Leitsatz (amtlich)

Zur Verfahrensfähigkeit von Jugendlichen in Kindschaftssachen

 

Normenkette

BGB §§ 1631, 1666; FamFG § 9 Abs. 1 Nr. 3, §§ 76, 78

 

Tenor

Auf die Beschwerde der Jugendlichen Valentina B1 wird der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Lübeck vom 14. August 2018 geändert und wie folgt gefasst:

a) Der Jugendlichen Valentina B1 wird für den ersten Rechtszug Verfahrenskostenhilfe bewilligt. Ihr wird Rechtsanwältin W1 beigeordnet.

 

Gründe

I. Die Beschwerde der 17-jährigen Jugendlichen Valentina richtet sich gegen die Zurückweisung ihres Antrags auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe in einer ihre Person betreffenden Kindschaftssache.

1. Die Jugendliche Valentina hat sich am 7. Juni 2018 an die Rechtsantragsstelle des Familiengerichts gewendet und zu Protokoll gegeben, dass sich ihre allein sorgeberechtigte Mutter nicht um sie kümmere, nicht für ihre Schule oder Ausbildung unterschreibe und ihr auch kein Geld gebe. Seit zwei Jahren wohne sie nicht mehr bei ihrer Mutter und seit drei Wochen habe sie gar keinen Kontakt mehr zu ihr. Das Familiengericht hat die Niederschrift der Mutter Valentinas und dem Jugendamt zugeleitet und Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Mit Schriftsatz vom 1. August 2018 hat Rechtsanwältin W1 mitgeteilt, dass sie Valentina vertrete. Sie hat zur Begründung des Anliegens von Valentina ergänzend ausgeführt, dass deren Mutter den Lebensunterhalt Valentinas nicht sicherstelle, nicht den Arbeitsvertrag unterschreibe, nicht für den Krankenversicherungsschutz sorge und sich auch sonst nicht um Valentina kümmere. Weiter hat Rechtsanwältin W1 einen Antrag auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe für Valentina gestellt.

2. Durch Beschluss vom 13. August 2018 hat das Familiengericht der Jugendlichen Valentina eine Verfahrensbeiständin bestellt. Mit dem angefochtenen Beschluss vom 14. August 2018 hat das Familiengericht den Antrag Valentinas auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe zurückgewiesen. Zur Begründung hat das Familiengericht ausgeführt, Valentina sei nicht verfahrensfähig, da sie in dem Verfahren nicht ein ihr nach bürgerlichem Recht zustehendes Recht geltend mache. Die Einbeziehung eines Kindes in das Verfahren wegen gerichtlicher Maßnahmen bei Gefährdung des Kindeswohls solle nicht dazu führen, dass dadurch Nachteile für das Kind entstehen. Bei einer extensiven Auslegung der Ausnahmevorschrift des § 9 Abs. 1 Nr. 3 FamFG hätte der Jugendliche die volle Beteiligtenstellung einschließlich eines Anwesenheitsrechts im Termin und eines Rechts auf Übermittlung sämtlicher Schriftstücke an ihn selbst. So würden die Konflikte der Eltern mit ihm als "Epizentrum" auch im Gericht ausgetragen. Das laufe dem Schutzgedanken des Kindschaftsverfahrens diametral zuwider.

3. Mit Beschluss vom 3. September 2018 hat das Familiengericht der Mutter Valentinas Verfahrenskostenhilfe bewilligt und dieser eine Rechtsanwältin beigeordnet. Valentina hat am 10. September 2018 dem Familiengericht telefonisch mitgeteilt, dass sie mit der Bestellung der Verfahrensbeiständin nicht einverstanden sei. Diese vertrete nur die Rechte ihrer Mutter und sei befangen, sodass sie anfrage, ob ihr nicht zusätzlich eine Rechtsanwältin zur Seite gestellt werden könne. Das Familiengericht hat Rechtsanwältin W1 unmittelbar vor dem Termin zur mündlichen Erörterung vom 12. September 2018 darauf hingewiesen, dass sie an diesem Termin nicht teilnehmen könne und dass nicht beabsichtigt sei, der Beschwerde Valentinas gegen die Zurückweisung ihres Antrags auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe abzuhelfen. In diesem Termin hat die Verfahrensbeiständin vorgeschlagen, dass die persönliche Anhörung Valentinas durch das Familiengericht in ihrer Abwesenheit stattfinden könne, wenn dies Valentina entlaste. Das Familiengericht hat daraufhin Valentina in Abwesenheit aller übrigen Beteiligten persönlich angehört. Im Termin zur mündlichen Erörterung vom 12. September 2018 hat das Familiengericht mit der Mutter und deren Verfahrensbevollmächtigten, der Verfahrensbeiständin und dem Vertreter des Jugendamtes erörtert, wie einer möglichen Gefährdung des Kindeswohls begegnet werden kann. Valentina und Rechtsanwältin W1 haben an diesem Termin nicht teilgenommen. Durch den Beschluss vom 12. September 2018 hat das Familiengericht der Mutter die elterliche Sorge entzogen und das Jugendamt zum Vormund bestellt. Diesen Beschluss hat das Familiengericht auch Valentina persönlich zugestellt. Er ist zwischenzeitlich rechtskräftig.

4. Rechtsanwältin W1 hatte vor dieser Endentscheidung für Valentina am 10. September 2018 Beschwerde gegen den Beschluss des Familiengerichts vom 14. August 2018 Beschwerde eingelegt. Die Begründung des Familiengerichts, dass es bei der Ausübung des staatlichen Wächteramtes in Sorgerechtssachen nicht um ein konkretes subjektives Recht des Jugendlichen gehe, werde dem konkreten Sachverhalt nicht gerecht. So habe auch das Hanseatische Oberlandesgericht Hamburg entschieden (FamRZ 2018, 105). Valentina habe sich durch das Ve...

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