Rn. 49

Stand: EL 38 – ET: 01/2023

Wenngleich die rechtstatsächliche Relevanz der Themenstellung mangels zumindest einschlägiger höchstrichterlicher Rspr. zweifelhaft erscheinen muss (vgl. zur praktischen Relevanz MünchKomm. AktG (2020), Anhang zu § 317, Rn. 9; Decher, ZHR 2007, S. 126 (137); Hüffer, in: FS Goette (2011), S. 191 (196f.); Mülbert (1996), S. 476ff.), so entsprach es doch der bis 2001 ganz h. M., dass die für den qualifiziert faktischen GmbH-Konzern entwickelten Grundsätze (auch) auf eine abhängige AG bzw. KGaA zu übertragen waren (vgl. nur Wiedemann (1988), S. 77ff.; Zöllner, in: GS Knobbe-Keuk (1997), S. 369). Zwar steht die verschuldensunabhängige Verpflichtung des herrschenden UN auf den ersten Blick in deutlichem Widerspruch zu der ein schuldhaftes Verhalten voraussetzenden Haftung der Konzernmutter nach § 317 AktG. Dem entspräche es an sich, die Regeln der §§ 311ff. AktG für faktische UN-Verbindungen unter Beteiligung von AG, KGaA bzw. SE als abschließende Regelung anzusehen, die keinen Raum für die analoge Anwendung der §§ 302f. AktG lässt. Für die analoge Anwendbarkeit ließ sich aber zum einen die verbreitete Unzufriedenheit mit dem als unzureichend und ineffektiv empfundenen Ausgleichssystem der §§ 311ff. AktG vorbringen (vgl. HdR-E, Einf AktG §§ 311–318, Rn. 45).

 

Rn. 50

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Hinzu kommt als sachliches Argument zum anderen, dass unter die Bezeichnung des faktischen Konzerns nur denkbar enge und seltene UN-Verbindungen fallen sollten, bei denen die abhängige Gesellschaft wie eine unselbständige Betriebsabteilung geführt wird (vgl. BGH, Urteil vom 20.02.1989, II ZR 167/88, BGHZ 107, S. 7 (19f.); Scheffler, AG 1990, S. 173). Die Folge einer solchen engen Führung der abhängigen Gesellschaft ist, dass die der Konzeption der §§ 311ff. AktG zugrunde liegende Einzel-Nachteilsabrechnung gar nicht mehr praktiziert werden kann (vgl. HdR-E, Einf AktG §§ 311–318, Rn. 45). Da sich die beherrschende Gesellschaft durch diese Form der Ausübung ihrer Leitungsmacht selbst außerhalb des gesetzlichen Regelungsmodells stellt, ist es nur folgerichtig, ihr auch die in §§ 311ff. AktG verankerte Vergünstigung zu versagen und andere Rechtsfolgen zu entwickeln (vgl. Lutter (1991), S. 74ff.).

 

Rn. 51

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Dabei drängt sich die entsprechende Anwendung der §§ 302f. AktG auf, d. h. die Verpflichtung der beherrschenden Gesellschaft zum Ausgleich des gesamten Jahresfehlbetrags in Form einer Innenhaftung. Ergänzend greift die Verpflichtung zur Abfindung der außenstehenden Aktionäre analog zu den §§ 304f. AktG, so dass der qualifiziert faktische Aktienkonzern im Ergebnis wie eine UN-Verbindung durch BHV behandelt wird. Das ist kein Widerspruch zum gesetzlichen Konzept; vielmehr gilt: Wer einen Konzern so führt, wie er das nach dem gesetzlichen Regelungsmodell nur aufgrund eines BHV darf, der muss auch ohne Vertrag dessen Rechtsfolgen hinnehmen. Die Funktionsunfähigkeit des Ausgleichssystems kann auch dadurch herbeigeführt werden, dass das TU durch einzelne, an sich isolierbare Eingriffe seine selbständige Existenzfähigkeit verliert und damit der Maßstab für die Bemessung weiterer Nachteile verloren geht (vgl. Mülbert (1996), S. 486ff.). Im Ergebnis lassen sich die vom BGH im Bereich des GmbH-Konzerns favorisierten Rechtsfolgen jedenfalls durchaus sachgerecht analog zu den §§ 302ff. AktG und damit nach spezifisch aktienrechtlichen Grundsätzen herbeiführen (vgl. so auch NK-AktG (2020), § 18, Rn. 7).

 

Rn. 52

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Führt das beherrschende UN eine abhängige AG, KGaA bzw. SE in einer qualifiziert faktischen Konzernverbindung, ohne einen BHV abgeschlossen zu haben, so verletzt es als Mehrheitsgesellschafter zugleich seine gesellschaftsrechtliche Treuepflicht gegenüber der abhängigen Gesellschaft und den außenstehenden Aktionären (vgl. dazu BGH, Urteil vom 25.02.2002, II ZR 196/00, NJW 2002, S. 1803 (1805)) – mit der Folge von Unterlassungs- und Schadensersatzansprüchen (vgl. für die Beschränkung der abhängigen Gesellschaft auf solche Schadensersatzansprüche unter Verzicht auf die Analogie zu den §§ 302f. AktG: Bälz, AG 1992, S. 277 (291ff.)). Auch ein präventiver Konzernschutz durch eine Konzernbildungskontrolle ist denkbar. Der Schutz über das in sich stimmige Rechtsfolgenmodell der §§ 302ff. AktG wirkt dabei effektiver als der präventive Konzernschutz durch Unterlassungsansprüche gegen benachteiligende Maßnahmen, wie er im Gefolge der Holzmüller-Entscheidung (vgl. BGH, Urteil vom 25.02.1982, II ZR 174/80, BGHZ 83, S. 122) diskutiert wurde (vgl. dazu Lutter/Timm, NJW 1982, S. 409ff.).

 

Rn. 53

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Die vorgenannten Argumente gelten für die AG, KGaA bzw. SE auch nach der Aufgabe der Rspr. zum qualifiziert faktischen GmbH-Konzern fort (vgl. dafür wie hier die wohl h. M. OLG Köln, Urteil vom 15.01.2009, 18 U 205/07, ZIP 2009, S. 1469 (1471f.); KonzernR (2022), Anhang zu § 317 AktG, Rn. 5f.; Habersack, AG 2016, S. 691 (695); Emmerich/Habersack (2020), § 28, ...

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