Leitsatz (amtlich)

›a) Die Rechtskraft der Abweisung einer Schadensersatzklage hindert den Kläger, in einem nachfolgenden Rechtsstreit gegen denselben Beklagten über eine andere Forderung, die das Bestehen des abgewiesenen Schadensersatzanspruchs voraussetzt, geltend zu machen, der Vorprozeß sei unrichtig entschieden.

b) Ist die Entscheidung des Vorprozesses durch eine dem Beklagten zuzurechnende Amtspflichtverletzung (hier: erteilte falsche Auskunft) beeinflußt worden, so hängt es von dem Gewicht der Amtspflichtverletzung ab, ob die Berufung auf die Rechtskraft gegen Treu und Glauben verstößt.‹

 

Verfahrensgang

LG Frankfurt am Main

OLG Frankfurt am Main

 

Tatbestand

Der Kläger kam am 6. November 1985 als achtjähriger Schüler während einer Unterrichtspause auf dem Gelände der Grundschule H. beim Spielen zu Fall und verletzte sich an einer Eisenspitze eines von der beklagten Gemeinde errichteten Bauzaunes, der den Schulhof zu benachbarten Baugrundstücken hin abgrenzte. Der Unfall wurde als Schulunfall anerkannt.

Der Kläger nahm die Beklagte auf Zahlung eines Schmerzensgeldes und Feststellung der Ersatzpflicht für zukünftige Schäden in Anspruch. Die Klage blieb in allen Rechtszügen erfolglos. Die Klageabweisung wurde darauf gestützt, daß die Beklagte, die (im damaligen Rechtsstreit unstreitig) den Zaun im Februar 1982 errichtet habe, aufgrund mit dem Landkreis getroffener Vereinbarung bis zum 31. Dezember 1982 wie ein Schulträger als Unternehmer des Schulbetriebes anzusehen sei, so daß ihr der Haftungsausschluß der §§ 636, 637 RVO zugute komme (letztinstanzlich Senatsbeschluß vom 22. Februar 1989 - III ZR 234/88 - VersR 1990, 404).

Inzwischen hat sich herausgestellt, daß der Bauzaun erst im April 1983 errichtet worden ist. Der Kläger nimmt nunmehr die Beklagte erneut auf Schadensersatz in Anspruch. Er ist der Auffassung, der rechtskräftige Abschluß des Vorprozesses stehe dieser Klage nicht entgegen, weil im Hinblick auf den geänderten Sachverhalt ein neuer Streitgegenstand vorliege. Außerdem sei die Beklagte ihm zum Schadensersatz verpflichtet, weil ihr Bediensteter Sch. vor Prozeßbeginn seinem Rechtsanwalt die unzutreffende Auskunft erteilt habe, der Zaun sei bereits im Jahr 1982 errichtet worden. Diese Auskunft habe dazu geführt, daß er den Vorprozeß verloren habe.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, weil über den geltend gemachten Anspruch wegen des Unfalls bereits rechtskräftig entschieden und die falsche Auskunft im Rahmen fiskalischer Tätigkeit erteilt worden sei. Das Oberlandesgericht hat der Klage überwiegend stattgegeben. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihr Klageabweisungsbegehren weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Abweisung der Klage.

I. 1. Das Berufungsgericht ist der Auffassung:

Der auf Amtshaftung wegen falscher Auskunft gestützten Klage stehe die Rechtskraft der Entscheidung des vorangegangenen Rechtsstreits nicht entgegen. Aus der erteilten Falschauskunft könne der Kläger einen Amtshaftungsanspruch gegen die Beklagte unabhängig davon herleiten, ob sie im Rahmen hoheitlicher oder fiskalischer Tätigkeit erteilt worden sei. Die falsche Auskunft habe den Verlust des Vorprozesses verursacht. Bei zutreffender Auskunft über den Zeitpunkt der Errichtung des Bauzaunes hätte der Kläger den Vorprozeß gewonnen, weil die Beklagte sich dann nicht auf §§ 636, 637 RVO hätte berufen können.

2. Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung nicht in allen Punkten stand.

II. Die Zulässigkeit der Klage hat das Berufungsgericht allerdings mit Recht bejaht. Es handelt sich gegenüber dem zunächst geführten Prozeß um einen anderen Streitgegenstand.

