Gesetzestext

 

(1) Verfahrensfähig sind

1. die nach bürgerlichem Recht Geschäftsfähigen,
2. die nach bürgerlichem Recht beschränkt Geschäftsfähigen, soweit sie für den Gegenstand des Verfahrens nach bürgerlichem Recht als geschäftsfähig anerkannt sind,
3. die nach bürgerlichem Recht beschränkt Geschäftsfähigen, soweit sie das 14. Lebensjahr vollendet haben und sie in einem Verfahren, das ihre Person betrifft, ein ihnen nach bürgerlichem Recht zustehendes Recht geltend machen,
4. diejenigen, die auf Grund dieses oder eines anderen Gesetzes dazu bestimmt werden.

(2) Soweit ein Geschäftsunfähiger oder in der Geschäftsfähigkeit Beschränkter nicht verfahrensfähig ist, handeln für ihn die nach bürgerlichem Recht dazu befugten Personen.

(3) Für Vereinigungen sowie für Behörden handeln ihre gesetzlichen Vertreter und Vorstände.

(4) Das Verschulden eines gesetzlichen Vertreters steht dem Verschulden eines Beteiligten gleich.

(5) Die §§ 53 bis 58 der Zivilprozessordnung gelten entsprechend.

A. Zweck der Vorschrift.

 

Rn 1

Verfahrensfähigkeit ist die Fähigkeit des Beteiligten (§ 7), selbst wirksam prozessuale Erklärungen abzugeben. Fehlt die Verfahrensfähigkeit, sind vorgenommene Verfahrenshandlungen unwirksam.

B. Geltungsbereich.

 

Rn 2

§ 9 gilt in Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit und Familiensachen, nicht aber in Ehe- und Familienstreitsachen (§ 113 Abs 1 S 1).

C. Natürliche Personen (Abs 1).

I. Geschäftsfähige (Nr 1).

 

Rn 3

Nach Abs 1 Nr 1 sind die nach Bürgerlichem Recht voll (§§ 2, 104 ff BGB) geschäftsfähigen Personen auch verfahrensfähig. Ihrer Verfahrensfähigkeit steht bspw die Anordnung einer Pflegschaft (§§ 1911, 1913 BGB) oder einer Prozesspflegschaft (§ 57 ZPO) entgegen.

II. Beschränkt Geschäftsfähige (Nr 2).

 

Rn 4

Verfahrensfähig sind nach dieser Bestimmung auch die beschränkt Geschäftsfähigen, bspw, wenn sie zum selbstständigen Betrieb eines Erwerbsgeschäfts (§ 112 BGB) oder zur Dienst- oder Arbeitsaufnahme (§ 113 BGB) ermächtigt sind. Eine beschränkte Geschäftsfähigkeit kann sich auch aus dem Öffentlichen Recht ergeben (Begr zu § 9 RegE in BTDrs 16/6308, 180). Mängel können rückwirkend bis zum Abschluss des Verfahrens in der Beschwerdeinstanz geheilt werden (Holzer/Holzer § 9 Rz 4). Ein 14-jähriges Kind ist im Verfahren nach § 1666 BGB nicht nach Abs 1 Nr 3 verfahrensfähig (München ZKJ 20, 67 ff [OLG Schleswig 08.11.2018 - 8 WF 170/18]), wohl aber in Verfahren nach §§ 1632 Abs 4 BGB, 151 Nr 3 FamFG (Ddorf ZKJ 20, 104f [OLG Düsseldorf 13.08.2019 - 6 WF 169/19]).

III. Beschränkt Geschäftsfähige nach Vollendung des 14. Lebensjahres (Nr 3).

 

Rn 5

Die Bestimmung erweitert die Verfahrensfähigkeit für beschränkt Geschäftsfähige nach Vollendung des 14. Lebensjahres und ermöglicht die eigenständige Geltendmachung von Rechten im kindschaftsrechtlichen Verfahren ohne Mitwirkung gesetzlicher Vertreter. Sie schafft ein Pendant zu den Widerspruchs- und Mitwirkungsrechten des genannten Personenkreises (zB § 1671 Abs 2 Nr 1 BGB) und stellt den notwendigen Gleichlauf von Verfahrensrecht und materiellem Recht her (Begr zu § 9 RegE in BTDrs 16/6308, 180).

IV. Kraft Gesetzes verfahrensfähige Personen (Nr 4).

 

Rn 6

Nach dieser Bestimmung sind Personen verfahrensfähig, die durch das FamFG oder ein anderes Gesetz dazu bestimmt werden. Dies gilt insb für das Betreuungs- und Unterbringungsrecht (§§ 275, 316). Nr. 4 gilt nicht für Ausländer, deren Verfahrensfähigkeit sich nach der in ihrem Heimatland angeordneten Geschäftsfähigkeit richten. Analog § 55 ZPO reicht es jedoch aus, wenn sie nach deutschem Recht verfahrensfähig wären. Deutsches Recht ist auch für die Geschäfts- und Verfahrensfähigkeit anerkannter Asylbewerber maßgeblich (Bumiller/Harders/Schwamb/Bumiller § 9 Rz 9).

D. Gesetzliche Vertretung natürlicher Personen (Abs 2).

 

Rn 7

Nach Abs 2 sind für die Vertretung natürlicher nicht verfahrensfähiger Personen die Vorschriften des Bürgerlichen Rechts anwendbar. Gesetzlich werden Minderjährige durch die Eltern (§ 1629 Abs 1 S 1 BGB) oder einen Elternteil (§§ 1629 Abs 1 S 4, 1680 Abs 1 BGB), den Vormund (§ 1793 Abs 1 S 1 BGB) oder Ergänzungspfleger (§ 1909 Abs 1 S 1 BGB) vertreten. Volljährige durch den Betreuer (§ 1902 BGB) oder Pfleger (§§ 1909 Abs 1 S 1, 1911, 1915 Abs 1 S 1, 1960 Abs 1, 1793 Abs 1 S 1 BGB, § 96 S 1 GBO).

E. Vereinigungen und Behörden (Abs 3).

 

Rn 8

Abs 3 erfasst als verfahrensfähig alle juristischen Personen des Privatrechts einschl altrechtlicher Vereinigungen (dazu Holzer MittBayNot 18, 108, 109). Zur Vertretung befugt sind jew die organschaftlichen Vertreter, bspw der Vereinsvorstand (§ 26 Abs 2 S 1 BGB, der Vorstand von AG (§ 78 Abs 1 S 1 AKtG) bzw KGaA (§§ 278 Abs 3, 78 Abs 1 S 1 AktG) und Genossenschaften (§ 24 Abs 1 S 1 GenG). Die Vertretungsbefugnis von Handelsgesellschaften folgt aus den §§ 125 Abs 1, 161 Abs 2 HGB und die von GbR aus § 714 BGB. Vertretungsbefugt kraft Amtes sind der Insolvenzverwalter (§ 80 Abs 1 InsO), der Testamentsvollstrecker (§§ 2212, 2213 Abs 1 S 1 BGB), der Nachlassverwalter (§ 1984 S 1 BGB) und der Zwangsverwalter (§ 152 Abs 1 ZVG). Bei öffentlich-rechtlichen Körperschaften ergibt sich die Vertretungsbefugnis aus Gesetz oder Satzung.

F. Verschulden bei Fristversäumnis (Abs 4).

 

Rn 9

Abs 4 setzt das Verschulden eines gesetzlichen Vertreters dem Verschulden eines Beteiligten gleich. Die Vorschrift gilt nicht für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, sondern für die Versäumung aller Fristen. Die Zu...

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