A. Grundlagen

 

Rn. 1

Stand: EL 38 – ET: 01/2023

Als Grundwertung für den Regelungskomplex der §§ 311318 AktG bestimmt § 311 Abs. 1 AktG das an alle beherrschenden UN gerichtete Verbot der Veranlassung faktisch abhängiger Gesellschaften (AG, KGaA und SE) zu nachteiligen Handlungen. Die Durchsetzung des rechtspolitisch gesehen selbstverständlich anmutenden Verbots wird indes – und hier liegt die eigentliche Bedeutung der Regelung – für den Fall des zeitnahen Nachteilsausgleichs durch das herrschende UN eingeschränkt. Nur diejenige nachteilige Einflussnahme, die innerhalb des GJ nicht kompensiert wird und deren künftige Kompensation nicht sichergestellt ist, zieht Sanktionen nach sich, wobei das Gesetz von der Notwendigkeit des Einzelausgleichs ausgeht. Sanktioniert ist das in der Grundnorm des § 311 AktG verankerte Verbot durch die Schadensersatzpflicht, die nach den §§ 317f. AktG bei einer nicht durch einen Nachteilsausgleich gerechtfertigten Einflussnahme das herrschende UN und seine gesetzlichen Vertreter, evtl. sogar das abhängige UN und dessen Vorstands- und AR-Mitglieder, trifft.

 

Rn. 2

Stand: EL 38 – ET: 01/2023

Regelungsziel ist nach der Gesamtkonzeption der §§ 311ff. AktG in erster Linie der Schutz der abhängigen Gesellschaft. In der Sache geht es vorrangig um den Schutz der Außenseiter- bzw. Minderheitenaktionäre. § 311 AktG ist damit ein konzernspezifisches Element des aktienrechtlichen Minderheitenschutzes.

B. Allgemeine Anwendungsvoraussetzungen

 

Rn. 3

Stand: EL 38 – ET: 01/2023

§ 311 AktG erfasst nur die Ausgleichspflicht gegenüber AG, KGaA und SE, die in einem Abhängigkeitsverhältnis gegenüber einem herrschenden UN stehen, mit dem weder ein BHV geschlossen noch ein Eingliederungsverhältnis begründet wurde.

I. Abhängigkeit von einem beherrschenden Unternehmen

1. Abhängigkeitsverhältnis

 

Rn. 4

Stand: EL 38 – ET: 01/2023

§ 311 AktG setzt ein Abhängigkeitsverhältnis i. S. d. § 17 AktG zwischen dem MU und der beherrschten AG, KGaA oder SE voraus (vgl. zu Einzelheiten HdR-E, Einf AktG §§ 311–318, Rn. 8). Nach § 17 Abs. 2 AktG wird im Falle einer grds. für § 311 AktG nicht ausreichenden bloßen Mehrheitsbeteiligung (vgl. § 16 AktG) ein Abhängigkeitsverhältnis vermutet. Konzernverbindungen werden zwar nicht vorausgesetzt, stehen andererseits aber der Anwendbarkeit des § 311 AktG auch nicht entgegen. Für den Sonderfall der qualifiziert faktischen Konzernierung bieten die §§ 311ff. AktG allerdings keinen hinreichenden Schutz, da hier ein Einzelnachteilsausgleich nicht möglich ist (vgl. zu den Rechtsfolgen HdR-E, Einf AktG §§ 311–318, Rn. 64ff.). Bei Gemeinschafts-UN besteht das erforderliche Abhängigkeitsverhältnis zu jedem der MU. Die Ausgleichspflicht nach § 311 AktG trifft nur diejenige der beherrschenden Gesellschaften, die die nachteilige Maßnahme veranlasst hat.

2. Unternehmereigenschaft

 

Rn. 5

Stand: EL 38 – ET: 01/2023

Die Ausgleichspflicht des § 311 AktG richtet sich ebenso wie die Folgepflichten der §§ 312318 AktG nur an "Unternehmen", die als beherrschende Gesellschafter auftreten (vgl. zu Einzelheiten HdR-E, Einf AktG §§ 311–318, Rn. 9ff.). Nur bei beherrschenden UN besteht die Gefahr eines Interessenkonflikts, der den Unternehmer zu nachteiligen Weisungen veranlassen könnte. Der Unternehmerbegriff ist normspezifisch unter Berücksichtigung des Regelungszwecks von § 311 AktG zu interpretieren. Abweichend vom handelsrechtlichen Unternehmerbegriff (vgl. Schmidt (2014), S. 76ff.; § 14 Abs. 1 BGB) ist als Unternehmer (UN-Träger) i. S. d. Aktienkonzernrechts jede natürliche oder juristische Person (auch des öffentlichen Rechts; vgl. dazu HdR-E, Einf AktG §§ 311–318, Rn. 11) einzustufen, die neben ihrer gesellschaftsrechtlichen Beteiligung an der abhängigen Gesellschaft weitere wirtschaftliche Interessen verfolgt, die eine Einflussnahme zum Nachteil der abhängigen Gesellschaft ernsthaft befürchten lassen (vgl. BGH, Beschluss vom 17.03.1997, II ZB 3/96, BGHZ 135, S. 107 (113); BAG, Urteil vom 08.03.1994, 9 AZR 197/92, BAGE 76, S. 79 (83f.); BFH, Urteil vom 23.03.2011, X R 45/09, NZG 2011, S. 916 (919f.)).

II. Fehlende vertragliche und rechtliche Absicherung der Leitungsmacht

1. Systembedingte Schranken des Anwendungsbereichs

 

Rn. 6

Stand: EL 38 – ET: 01/2023

Die Anwendbarkeit von § 311 AktG als der Zentralnorm des Rechts der faktischen UN-Verbindung bedingt, dass zwischen den beteiligten UN kein BHV gemäß den §§ 291ff. AktG besteht. Bei Vereinbarung eines solchen im Laufe eines GJ bleibt § 311 AktG bis zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses trotz der Verlustübernahmepflicht für das gesamte GJ anwendbar (vgl. ADS (1997), § 311 AktG, Rn. 9; Henssler/Strohn (2021), § 311 AktG, Rn. 6; Friedl, NZG 2005, S. 875 (876ff.)). § 323 Abs. 1 Satz 2 AktG ergänzt die im Wortlaut des § 311 AktG angelegte Einschränkung des Anwendungsbereichs und klammert auch die Eingliederungsverhältnisse von den Rechtsfolgen der §§ 311ff. AktG aus. Ist zwischen der abhängigen Gesellschaft und dem beherrschenden UN ein GAV abgeschlossen worden, so berührt dies die Ausgleichspflicht nach § 311 AktG dagegen ebenso wenig wie die Verantwortlichkeit des beherrschenden UN nach § 317 AktG. § 316 AktG lässt in diesen Konstellationen nur die Pflicht zur Erstellung eines Abhängigkeitsberichts sowie die Sanktionierung unzureichender Berichte ...

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