Leitsatz

Billigkeitsmaßnahmen der Verwaltung zur Anpassung der Verwaltungspraxis an eine von der bisherigen Verwaltungsmeinung abweichende Rechtsauffassung sind von den Gerichten jedenfalls dann zu beachten, wenn sie vom Finanzamt im Rahmen der Steuerfestsetzung getroffen wurden und bestandskräftig geworden sind.

 

Sachverhalt

A und B waren in den Streitjahren 1995 bis 1997 Gesellschafter-Geschäftsführer einer GmbH, von der sie u.a. pauschale Zuschläge nach § 3b EStG bezogen. Im Anschluss an eine Lohnsteuer-Außenprüfung behandelte das Finanzamt die Zuschläge als verdeckte Gewinnausschüttung und versagte ihre Steuerfreiheit. Ihre dagegen erhobenen Einsprüche begründeten A und B damit, nach der BFH-Rechtsprechung handele es sich bei den Zuschlägen zwar grundsätzlich um verdeckte Gewinnausschüttungen, nach Verwaltungsansicht[1] seien aber aus dieser Rechtsprechung keine nachteiligen steuerlichen Folgen zu ziehen, soweit solche Zuschläge für vor dem 1.1.1998 endende Lohnzahlungszeiträume geleistet worden seien. Das Finanzamt erließ darauf geänderte ESt-Bescheide und behandelte die Zuschläge als steuerpflichtigen Arbeitslohn, da die sachlichen Voraussetzungen des § 3b EStG nicht erfüllt seien. Das FG beurteilte die Zuschläge als verdeckte Gewinnausschüttungen, da sie mit dem Aufgabenbild eines GmbH-Geschäftsführers nicht vereinbar seien.

 

Entscheidung

Der BFH hat die Vorentscheidung aufgehoben und die Sache an das FG zurückverwiesen, da das FG zum Vorliegen der Voraussetzungen des § 3b EStG keine Feststellungen getroffen hatte.

Das FG habe den Sachverhalt zwar zutreffend im Festsetzungs- und nicht im Billigkeitsverfahren beurteilt; es hätte in diesem Verfahren aber die sachlichen Voraussetzungen für die Steuerfreiheit der Zuschläge nach § 3b EStG prüfen müssen. Das FG sei an die Entscheidung des Finanzamts gebunden, den Sachverhalt auf der Grundlage des BMF-Schreibens vom 28.9.1998[2] zu beurteilen und hätte die Zuschläge daher nicht als verdeckte Gewinnausschüttung qualifizieren dürfen. Zwar seien Zuschläge für Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeit, die an GmbH-Geschäftsführer gezahlt werden, nicht nach § 3b EStG steuerfrei, sondern bei den Einkünften aus Kapitalvermögen zu erfassende verdeckte Gewinnausschüttungen. Das Finanzamt sei aber aufgrund der Übergangsregelung davon ausgegangen, die Zuschläge müssten den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit zugerechnet werden. Diese Beurteilung binde das FG. Denn die Nichtberücksichtigung der verdeckten Gewinnausschüttung zu Gunsten der Beurteilung der Zuschläge als steuerfreier Arbeitslohn beinhalte eine konkludent mit der Steuerfestsetzung verbundene Billigkeitsmaßnahme i.S.d. § 163 AO, die mangels Anfechtung bestandskräftig geworden sei. Für die Einkommensteuerfestsetzung sei die Billigkeitsmaßnahme Grundlagenbescheid und damit für diese verbindlich. Wegen ihrer Bestandskraft sei sie der gerichtlichen Prüfung auch dann entzogen, wenn sie den materiell-rechtlichen und formellen Anforderungen einer Ermessensentscheidung nach § 163 AO nicht entsprochen haben sollte.

 

Praxishinweis

Nach ständiger Rechtsprechung[3] beinhaltet die Vergütung von Überstunden und die Zahlung von Zuschlägen i.S.d. § 3b EStG an einen GmbH-Gesellschafter-Geschäftsführer stets eine verdeckte Gewinnausschüttung, weil sie dessen Aufgabenbild nicht entsprechen und demnach als durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst beurteilt werden. Als Maßnahme im Rahmen einer bloßen Steuerfestsetzung wäre die Umqualifizierung der verdeckten Gewinnausschüttung in Arbeitslohn daher rechtswidrig gewesen; sie konnte daher nur als konkludente Billigkeitsmaßnahme unter Berücksichtigung des BMF-Schreibens vom 28.9.1998[4] angesehen werden. Dass im Rahmen einer Steuerfestsetzung konkludent eine Billigkeitsmaßnahme ergehen kann und dass diese – sofern sie nicht angefochten wird – als Grundlagenbescheid i.S.d. § 171 Abs. 10 AO für das weitere Steuerfestsetzungsverfahren verbindlich ist, steht außer Frage.

 

Link zur Entscheidung

BFH-Urteil vom 16.3.2004, VIII R 33/02

[2] Vgl. ebenda
[4] Vgl. BMF-Schreiben vom 28.9.1998, a.a.O. (Fn. 1)

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