1. Dies ergibt sich - wie das Berufungsgericht zutreffend ausführt - nicht schon aus dem Umstand, daß der Kläger nunmehr vorträgt, der Bauzaun, an dem er seinen Unfall erlitten habe, sei nicht schon im Jahr 1982, sondern erst im April 1983 errichtet worden. Soweit der Kläger seinen Anspruch wiederum aus dem Unfall vom 6. November 1985 herleitet, sind sowohl das Klagebegehren als auch der Lebenssachverhalt, auf den es gestützt ist, identisch mit denen des rechtskräftig entschiedenen Vorprozesses. Die Identität des Lebenssachverhalts wird nicht dadurch in Frage gestellt, daß die Parteien ihn nicht in allen Einzelheiten gleich schildern. Der Umstand, daß die schädigende Handlung zu einem anderen Zeitpunkt bewirkt worden ist, als ursprünglich angenommen, berührt für sich allein weder die Identität dieser Handlung noch die des Lebenssachverhalts, dessen Bestandteil sie bildet.

Dies erfordern die allgemeinen Regeln über die aus der Rechtskraft folgende Tatsachenpräklusion. Danach können früher schon vorhandene, im Vorprozeß aber nicht vorgetragene Tatsachen, die mit dem Prozeßstoff des Vorprozesses in Zusammenhang stehen und den dortigen Tatsachenfeststellungen widersprechen, grundsätzlich nicht mehr mit dem Ziel vorgetragen werden, daß das kontradiktorische Gegenteil der früher festgestellten Rechtsfolge ausgesprochen wird (BGHZ 98, 353 [358 f]; vgl. auch BGH Urteil vom 19. Dezember 1991 - IX ZR 96/91 - BGHZ 117, 1, 4 = BGHR ZPO § 322 Abs. 1 Zug- um-Zug-Verurteilung 1).

2. Soweit der Kläger nunmehr geltend macht, die Beklagte hafte ihm wegen der unrichtig erteilten Auskunft über den Zeitpunkt der Errichtung des Bauzaunes an der Grenze des Schulgrundstücks, steht die Rechtskraft der Entscheidung des Vorprozesses der Zulässigkeit seiner Klage nicht entgegen. Denn der Kläger leitet insoweit die von ihm in Anspruch genommene Rechtsfolge des Schadensersatzanspruchs aus einem Ereignis her, das - bei natürlicher Betrachtungsweise - nicht zu dem Lebenssachverhalt gehört, der Gegenstand des Vorprozesses war. Der Verlust des Vorprozesses ist nur der durch die unrichtige Auskunft (möglicherweise) verursachte Schaden.

III. Die Zubilligung eines Schadensersatzanspruchs gegen die beklagte Gemeinde wegen der Erteilung der unrichtigen Auskunft über den Zeitpunkt der Errichtung des Bauzaunes hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

l. Der Kläger kann im vorliegenden Rechtsstreit nicht geltend machen, daß ihm durch die unrichtige Auskunft ein Schaden entstanden sei.

Ein Schaden in dem geltend gemachten Umfang ist dem Kläger nur dann entstanden, wenn er den Vorprozeß wegen der unrichtigen Auskunft zu Unrecht verloren hat. Dies kann er im vorliegenden Prozeß im Hinblick auf die rechtskräftige Entscheidung des Vorprozesses nicht geltend machen.

Hat ein Gericht in einem Rechtsstreit den Streitgegenstand eines rechtskräftig entschiedenen Vorprozesses erneut zu prüfen, dann hat es den Inhalt der rechtskräftigen Entscheidung seinem Urteil zugrunde zu legen (Zöller/Vollkommer, ZPO 17. Aufl. vor § 322 Rn. 24). Die Rechtskraft beschränkt sich allerdings auf die Rechtsfolge, die den Entscheidungssatz bildet, den das Gericht aus dem Sachverhalt durch dessen Subsumtion unter das objektive Recht erschlossen hat (Senatsurteil vom 17. Februar 1983 - III ZR 174/81 - NJW 1983, 2032 - insoweit nicht in VersR 1983, 461; BGHZ 42, 340 [349]). Bei einer klageabweisenden Entscheidung - wie im vorliegenden Fall - ist jedoch der aus der Begründung zu ermittelnde, die Rechtsfolge bestimmende, ausschlaggebende Abweisungsgrund Teil des in Rechtskraft erwachsenden Entscheidungssatzes und nicht allein ein Element der Entscheidungsbegründung. Im Falle der Abweisung eines Zahlungsanspruchs erwächst danach in Rechtskraft, daß der Kläger am Schluß der mündlichen Verhandlung im Vorprozeß gegen den Beklagten keinen Zahlungsanspruch hatte (BGH Urteil vom 6. Oktober 1989 - V ZR 283/86 - BGHR ZPO § 322 Abs. 1 Klageabweisung 1). Diese Feststellung ist auch bindend, wenn in einem neuen Prozeß der Parteien die Entscheidung über einen anderen Anspruch von dem Bestehen oder Nichtbestehen des Zahlungsanspruchs abhängt (vgl. BGH Urteil vom 13. März 1981 - V ZR 115/80 - NJW 1981, 1517 m.w.N.).

