Leitsatz

Aufwendungen für eine Umschulungsmaßnahme, die die Grundlage dafür bildet, von einer Berufs- oder Erwerbsart zu einer anderen überzuwechseln, können vorab entstandene Werbungskosten sein (Änderung der Rechtsprechung).

 

Sachverhalt

Die Klägerin hatte den Beruf der Industriekauffrau erlernt und war bis 1977 als kaufmännische Angestellte beschäftigt, danach nicht mehr berufstätig. 1995 nahm sie im Alter von 44 Jahren an einer Fahrlehrerausbildung teil und legte die Prüfung erfolgreich ab. Ab 1.1.1995 war sie als Fahrlehrerin angestellt, mittlerweile unterhält sie eine eigene Fahrschule. In der ESt-Erklärung 1995 machte die Klägerin Aufwendungen für die Fahrlehrerausbildung von 23 240 DM als vorab entstandene Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit geltend. Das Finanzamt sah darin Berufsausbildungskosten und ließ diese nur mit dem Höchstbetrag von 900 DM nach § 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG als Sonderausgaben zum Abzug zu. Das FG gab der dagegen gerichteten Klage statt[1].

 

Entscheidung

Der BFH bestätigt die Entscheidung des FG. Soweit Umschulungskosten bisher nicht zum Werbungskostenabzug zugelassen wurden, hält der Senat an dieser Rechtsprechung[2] nicht mehr fest. Aufwendungen für eine auf die Erzielung von Einkünften gerichtete Umschulungsmaßnahme können Werbungskosten sein. Ob die Bildungsmaßnahme eine neue Basis für andere Berufsfelder schafft oder einen Berufswechsel vorbereitet, ist unerheblich.

Der für den Werbungskostenabzug erforderliche Veranlassungszusammenhang mit steuerpflichtigen Einnahmen kann bei jedweder berufsbezogenen Bildungsmaßnahme erfüllt sein, zumal § 9 EStG keine Sonderregelung zu Berufsbildungskosten enthält. Dieser Zusammenhang wird häufig bei einer Umschulungsmaßnahme gegeben sein. Denn in einem solchen Fall werden die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass der Steuerpflichtige das hierdurch erworbene Berufswissen am Arbeitsmarkt einsetzen kann, um künftig Einnahmen zu erzielen. Dem steht § 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG nicht entgegen, da die Regelung Aufwendungen für eine Berufsausbildung nur dann als Sonderausgaben erfasst, wenn sie weder Betriebsausgaben noch Werbungskosten sind. Der Werbungskosten- bzw. Betriebsausgabenabzug hat damit Vorrang vor dem Abzug von Berufsausbildungskosten als Sonderausgaben, so dass § 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG keine Sperrwirkung entfaltet[3].

Dem Abzug der Umschulungskosten als Werbungskosten steht auch § 12 Nr. 1 Satz 1 und 2 EStG nicht entgegen. Die aus beruflichen Gründen entstandenen Kosten stellen nicht zugleich Aufwendungen für die private Lebensführung dar, welche die wirtschaftliche oder gesellschaftliche Stellung des Steuerpflichtigen mit sich bringt. Die durch Arbeitslosigkeit bedingten Umschulungskosten weisen keinen Bezug zur privaten Lebensführung auf. Eine Zuordnung derartiger Aufwendungen zu den Kosten der privaten Lebensführung ließe die tiefgreifenden Veränderungen im Berufsleben, Bildungswesen und auf dem Arbeitsmarkt außer Acht.

Die Einordnung der Kosten für Berufsbildungsmaßnahmen als Erwerbsaufwendungen verringert Wertungsungleichheiten, die sich infolge der bisherigen Rechtsprechung ergaben. Während manche Steuerpflichtige die Umschulungskosten nach den Bestimmungen des AFG bzw. SGB III vom Staat steuerfrei erstattet bekamen, konnten die Steuerpflichtigen, die sich auf eigene Kosten zu einem anderen Beruf umschulen ließen, diese Kosten noch nicht einmal in Formvon Werbungskosten oder Betriebsausgaben geltend machen. Die Wertungsungleichheit tritt nicht ein, wenn Kosten der Umschulung als Erwerbsaufwendungen abziehbar sind.

 

Praxishinweis

Der Entscheidung des BFH kann nur zugestimmt werden, trägt sie doch den geänderten Rahmenbedingungen auf dem Arbeitsmarkt in zutreffender Weise Rechnung. Den notwendigen Zusammenhang zwischen Umschulungskosten und späteren Einnahmen erkennt der BFH hier darin, dass eine konkrete und berufsbezogene Maßnahme ergriffen und der damit erlernte Beruf alsbald nach Bestehen der Prüfung ausgeübt wurde, so dass Einnahmen erzielt werden konnten. Liegen diese Voraussetzungen vor, steht dem Werbungskostenabzug nichts im Wege. Problematisch könnten in der Praxis die Fälle werden, in denen eine Umschulung nicht mit Erfolg abgeschlossen wird oder trotz Abschluss nicht zur erhofften Beschäftigung führt. In diesen Fällen müssen m. E. die Grundsätze für vergebliche Werbungskosten bzw. Betriebsausgaben greifen, so dass es ausreicht, dass die Umschulung nachweisbar auf die Vorbereitung und Aufnahme einer Berufstätigkeit gerichtet war. Derartige Nachweise können m. E. beispielsweise durch Aufzeichnungen über Unterrichtsbesuche bzw. Bewerbungsunterlagen geführt werden.

 

Link zur Entscheidung

BFH, Urteil vom 04.12.2002, VI R 120/01

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