Rn 29

Was Urteilsgegenstand und damit von der materiellen Rechtskraft erfasst ist, ergibt sich vorrangig aus der Urteilsformel. Sofern der Tenor nicht ausreicht, um den Entscheidungsgegenstand konkret zu bezeichnen, müssen auch Tatbestand und Entscheidungsgründe zur Abgrenzung und Bestimmung des Umfangs der Rechtskraft ergänzend herangezogen werden (BGH NJW 83, 2032 [BGH 17.02.1983 - III ZR 174/81], NJW 97, 3447 [BGH 13.05.1997 - VI ZR 181/96]; MDR 15, 294 [BGH 24.07.2014 - I ZR 27/13]). Bei einer klageabweisenden Entscheidung ist der aus der Begründung zu ermittelnde ausschlaggebende Abweisungsgrund Teil des in Rechtskraft erwachsenden Entscheidungssatzes (BGH NJW 93, 3204, 3205 [BGH 24.06.1993 - III ZR 43/92]). Die materielle Rechtskraft erfasst grds alle in Betracht kommenden Anspruchsgrundlagen. Die Rechtskraft eines Urteils, das auf vertraglicher Grundlage geltend gemachte Zahlungsansprüche abweist, erfasst daher konkurrierende Ansprüche aus ungerechtfertigter Bereicherung selbst dann, wenn das Gericht den Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung oder einen sonstigen rechtlichen Gesichtspunkt übersehen hat (BGH NJW 95, 1757 [BGH 17.03.1995 - V ZR 178/93]). Der Kl kann den Umfang der Rechtskraft auch nicht durch die Wahl eines bestimmten Gerichtsstandes auf einzelne Anspruchsgrundlagen beschränken, da das angerufene Gericht nach der Neufassung des § 17 II GVG zum 1.1.91 eine umfassende Prüfungskompetenz hat. Es ist daher nicht nur berechtigt, sondern auch verpflichtet, den Anspruch unter allen in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten zu prüfen und für den Fall, dass eine ausschließliche Zuständigkeit für die Prüfung einer einzelnen Anspruchsgrundlage besteht, insgesamt zu verweisen (Wieczorek/Schütze/Büscher § 322 Rz 116). Wird allerdings in den Entscheidungsgründen eines klageabweisenden Urteils ein bestimmter materiell-rechtlicher Anspruch ausdrücklich als nicht beschieden bezeichnet, kann es dem Kl nicht verwehrt werden, diesen Anspruch in einem weiteren Verfahren geltend zu machen (BGH GRUR 02, 787 [BGH 14.05.2002 - X ZR 144/00]).

 

Rn 30

Übersieht das Gericht einen materiellen Anspruch oder spricht das Gericht dem Kl irrtümlich einen Anspruch ab, den dieser nicht erhoben hatte und tritt die belastete Partei dem nicht im Rechtsmittelverfahren entgegen, so ist dieser rechtskräftig aberkannt (BGH NJW 91, 1683). Allerdings wird aus der Verneinung eines Anspruchs in den Entscheidungsgründen nicht generell gefolgert werden können, dass dieser Anspruch dem Kl unabhängig davon abgesprochen werden soll, ob er ihn geltend gemacht hatte. Wird bspw eine Teilklage mit der Begründung abgewiesen, dem Kl stehe die gesamte Forderung nicht zu, so beschränkt sich die materielle Rechtskraft gleichwohl nur auf die Verneinung des geltend gemachten Teilbetrags (BGH NJW 99, 287, 288f). Umgekehrt schafft ein Urt Rechtskraft auch dann, wenn das Gericht unter Verstoß gegen § 308 irrtümlich einen Anspruch zuspricht, den keine der Parteien erhoben hat und dieser Fehler nicht im Rechtsmittelverfahren korrigiert wird (BGHZ 34, 337, 339 f = NJW 61, 917).

 

Rn 31

Hat der Kl ein berechtigtes Interesse daran, dass ein Anspruch in bestimmter Weise rechtlich qualifiziert wird, etwa im Hinblick auf die Zwangsvollstreckung auch aus dem Gesichtspunkt der vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung für gerechtfertigt erklärt wird, kann er dies nur im Wege einer Zwischenfeststellungsklage erreichen (BGHZ 109, 275 = NJW 90, 834). Ansonsten erwächst die rechtliche Qualifizierung eines Anspruchs nach hM nicht selbstständig in Rechtskraft (München MDR 16, 415 [BGH 16.09.2015 - V ZR 8/15]; Zö/G.Vollkommer vor § 322 Rz 30 f; MüKoZPO/Gottwald § 322 Rz 95 mwN; diff St/J/Althammer § 322 Rz 110 ff). So umfasst die Rechtskraft eines auf § 823 BGB gestützten Zahlungstitels nicht zugleich die verbindliche Feststellung, dass eine Vorsatztat vorliegt (BGHZ 183, 77 = NJW 10, 2210; zust St/J/Althammer § 322 Rz 117; umfassend dazu Roth ZZP 124 [2011], 3 ff).

 

Rn 32

Bei Urteilen ohne Tatbestand und Entscheidungsgründe sowie bei nichtstreitigen Urteilen ist auch das Parteivorbringen zu berücksichtigen, da der Tenor regelmäßig allein nicht ausreicht, um den zum Streitgegenstand gehörenden Lebenssachverhalt festzulegen (BGH NJW 01, 310 [BGH 26.10.2000 - 3 StR 6/00]; NJW 01, 3053 [BGH 18.05.2001 - V ZR 239/00]). Bei einem stattgebenden Versäumnisurteil gegen den Bekl ist daher neben der Urteilsformel ergänzend auf das Klagevorbringen abzustellen (BGH NJW 72, 2268, 2269; BGHZ 124, 164, 166 = NJW 94, 460). Die Rechtskraft eines klageabweisenden Versäumnisurteils gegen den Kl macht die erneute gerichtliche Geltendmachung des Klageanspruchs in jedem Fall unzulässig (BGHZ 35, 338 = NJW 61, 1969). Diese absolute Sperrwirkung gilt nicht nur für das erstinstanzliche klageabweisende Versäumnisurteil, sondern auch für das Versäumnisurteil des Berufungsgerichts, mit dem die Berufung des Kl gegen ein kontradiktorisches klageabweisendes Urt der 1. Instanz zurückgewiesen ...

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