Leitsatz (amtlich)

Wohnungen in einem Sondernutzungsgebiet i.S. von § 10 BauNVO sind nach § 10e EStG begünstigt, wenn die zuständige Baugenehmigungsbehörde die dauernde Nutzung genehmigt hat. Dies gilt bis zur Rücknahme der Baugenehmigung selbst dann, wenn sie insoweit rechtswidrig ist (Fortführung der BFH-Urteile vom 28.3.1990, X R 160/88, BStBl II 1990, S. 815 = INF 1990, S. 473, und vom 31.5.1995, X R 140/93, BStBl II 1995, S. 720).

 

Sachverhalt

Die Kläger, im Streitjahr 1995 zusammen zu veranlagende Eheleute, erwarben 1994 ein mit einem Wohnblockhaus bebautes Grundstück. Das Grundstück liegt in einem Sondernutzungsgebiet i.S. des § 10 Abs. 1 BauNVO. Die Baugenehmigung aus dem Jahr 1982 enthält weder eine Nutzungseinschränkung noch einen Hinweis auf die Festsetzungen des Bebauungsplans. Die Kläger bewohnen das Wohnblockhaus selbst. Sie machten für 1995 die Grundförderung nach § 10e Abs. 1 EStG, Vorkosten nach § 10e Abs. 6 EStG sowie die Steuerermäßigung nach § 34f Abs. 2 EStG für ein Kind geltend. Das Finanzamt ließ die beantragten Steuervergünstigungen mit der Begründung unberücksichtigt, das Gebäude liege in einem Wochenend- und Ferienhausgebiet. Die Baugenehmigungsbehörde teilte dem Finanzamt im Einspruchsverfahren mit, dass im Bebauungsplan eine Wohnnutzung weder allgemein noch im Wege der Ausnahme zugelassen worden sei. Gleichwohl seien im Zeitraum von 1972 bis 1982 sog. Wohnblockhäuser genehmigt worden. Das Gebäude dürfe aufgrund der erteilten Baugenehmigung zu Dauerwohnzwecken genutzt werden. Die Rücknahme der Baugenehmigungen sei nicht beabsichtigt. Daraus könne jedoch nicht auf eine stillschweigende Duldung geschlossen werden. Das FG gab der Klage statt[1]. Der BFH bestätigte die Vorentscheidung.

 

Entscheidungsgründe

§ 10e Abs. 1 EStG begünstigt die Anschaffung oder Herstellung einer zu eigenen Wohnzwecken genutzten Wohnung, die keine Ferien- oder Wochenendwohnung ist. Im Streitfall liegt die Wohnung in einem Sondernutzungsgebiet i.S. von § 10 BauNVO (Wochenendhaus-, Ferienhaus- oder Campingplatzgebiet). Die Begünstigung nach § 10e EStG hängt deshalb davon ab, ob nach der verbindlichen Entscheidung der zuständigen Behörde die Dauernutzung der Wohnung baurechtlich genehmigt wurde[2]. Die Baugenehmigung enthält die verbindliche Feststellung, dass das genehmigte Vorhaben "mit dem im Zeitpunkt der Erteilung der Genehmigung geltenden öffentlichen Recht übereinstimmt"[3], es also allen Anforderungen des materiellen Rechts entspricht. Deshalb kann sich bei einem Gebäude die Frage nach der materiellen Legalität erst stellen, wenn die erteilte Genehmigung zurückgenommen wird[4]. Die Baugenehmigung enthält für die Dauer ihrer Wirksamkeit die für die Betroffenen ebenso wie für andere Behörden verbindliche Entscheidung, dass die von ihr mitumfasste und bezweckte Nutzung der baulichen Anlage nach den öffentlich-rechtlichen Vorschriften im Zeitpunkt der Entscheidung zulässig ist. Sie schließt eine ganz bestimmte Nutzung ein[5]. Die materielle Bindungswirkung einer Baugenehmigung erstreckt sich nicht nur auf den Bauherrn und seine Rechtsnachfolger, auf die Bauaufsichtsbehörden und Gemeinden, sondern auch auf andere Behörden. Dies folgt aus dem Grundsatz der Tatbestandswirkung von Verwaltungsakten. Auch Gerichte aller Gerichtszweige, die nicht selbst mit der Kontrolle der Baugenehmigung im Rahmen von Klagen und Anträgen befasst sind, sind als Teil des staatlichen Kompetenzgefüges an den Inhalt einer bestandskräftigen, formell wirksamen Baugenehmigung gebunden.

Ob die Wohnung der Kläger rechtlich als Wochenend- bzw. Ferienwohnung einzustufen ist oder ob sie dauernd bewohnt werden darf, hängt nach alledem nicht von den Festsetzungen im Bebauungsplan, sondern allein von der ihren Rechtsvorgängern erteilten Baugenehmigung ab. Nach den Feststellungen des FG enthält diese weder eine Nutzungseinschränkung noch einen Hinweis auf die Festsetzungen des Bebauungsplans. Die Baugenehmigung beinhaltet somit die - auch die Gerichte der Finanzgerichtsbarkeit - bindende Feststellung, dass das Gebäude nicht nur zu Wochenend- und Ferienzwecken, sondern zu Dauerwohnzwecken - wie von der Baugenehmigungsbehörde im finanzgerichtlichen Verfahren auch bestätigt wurde - genutzt werden darf.

 

Link zur Entscheidung

BFH vom 14.11.2001 – X R 24/00

[3] BVerwG-Urteil vom 25.10.1967, IV C 129.65, BVerwGE 28, S. 175
[4] Vgl. BVerwG-Urteil vom 8.6.1979, IV C 23.77, BVerwGE 58, S. 124
[5] Vgl. BVerwG-Urteil vom 11.5.1989, IV C 1.88, BVerwGE 82, S. 61

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