Demnach mußte das Berufungsgericht bei der Beurteilung der Frage, ob dem Kläger durch die falsche Auskunft des Bediensteten der Beklagten ein Schaden entstanden sei, davon ausgehen, daß dem Kläger bei Schluß der mündlichen Verhandlung im Vorprozeß kein Schadensersatzanspruch gegen die beklagte Gemeinde zustand. Dann konnte der Verlust des Vorprozesses aber kein durch die unrichtige Auskunft verursachter Schaden sein. Dies hat das Berufungsgericht verkannt, indem es den Vorprozeß als falsch entschieden gewürdigt hat, weil dem Kläger ein Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte zugestanden habe. Diesen Verstoß gegen die Rechtskraft einer früheren Entscheidung hat das Revisionsgericht von Amts wegen zu berücksichtigen (BGHZ 36, 365, 367 m.w.N.; BGH Urteil vom 6. Oktober 1989 - V ZR 283/96 - BGHR ZPO § 322 Abs. 1 Amtsprüfung 1).

Etwas anderes läßt sich für den vorliegenden Fall auch nicht aus dem vom Kläger in bezug genommenen Urteil des Bundesgerichtshofes vom 22. Mai 1981 - V ZR 111/80 - NJW 1981, 2306 - herleiten. Dort hat der Bundesgerichtshof ausgesprochen, daß die Rechtskraft der Abweisung einer auf eine vertragliche Schuldübernahme gestützten Klage nicht einer erneuten Klage entgegenstehe, die auf einen (gesetzlichen) Schuldübergang kraft Gesamtvermögensübernahme gestützt sei. Er hat angenommen, daß in diesem Fall der neuen Klage ein wesentlich anderer Streitgegenstand zugrunde liege, da der Anspruchsgrund der Vermögensübernahme kein Streitpunkt des Vorprozesses gewesen sei. Diese Sachlage läßt sich mit der hier vorliegenden nicht gleichsetzen. Hier ging und geht es in beiden Prozessen um die Rechtsfolgen der Errichtung und mangelhaften Instandhaltung desselben Bauzaunes durch die Beklagte. Daß derselbe Sachverhalt sich bei genauerer Kenntnis in einem Punkt anders darstellt, als im Vorprozeß angenommen, begrenzt die Rechtskraftwirkung nicht. Sonst würde jede neue Behauptung, der einem rechtskräftig abgeschlossenen Prozeß zugrunde liegende Sachverhalt sei tatsächlich etwas anders gelagert gewesen, die Rechtskraftwirkung beseitigen können. Das kann nicht richtig sein.

Die Prozesse gegen Anwälte wegen nachlässiger Prozeßführung, die an sich ähnlich strukturiert sind, weil ein Verschulden des Beklagten zum Prozeßverlust geführt hat (vgl. etwa Senatsurteil BGHZ 118, 59 = VersR 1992, 967), sind insofern anders gelagert, als sie gegen eine andere Partei geführt werden, im Verhältnis zu der die Rechtskraft nicht wirkt. Hier stehen sich aber dieselben Parteien wie im Vorprozeß gegenüber.

2. Die beklagte Stadt ist auch nicht nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) gehindert, sich auf die Rechtskraft der Entscheidung des Vorprozesses zu berufen.

