Rn. 116

Stand: EL 19 – ET: 05/2014

Der Begriff der Dauerschuldverhältnisse wird als Oberbegriff für eine Sonderform von Schuldverhältnissen verwendet, die sich von den einfachen Schuldverhältnissen insbes. hinsichtlich der Bedeutung des Zeitelements unterscheiden. Indem diese entweder ein dauerndes Verhalten oder in bestimmten Zeitabschnitten wiederkehrende Leistungen zum Inhalt haben, erschöpft sich ihre Abwicklung nicht in einmaligen Leistungen, sondern füllt einen mehr oder minder langen Zeitraum aus. Zu den Dauerschuldverhältnissen gehören Miet-, Pacht-, Darlehens-, Arbeits- und Versicherungsverträge (Dauerschuldverhältnisse i. e. S.) sowie die Sukzessivlieferungsverträge (z. B. Bezugsverträge über Gas, Wasser, Strom etc.).

 

Rn. 117

Stand: EL 19 – ET: 05/2014

In der Terminologie des Bilanzrechts handelt es sich bei den Dauerschuldverhältnissen ganz überwiegend um schwebende Geschäfte (vgl. zu den Ausnahmen Kessler, H. 1992, S. 203ff.). Sie weisen unter dem Blickwinkel der Rückstellungsbildung im Vergleich zu den auf einmaligen Leistungsaustausch gerichteten Geschäften folgende Besonderheiten auf:

(1) Neben den das Schuldverhältnis in seinem Charakter prägenden Hauptleistungspflichten gehen aus ihnen vielfach Nebenleistungs- und Verhaltenspflichten hervor, die als Bestandteile des gegenseitigen Austauschverhältnisses oder losgelöst von diesem als selbstständige Verpflichtungen unter Rückstellungsgesichtspunkten zu beurteilen sind (vgl. Siepe, G. 1991, S. 45; a. A. Piltz, D. J. 2000, S. 228f., der diese Verpflichtungen ggf. unter dem Aspekt eines Erfüllungsrückstands passiviert sehen will). Zu nennen sind etwa die Pflicht des Pächters zur Erneuerung unbrauchbar gewordener Teile, die Pflicht des Arbeitgebers zur Gewährung von Gratifikationen oder Jubiläumszuwendungen oder die diversen mit der Beendigung von Dauerschuldverhältnissen einhergehenden Abwicklungspflichten (vgl. hierzu HdR-E, HGB § 249, Rn. 130ff.).
(2) Dauerschuldverhältnisse sind nicht in einem Zeitpunkt, sondern während eines längeren Zeitraums sukzessive zu erfüllen. Nachdem sie in Vollzug gesetzt wurden, zerfallen sie in einen abgewickelten und einen noch abzuwickelnden (schwebenden) Teil. Beide Teile sind gesondert auf rückstellungspflichtige Tatbestände zu untersuchen: Während für den abgewickelten Teil ausschließlich die Bildung von Verbindl.-Rückstellungen für Erfüllungsrückstände in Betracht kommt, ist der noch schwebende Teil auf einen etwaigen drohenden Verlust hin zu untersuchen. Umstritten ist dabei die Behandlung solcher Fälle, bei denen ein ursprünglich ausgeglichenes Dauerschuldverhältnis während des Erfüllungszeitraums umkippt, weil sich die Rahmenbedingungen geändert haben oder der Kaufmann ein solches Umkippen (als Folge einer zeitlich-horizontalen Mischkalkulation) bei Abschluss des Vertrags bewusst in Kauf genommen hat (vgl. z. B. HdR-E, HGB § 249, Rn. 162ff.; HdR-E, HGB § 249, Rn. 178ff.).
(3) Im Gegensatz zu Anschaffungsgeschäften über bilanzierungsfähige VG sind Dauerbeschaffungsgeschäfte überwiegend auf nicht bilanzierungsfähige Leistungen gerichtet. Das führt zu der Frage, inwieweit die für Anschaffungsgeschäfte entwickelten Regeln zur Ermittlung drohender Verluste auch auf Dauerbeschaffungsgeschäfte anzuwenden sind. Konkret geht es darum, ob niedrigere Wiederbeschaffungskosten für die beschaffte Leistung den Ansatz einer Drohverlustrückstellung rechtfertigen oder ob bei der Ausgewogenheitsprüfung dieser Geschäfte eine verwertungsorientierte Bewertung der Ansprüche zu erfolgen hat, die sich am betriebsinternen Wert der Dauerleistung, d. h. an ihrem Beitrag zum Gesamterfolg des UN, orientiert (vgl. hierzu HdR-E, HGB § 249, Rn. 192ff.).
 

Rn. 118

Stand: EL 19 – ET: 05/2014

Anhand des nachfolgend dargestellten Abgrenzungsmusters lassen sich die denkbaren Verpflichtungstatbestände aus Dauerschuldverhältnissen den Rückstellungskategorien "selbstständige Verpflichtung", "Erfüllungsrückstand" und "Drohverlust" zuordnen (vgl. auch ­Herzig, N. 1988, S. 214ff.). Dazu unterscheidet es in sachlicher Hinsicht danach, ob die jeweilige Verpflichtung Bestandteil des gegenseitigen Austauschverhältnisses ist oder nicht. Wenn ja, unterliegt sie den Bilanzierungsgrundsätzen für schwebende Geschäfte. Der Ansatz selbstständiger, vom Austauschverhältnis losgelöster Leistungsverpflichtungen ist demgegenüber nach den allg. Passivierungskriterien für (einseitige) Schulden zu beurteilen. In zeitlicher Hinsicht ist ferner von Bedeutung, ob sich die betr. Verpflichtung auf den bereits abgewickelten oder den noch schwebenden Teil des Dauerschuldverhältnisses bezieht. Hieran orientiert sich die Abgrenzung von Rückstellungen für Erfüllungsrückstände und für drohende Verluste.

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