durch die Bezeichnung als "Aufbaustudium in Wirtschafts- und Betriebstechnik" mit besonderen Fächer- und Stundenplan erweckten Anschein - in Wirklichkeit nur um die Möglichkeit der Teilnahme bereits ausgebildeter Ingenieure an einem in sich geschlossenen Ausbildungsabschnitt des Studienganges für normal Studierende der Ingenieurschule S. handelte. Auf diese Möglichkeit könnte der im Tatbestand des angefochtenen Urteils erwähnte Umstand hindeuten, daß neben dem "Aufbaustudium" an der Schule ein Normalstudiengang mit dem Schwerpunkt "Wirtschafts- und Betriebstechnik" lief, und beide Studiengänge von denselben Dozenten mit dem gleichen Lehrstoff dargeboten wurden. Sollte darüber hinaus das sogenannte "Aufbaustudium" mit einem dreisemestrigen Teilabschnitt des Normalstudiums dergestalt identisch gewesen sein, daß - von unwesentlichem abgesehen - überhaupt keine der unterschiedlichen beruflichen Vorbildung und dem unterschiedlichen Abschlußziel entsprechende Trennung der beiden Gruppen in der Ausbildung erkennbar gewesen wäre, so wäre allerdings die Schlußfolgerung des LSG im Ergebnis berechtigt, daß für diesen gemeinsamen dreisemestrigen Studiengang das Erfordernis der besonderen Zugangsvoraussetzungen des § 41 Abs. 1 AFG nicht erfüllt sei. Da eine solche Möglichkeit immerhin nicht auszuschließen ist, bedarf es hierzu der weiteren Aufklärung über die Eigenständigkeit des sog. Aufbaustudiums.

Geht man von der Eigenständigkeit des Aufbaustudiums aus, so liegen die Voraussetzungen der Förderbarkeit nach § 41 AFG vor. Dem stände die Bestimmung des § 2 Abs. 6 Satz 3 AFuU 1969 nicht entgegen. Hiernach wird ein Studium nicht gefördert, das mit einem Abschluß endet, der üblicherweise an einer Ingenieurschule, Hochschule, Fachhochschule oder ähnlichen Ausbildungsstätte erreicht wird. Wie der Senat bereits in seinem oa Urteil - 7 RAr 48/72 - dargelegt hat, ist diese Bestimmung des Satzungsrechts der Beklagten wegen Unvereinbarkeit mit dem Gesetz jedenfalls insoweit unwirksam, als darin die Förderung von Fortbildungsmaßnahmen auf (ua) Ingenieurschulebene generell ausgeschlossen ist. Anders als bei der Ausbildungsförderung (§ 40 Abs. 1 AFG), bei der das Gesetz auf die Art des Bildungsgangsund der Bildungsstätte abstellt, erfolgt die Abgrenzung bei der Fortbildung (§ 41 Abs. 1 AFG) nach dem Ziel der Maßnahme und den Zugangsvoraussetzungen. Die Anordnungsermächtigung des § 39 AFG gestattet keine inhaltliche Veränderung der für die einzelnen Bereiche aufgestellten Anspruchsvoraussetzungen. Fortbildungsmaßnahmen an den genannten Schulen, bei denen - was hier noch zu ermitteln sein wird - die Zugangsvoraussetzungen des § 41 Abs. 1 AFG vorliegen, sind daher jedenfalls dann nicht von der Förderbarkeit ausgeschlossen, wenn sie - wie hier - die Regelhöchstdauer von zwei Jahren (§ 41 Abs. 2 AFG) nicht überschreiten.

Zutreffend hat das LSG erkannt, daß der Kläger weder aus der für das Aufbaustudium bedingt erteilten Förderungszusage noch aus dem Umstand einen Förderungsanspruch herleiten kann, daß Studierenden an einem ähnlichen Bildungsgang an der Höheren Wirtschaftsfachschule in P. Förderungsleistungen zusagehalber gewährt worden sind.

Für die abschließende Entscheidung kommt es daher im vorliegenden Fall darauf an, ob es sich bei dem "Aufbaustudium" überhaupt um eine eigenständige Maßnahme handelte, die nach Inhalt und praktischer Durchführung nicht mit einem - auch beruflich nicht qualifizierten Studierenden zugänglichen - Teilabschnitt des normalen Ingenieurstudiums völlig identisch war. Da der Senat die hierzu erforderlichen Feststellungen selbst nicht treffen kann, ist die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen, das auch über die Kosten der Revisionsinstanz zu entscheiden haben wird.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1653964

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