Leitsatz (amtlich)

Werden innerhalb der Spekulationsfrist des § 23 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b EStG a.F. (jetzt: § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG) Kapitalgesellschaftsanteile im Anschluss an eine mit der Gewährung von kostenlosen Bezugsrechten oder von Gratisaktien verbundene Kapitalerhöhung veräußert, sind im Rahmen der Gewinnermittlung nach § 23 Abs. 4 Satz 1 EStG a.F. (jetzt: § 23 Abs. 3 Satz 1 EStG) die ursprünglichen Anschaffungskosten der Kapitalgesellschaftsanteile um den auf die Bezugsrechte oder die Gratisaktien entfallenden Betrag zu kürzen.

 

Sachverhalt

Der Kläger erwarb in den Streitjahren 1983 bis 1986 und 1990 Stammaktien von AG, die in kurzem zeitlichen Abstand nach dem Erwerb Kapitalerhöhungen vornahmen, indem sie dem Inhaber der Stammaktie in einem bestimmten festgelegten Verhältnis kostenlos Bezugsrechte zum Kauf junger Aktien gewährten und/ oder Gratisaktien ausgaben. Nach der Kapitalerhöhung veräußerte der Kläger die Stammaktien innerhalb der Spekulationsfrist des § 23 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b EStG a.F. und erlitt wegen der bei der Ausgabe von Bezugsrechten oder Gratisaktien handelsüblichen Abschläge auf den Börsenkurs der Stammaktien bei diesen Veräußerungsgeschäften regelmäßig einen Verlust. Diesen legte er seinen Einkünfteermittlungen nach § 23 Abs. 4 Satz 1 EStG zugrunde. Die aufgrund der Bezugsrechte erworbenen jungen Aktien oder Gratisaktien veräußerte der Kläger nach Ablauf der Spekulationsfrist; angefallene Gewinne behandelte er als nicht steuerbar. Das Finanzamt teilte die ursprünglichen Anschaffungskosten der Stammaktien in den Aktienwert einerseits und den Wert der Bezugsrechte auf den Erwerb junger Aktien oder Gratisaktien andererseits auf. Den - um den Wert der Bezugsrechte und der Gratisaktien geminderten - Wert der Stammaktien stellte das Finanzamt den Veräußerungserlösen aus § 23 EStG gegenüber, was zu einer entsprechenden Minderung der mit Gewinnen aus anderen Spekulationsgeschäften verrechneten Verluste des Klägers führte. Klage[1] und Revision blieben erfolglos.

 

Entscheidungsgründe

Der Begriff "Anschaffungskosten" in § 23 Abs. 4 Satz 1 EStG ist mit dem Begriff der Anschaffungskosten in § 6 Abs. 1 Nr. 1 und 2 EStG identisch[2]. Anschaffungskosten sind damit - unter Bezugnahme auf § 255 Abs. 1 HGB - alle Aufwendungen, die geleistet werden, um einen Vermögensgegenstand zu erwerben und ihn in einen betriebsbereiten Zustand zu versetzen. Dieser einheitliche Anschaffungskostensbegriff gilt sowohl für die Gewinneinkünfte als auch für die Überschusseinkünfte[3]. Der Begriff der Anschaffungskosten schließt es nicht aus, dass ein ursprünglich vom Steuerpflichtigen angeschaffter Vermögensgegenstand durch mehrere andere Vermögensgegenstände ersetzt wird und dass sich die auf den ursprünglich angeschafften Vermögensgegenstand entfallenden Anschaffungskosten anteilig in mehreren Ersatzvermögensgegenständen fortsetzen. Durch die Gewährung kostenloser Bezugsrechte oder die Ausgabe von Gratisaktien erwirbt deren Inhaber unentgeltlich einen Anteil an den stillen Reserven, die in entsprechender Höhe aus der Substanz der Stammaktien ausscheiden. Eine solche Kapitalerhöhung führt wirtschaftlich zu einer Abspaltung der in den Stammaktien verkörperten Substanz und dementsprechend zu einer Abspaltung eines Teils der ursprünglichen Anschaffungskosten. Die zu Anteilen an einer im Privatvermögen gehaltenen wesentlichen Beteiligung[4] ergangene Rechtsprechung des BFH[5] ist insoweit wegen der Einheitlichkeit des Anschaffungskostensbegriffes auf die Ermittlung der Anschaffungskosten i.S. von § 23 Abs. 4 Satz 1 EStG zu übertragen.

Bei Anwendung dieser Grundsätze hat die Revision keinen Erfolg. Das FG hat der Gewinnermittlung nach § 23 Abs. 4 Satz 1 EStG zutreffend die Anschaffungskosten der Stammaktien, gemindert um den auf die Bezugsrechte und Gratisaktien entfallenden Betrag, zugrunde gelegt. Es hat auch in Übereinstimmung mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung die Werte von Stammaktien und Bezugsrechten sowie von Gratisaktien nach der Gesamtwertmethode errechnet[6].

 

Link zur Entscheidung

BFH vom 19.12.2000 – IX R 100/97

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