Leitsatz (amtlich)

Variabel verzinsliche Wertpapiere, die keine von vornherein bezifferbare Emissionsrendite haben, werden nicht vom Tatbestand des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Satz 1 Buchst. c oder d EStG erfasst.

 

Sachverhalt

Der Kläger kaufte 1993 sog. Floating Rate Notes (Floater) im Nennwert von 80 000 Australische Dollar. Die Floater waren im Juli 1992 emittiert worden und im Juli des Streitjahres 1997 endfällig. Die Zinsen, die sich mit einem Abschlag von 0,05 % nach der "London Interbank Offered Rate (LIBOR)" richteten, wurden dem Kläger halbjährlich ausbezahlt und von ihm versteuert. Bei Endfälligkeit und Einlösung der Floater im Juli 1997 erzielte der Kläger einen Währungsgewinn von rd. 17 000 DM. Das Finanzamt erfasste diesen Währungsgewinn über die sog. Marktrendite als Einkünfte aus Kapitalvermögen nach § 20 Abs. 2 Nr. 4 Buchst. c und d EStG. Die dagegen gerichtete Klage hatte Erfolg[1]. Der BFH wies die Revision als unbegründet zurück.

 

Entscheidungsgründe

Nach § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Satz 1 EStG gehören zu den Einkünften aus Kapitalvermögen u.a. auch die Einnahmen aus der Veräußerung oder Abtretung von sonstigen Kapitalforderungen, bei denen die Höhe der Erträge von einem ungewissen Ereignis abhängt (Buchst. c, 2. Alternative) oder bei denen die Kapitalerträge in unterschiedlicher Höhe gezahlt werden (Buchst. d, 1. Alternative), soweit sie der rechnerisch auf die Besitzzeit entfallenden Emissionsrendite entsprechen. Soweit der Kläger seine Wertpapiere nicht veräußert oder abgetreten, sondern bei Endfälligkeit eingelöst hat, gelten die Sätze 1-3 gemäß § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Satz 4 EStG für die Einlösung durch den zweiten und jeden weiteren Erwerber entsprechend. Da der Kläger unstreitig nicht der Ersterwerber war, sind die genannten Vorschriften entsprechend anwendbar.

Umstritten ist die Auslegung des § 20 Abs. 2 Satz 4 Nr. 4 Satz 1 EStG, wonach die "rechnerisch auf die Besitzzeit entfallende Emissionsrendite" als Einnahme zu erfassen ist; denn bei Floatern ist die Ermittlung einer von vornherein, d.h. zum Zeitpunkt der Ausgabe des Wertpapiers, bezifferbaren Emissionsrendite objektiv unmöglich. Wertpapiere ohne eine von vornherein bezifferbare Emissionsrendite - und folglich auch Floater - fallen nicht unter § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Satz 1 EStG. Denn die Ermittlung der rechnerisch auf die Besitzzeit entfallenden Emissionsrendite setzt das Vorliegen einer solchen Rendite voraus. Fehlt sie, ist ein Merkmal des gesetzlichen Tatbestands nicht erfüllt. Zu einem anderen Gesetzesverständnis führt auch nicht der Satz 2, welcher die sog. Marktrendite für maßgeblich erklärt. Hierbei handelt es sich um eine Beweislastregelung, die an den Tatbestand des vorangehenden Satzes 1 anknüpft. Ihr fehlt die Grundlage und sie ist nicht anwendbar, wenn der Tatbestand des Satzes 1 nicht erfüllt sein kann, weil die konkrete Kapitalanlage ihrer Art nach keine Emissionsrendite i.S. des Gesetzes hat. Ein Gesetzgeber, der Rechtsfolgen an einen fehlenden Nachweis knüpft, setzt vernünftigerweise die objektive Möglichkeit des Nachweises voraus. Wenn ein Tatbestandsmerkmal bereits objektiv nicht vorliegen kann, ist an diesen Sachverhalt und nicht an einen fehlenden Nachweis anzuknüpfen. Die Besteuerung der Einkünfte aus Kapitalvermögen wird von dem Grundsatz beherrscht, dass zwischen dem Kapitalvermögen als solchem und dem Ertrag als Frucht des Kapitals zu unterscheiden ist. Grundsätzlich wirken sich deshalb Wertänderungen der Kapitalanlage als solche auf die Besteuerung der erzielten Erträge im Rahmen des § 20 EStG nicht aus[2]. Die Besteuerung nach der sog. Marktrendite stellt danach einen Systembruch dar, weil auch Wertänderungen ohne den Charakter eines Nutzungsentgelts als Kapitalertrag gelten. Bei einem solchen Eingriff in ein bestehendes Besteuerungssystem sind die tatbestandlichen Voraussetzungen, unter denen die systemwidrigen Rechtsfolgen eintreten sollen, eindeutig und unmissverständlich festzulegen. Ist dies nicht geschehen, liegt jedenfalls im Zweifel eine restriktive Auslegung näher als eine extensive, zumal nach der Rechtsprechung des BVerfG die Systemwidrigkeit einen Verstoß gegen den Gleichheitssatz indizieren kann.

 

Link zur Entscheidung

BFH vom 24.10.2000 – VIII R 28/99

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt WohnungsWirtschafts Office Professional. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen