Leitsatz

  1. Ein hinreichender Anlass für Ermittlungen der Steuerfahndung zur Aufdeckung unbekannter Steuerfälle nach § 93, § 208 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO kann auch dann vorliegen, wenn bei Betriebsprüfungen Steuerverkürzungen aufgedeckt worden sind, die durch bestimmte für die Berufsgruppe typische Geschäftsabläufe begünstigt worden sind. Eine nur geringe Anzahl bereits festgestellter Steuerverkürzungen allein steht dann der Aufnahme von Vorfeldermittlungen nicht entgegen.
  2. Die Befragung Dritter, auch wenn sie mit den möglichen Steuerverkürzern in keiner unmittelbaren Beziehung stehen, ist – ohne dass es eines Anlasses in ihrer Person oder Sphäre bedürfte – gerechtfertigt, wenn die Steuerfahndung aufgrund ihrer Vorerkenntnisse nach pflichtgemäßem Ermessen zu dem Ergebnis gelangt, dass die Auskunft zu steuererheblichen Tatsachen zu führen vermag.
 

Sachverhalt

Die Steuerfahndung verlangt von einem Pharmaunternehmen die Angabe der 50 Apotheken, an die in einem bestimmten Zeitraum die größten Mengen eines Präparats geliefert worden sind. Dieses Präparat wird in Deutschland von den meisten der 9 000 bis 10 000 praktizierenden Gynäkologen verwendet und wurde im betreffenden Zeitraum jährlich ca. 130 000 bis 180 000 Mal verkauft. Anlass für das Auskunftsbegehren war, dass Betriebsprüfungen bei sechs Gynäkologen Differenzen zwischen dem Einkaufspreis und den mit dem Präparat erzielten Erlösen ergeben hatten. Die Steuerfahndung hoffte, über die Apotheken weitere Ärzte ermitteln zu können, die sich ebenso verhalten und dadurch Steuern hinterzogen haben.

 

Entscheidung

Das Auskunftsersuchen ist rechtmäßig. Es ist nicht Voraussetzung für ein steuerverfahrensrechtliches Auskunftsverlangen, dass der Auskunftspflichtige an dem vermuteten steuerunehrlichen Verhalten beteiligt ist oder sein kann. Der erforderliche hinreichende Anlass für die Ermittlungen der Steuerfahndung ergibt sich daraus, dass die Möglichkeit einer Steuerverkürzung aufgrund eines diese begünstigenden Geschäftsablaufs besteht, wie sich in den sechs geprüften Fällen gezeigt hat.

 

Praxishinweis

Ermittlungen "ins Blaue hinein", "Rasterfahndungen" und "Ausforschungsdurchsuchungen" sind unzulässig. Es kann aber ausreichen, dass die Steuerfahndung im Rahmen einer Prognose Auskünfte erwartet, die sie zu steuererheblichen Tatsachen führen können[1]. Im Bankenbereich hat der BFH wegen § 30a AO mitunter schärfere Anforderungen gestellt. Diese Entscheidung lässt solche Strenge wenig erkennen, zumal sie auf jede substantielle Analyse des Nutzens des Auskunftsersuchens verzichtet.

 

Link zur Entscheidung

BFH-Urteil vom 5.10.2006, VII R 63/05

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