Nach gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung kann der Grundsatz von Treu und Glauben der Berufung auf eine rechtskräftige, aber materiell unrichtige Entscheidung entgegenstehen. Die Rechtskraft muß zurücktreten, wenn es mit dem Gerechtigkeitsgedanken schlechthin unvereinbar wäre, daß der Titelinhaber seine formelle Rechtsstellung unter Mißachtung der materiellen Rechtslage zu Lasten seines Gegners ausnutzt. Wäre dies hier der Fall, dann wäre es der Beklagten verwehrt, sich zur Abwehr des vom Kläger erhobenen neuen Anspruchs auf die Rechtskraft des im Vorprozeß ergangenen Urteils zu berufen.

Eine solche Durchbrechung der Rechtskraft muß jedoch auf besonders schwerwiegende, eng begrenzte Ausnahmefälle beschränkt bleiben, weil sonst die Rechtskraft ausgehöhlt, die Rechtssicherheit beeinträchtigt und der Rechtsfrieden in Frage gestellt würde (Senatsurteil BGHZ 101, 380 [383 f.]; BGHZ 103, 44 [46]; vgl. auch BGH Urteil vom 29. November 1988 - XI ZR 85/88 - WM 1989, 468 [489]). Die objektive Unrichtigkeit des Titels und die - spätestens im Prozeß auch von seinem Inhaber erworbene - Kenntnis davon reichen grundsätzlich allein nicht aus, um die Berufung auf ihn sittenwidrig erscheinen zu lassen. Es müssen vielmehr besondere Umstände hinzutreten, aufgrund derer es dem Titelinhaber zugemutet werden muß, die ihm unverdient zugefallene Rechtsposition aufzugeben (Senatsurteil aaO. S. 385). Solche besonderen Umstände hat der Senat zum Beispiel darin gesehen, daß ein Gläubiger das Mahnverfahren wählt, obwohl er erkennen kann, daß bereits eine gerichtliche Schlüssigkeitsprüfung zur Ablehnung seines Klagebegehrens führen müßte.

Die nach diesen Rechtsgrundsätzen erforderlichen Voraussetzungen einer Durchbrechung der Rechtskraft liegen nicht vor. Der Umstand, daß bei der Führung des Vorprozesses von beiden Parteien eine unrichtige Tatsachengrundlage angenommen worden ist, beruht zwar auf der unrichtigen Mitteilung, die ein Bediensteter der Beklagten dem Rechtsanwalt des Klägers gemacht hat. Selbst wenn diese unrichtige Mitteilung eine Amtspflichtverletzung zu Lasten des Klägers dargestellt und den Verlust des Vorprozesses durch den Kläger bewirkt hat, würde dies für sich allein genommen für eine Durchbrechung der Rechtskraft nicht ausreichen. Die Frage, ob die Beklagte nach Treu und Glauben gehindert ist, sich auf die Rechtskraft eines aufgrund einer solchen Amtspflichtverletzung erlangten klageabweisenden Urteils zu berufen, hängt nämlich von dem Gewicht jener Amtspflichtverletzung ab. Je schwerer der der Beklagten zuzurechnende Pflichtverstoß wiegt, um so eher müßte sie es hinnehmen, sich nicht auf die Rechtskraft des zu ihren Gunsten ergangenen Urteils berufen zu können. Hingegen ist ein lediglich leichter Pflichtverstoß nicht geeignet, einen Einwand gegen die Rechtskraft aus dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben zu begründen.

Danach gilt hier folgendes:

a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats müssen Auskünfte, die ein Beamter erteilt, dem Stand seiner Erkenntnismöglichkeit entsprechend sachgerecht, d.h. richtig, klar, unmißverständlich und vollständig sein, so daß der Empfänger der Auskunft entsprechend disponieren kann (Senatsurteile vom 10. Juni 1986 - III ZR 39/85 - BGHR BGB § 839 Abs. 1 Satz 1 Auskunft 1 [m.w.N.] und vom 13. Juni 1991 - III ZR 76/90 - BGHR BGB § 839 Abs. 1 Satz 1 Auskunft 5). Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Beamte zur Auskunft verpflichtet war, wenn er - wie hier - die Auskunft tatsächlich erteilt hat (stRspr; vgl. Kreft in BGB-RGRK, 12. Aufl. § 839 Rn. 198).

