aa) Gleichzeitige formale und materielle Substanzmehrung

 

Rn. 351

Stand: EL 41 – ET: 12/2023

Wie aus vorstehenden Ausführungen entnommen werden kann, sind nachträgliche HK anzunehmen, sofern

(1) eine formale Substanzmehrung an einem vorhandenen VG vorliegt und der Charakter des vorhandenen VG unverändert bleibt;
(2) eine wesentliche materielle Substanzmehrung stattfindet.

In der Realität lassen sich diese beiden Sachverhalte nicht immer in ihrer isolierten Form feststellen. Häufig finden formale Substanzmehrungen mit materiellen Substanzmehrungen gleichzeitig statt, so bspw. in all den Fällen, in denen mit der formalen Substanzmehrung eine Änderung der Funktion des VG einhergeht. Das gleichzeitige Zusammentreffen beider Kriterien ändert grds. nichts daran, dass die Aufwendungen zu aktivieren sind. Dieses gleichzeitige Auftreten beider Kriterien könnte jedoch als Indiz dafür angesehen werden, dass ein neuer VG geschaffen worden ist, in den der bisherige VG eingegangen ist. Es sollte demnach dieser Tatbestand in solchen Situationen einer gesonderten Prüfung unterzogen werden. Es ist aber darauf hinzuweisen, dass die Schaffung eines neuen VG erst dann anzunehmen ist, wenn eine Qualitäts- oder Funktionsänderung sowie eine nicht unwesentliche formale Substanzmehrung stattgefunden haben.

 

Rn. 352

Stand: EL 41 – ET: 12/2023

Folglich ist eine materielle Substanzmehrung auch gegeben, wenn aufgrund der getätigten Aufwendungen der VG eine gänzlich andere Funktion erfüllt. Wird bspw. eine maschinelle Anlage aus dem Produktionsprozess ausgegliedert und als Demonstrationsobjekt, z. B. zum Zweck der Verkaufsförderung, eingesetzt, so gelten sämtliche Aufwendungen, die erforderlich waren, um diese Funktionsänderung zu erreichen, als nachträgliche HK. Denkbare Aufwendungen sind Demontagekosten am alten Standort, Transportkosten, Montagekosten am neuen Standort etc. Eine Einordnung der Aufwendungen zur Durchführung einer Funktionsänderung als nachträgliche HK ist auch vorzunehmen, wenn sie mit einer Substanzminderung einhergehen. Werden bspw. Zwischenwände in einem Gebäude entfernt, um dieses Gebäude einer anderen Nutzungsart zuzuführen, so stellen diese Aufwendungen nachträgliche HK des Gebäudes dar. Wird eine Substanzminderung ohne Funktionsänderung durchgeführt, so führt dies nicht zu nachträglichen HK. Wird etwa an einem Gebäude eine von zwei Eingangstreppen entfernt, so führen die dazu notwendigen Aufwendungen nicht zu nachträglichen HK.

bb) Gleichzeitige Substanzmehrung und Reparaturarbeiten

 

Rn. 353

Stand: EL 41 – ET: 12/2023

Werden im Zusammenhang mit einer Maßnahme, die zu nachträglichen HK führt, gleichzeitig Reparaturarbeiten durchgeführt, ist bei der Entscheidung, was den nachträglichen HK zuzuordnen ist, auf den sachlichen Zusammenhang der Entstehungsursachen der Aufwendungen abzustellen (vgl. auch BFH, Urteil vom 09.05.1995, IX R 116/92, BStBl. II 1996, S. 632 (635); BFH, Urteil vom 16.07.1996, IX R 34/94, DB 1996, S. 1957 (1958); Spindler, DStR 1996, S. 765 (767)). Werden bspw. Zwischenwände versetzt, so sind die notwendigen Anstreicharbeiten ebenfalls als nachträgliche HK einzuordnen. Ist ein solcher sachlicher Zusammenhang nicht zu erkennen, so reicht ein rein zeitliches Zusammenfallen von Reparaturaufwendungen und Substanzmehrungsmaßnahmen nicht aus, um alle Aufwendungen als nachträgliche HK einordnen zu können (vgl. H/H/R (2021), § 6 EStG, Rn. 286). U.U. ist eine Aufteilung durch Schätzung vorzunehmen (vgl. BFH, Urteil vom 09.05.1995, IX R 116/92, BStBl. II 1996, S. 632 (635)).

Die Abgrenzung der nachträglichen HK hat grds. losgelöst von wertmäßig orientierten Über­legungen zu erfolgen. Werden die o. g. Kriterien nicht erfüllt, so sind die Reparaturausgaben in dem Jahr als Aufwand zu erfassen, in dem sie entstanden sind, und zwar unabhängig von ihrer betragsmäßigen Höhe.

cc) Vollverschleiß bzw. Wiederherstellung

 

Rn. 354

Stand: EL 41 – ET: 12/2023

Von den Reparaturen und laufenden Instandhaltungen ist der Fall des Vollverschleißes (vgl. Pezzer, DB 1996, S. 849 (850); Spindler, DStR 1996, S. 765 (766)) und der anschließenden Wiederherstellung eines VG zu unterscheiden (vgl. auch HdR-E, HGB § 255, Rn. 130). Denn bei der sog. Zweitherstellung wird ein VG, dessen Nutzungsvorrat vollständig aufgebraucht ist, durch erhebliche Aufwendungen – ggf. unter Verwendung noch nutzbarer Teile des ursprünglichen VG – faktisch neu hergestellt (vgl. BFH, Urteil vom 31.01.1956, I 111/54 U, BStBl. III 1956, S. 86f.: Wird ein Omnibus unter Verwendung der noch brauchbaren Teile komplett neu aufgebaut, entsteht ein neuer VG). Es wird damit ein selbständiger neuer VG geschaffen, der zu HK zu bewerten ist. Es handelt sich um eine neue Investition (vgl. HdR-E, HGB § 255, Rn. 338ff.), ein Fall der nachträglichen HK ist somit nicht gegeben (vgl. Beck Bil-Komm. (2022), § 255 HGB, Rn. 319). Werden dagegen lediglich wesentliche Teile der abgenutzten Anlage ersetzt, entsteht kein neuer VG, die angefallenen Aufwendungen stellen nachträgliche HK dar, wenn sie die o. g. Abgrenzungsmerkmale erfüllen. Überwiegt der Charakter einer Reparatur, so sind die Aufwendungen in der laufenden Periode zu verrechnen.

Die...

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