Der Umfang der Auskunftspflicht hängt freilich von der Fragestellung und dem erkennbaren Interesse des Auskunftsuchenden ab. Erwähnt ein Beamter im Rahmen eines Gesprächs - erkennbar ohne Beiziehung einschlägiger Akten - beiläufig einen Umstand, der nach der Auffassung der Gesprächsbeteiligten keine ausschlaggebende Bedeutung für die Beurteilung des den Gegenstand des Gesprächs bildenden Rechtsfalles hat, als Tatsache, dann kann sein Gesprächspartner, wenn er diesen Umstand im Rahmen seiner weiteren Rechtsverfolgung als gegeben annimmt und vorträgt, aus der unzutreffenden "Auskunft" keinen Schadensersatzanspruch herleiten, wenn sich später herausstellt, daß dem Umstand entscheidende Bedeutung für das Obsiegen oder Unterliegen in einem Rechtsstreit zukommt und bei richtigem Vortrag die Rechtsverfolgung erfolgreich gewesen wäre. Bei Erwähnung eines (scheinbar) unwichtigen Nebenpunktes ohne Hinzuziehung von Unterlagen besteht erfahrungsgemäß ein besonderes Irrtumsrisiko. Das ist für den Auskunftsuchenden ohne weiteres erkennbar. Will er insoweit eine verläßliche Vertrauensgrundlage erhalten, dann muß er den auskunfterteilenden Beamten ausdrücklich darauf hinweisen, daß er auf eine verbindliche Auskunft auch zu diesem Punkt Wert legt, und sich vergewissern, ob der Beamte selbst zuverlässige Kenntnis darüber besitzt oder sich diese Kenntnis durch eine Prüfung der einschlägigen Vorgänge erst noch verschaffen müßte. Erforderlichenfalls muß er auf die Beiziehung von Unterlagen hinwirken.

b) Im vorliegenden Fall beruhte die Unrichtigkeit der Mitteilung nicht auf einer Täuschungsabsicht, sondern auf einem bloßen Irrtum, bei dessen Bewertung zu berücksichtigen ist, daß die Bedeutung des Inhalts der Mitteilung in dem betreffenden Zeitpunkt keiner der Parteien bewußt war. Nach der unbestrittenen Behauptung des Klägers war dem Beamten zwar bekannt, daß von dem Kläger im Zusammenhang mit dem Zustand des Bauzaunes Schadensersatzansprüche geltend gemacht wurden. Nach der ebenfalls unbestrittenen Behauptung der Beklagten war dem Beamten dagegen nicht bekannt, daß es für die Beurteilung dieser Ansprüche möglicherweise auf das genaue Datum der Errichtung des Zaunes ankommen könnte. Auch der Rechtsanwalt des Klägers hat nicht darauf hingewiesen, daß ein etwaiger Irrtum irgendwelche rechtlichen Konsequenzen haben könnte. Den Beamten traf auch nicht die Amtspflicht, den Rechtsanwalt darauf hinzuweisen, daß seine Angabe über den Zeitpunkt der Errichtung des Bauzaunes nur auf seiner ungesicherten Erinnerung beruhte und nicht durch die Beiziehung der einschlägigen Akten erhärtet war. Die erteilte Auskunft war unter diesen Umständen erkennbar nicht geeignet, in dem anschließenden Rechtsstreit dem Kläger eine sichere Grundlage für seinen Sachvortrag über den Zeitpunkt der Errichtung des Zaunes zu bieten.

c) In zusammenfassender Würdigung ergibt sich somit: Das Fehlverhalten des Amtsträgers war nicht von einem solchen Gewicht, daß die Berufung der beklagten Stadt auf die Rechtskraft des im Vorprozeß ergangenen Urteils mit dem Gerechtigkeitsgedanken schlechthin unvereinbar wäre.

Die Frage, ob eine zum Schadensersatz verpflichtende Amtspflichtverletzung tatbestandmäßig überhaupt vorgelegen hat, bedarf somit keiner abschließenden Entscheidung.

IV. Das Berufungsurteil kann daher nicht bestehen bleiben. Der Senat kann in der Sache selbst entscheiden, weil die Aufhebung des Urteils nur wegen Gesetzesverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf das festgestellte Sachverhältnis erfolgt und nach letzterem die Sache zur Endentscheidung reif ist (§ 565 Abs. 3 Nr. 2 ZPO).

 

Fundstellen

Haufe-Index 2993213

NJW 1993, 3204

BGHR BGB § 242 Rechtsausübung, unzulässige 31

BGHR ZPO § 322 Abs. 1 Schaden 1

DRsp IV(415)221Nr. 1

JuS 1994, 354

MDR 1994, 724

VersR 1994, 450

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