Tenor

Auf die Beschwerde der betroffenen Jugendlichen wird der Beschluss des Amtsgerichts Neuruppin vom 25.03.2021 - 54 F 160/20 - abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Der betroffenen Jugendlichen wird Verfahrenskostenhilfe zur Rechtsverfolgung im Kinderschutzverfahren ohne Anordnung von Ratenzahlungen bewilligt und Rechtsanwältin C... F... in M... als Verfahrensbevollmächtigte zu den Bedingungen einer im Bezirk des Amtsgerichts Neuruppin niedergelassenen Rechtsanwältin beigeordnet.

 

Gründe

I. Mit Anwaltsschriftsatz vom 22.12.2020 (Bl. 1 ff.) hat die betroffene Jugendliche die Einleitung eines Kinderschutzverfahrens zu ihren Gunsten angeregt und insoweit die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe und Beiordnung der für sie allein ohne entsprechende Erklärung ihrer gesetzlichen Vertreter auftretenden Rechtsanwältin als Verfahrensbevollmächtigte beantragt. In der Sache hat sie die Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts und anderer Sorgerechtsteile auf einen Ergänzungspfleger angeregt, da ihre gemeinsam sorgeberechtigten Eltern den von ihr gewünschten Umzug vom Haushalt der Mutter in eine therapeutische Wohngruppe in B... ablehnten. Das daraufhin eingeleitete Kinderschutzverfahren hat das Amtsgericht nach schriftlicher und persönlichen Anhörung der Beteiligten mit Beschluss vom 30.03.2020 eingestellt (Bl. 100R), nachdem die Jugendliche seit 19.01.2021 in der gewünschten Wohngruppe lebte (Bl. 84).

Mit der angefochtenen Entscheidung (Bl. 7 VKH-Heft) hat das Amtsgericht die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe mit der Begründung abgelehnt, die betroffene Jugendliche sei gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 3 FamFG in Verfahren nach § 1666 BGB nicht verfahrensfähig und damit nicht zur wirksamen Beauftragung eines Rechtsanwalts, §§ 78 Abs. 2 FamFG, 106 ff. BGB imstande.

Der sofortigen Beschwerde der betroffenen Jugendlichen (Bl. 15), mit der diese auf die ihrer Auffassung nach bestehende Verfahrensfähigkeit hinweist, hat das Amtsgericht mit Beschluss vom 30.04.2021 (Bl. 23 VKH-Heft) nicht abgeholfen und die Sache dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.

II. 1. a) Die gemäß §§ 76 Abs. 1 FamFG, 127 Abs. 2, 567 ff. ZPO zulässige sofortige Beschwerde, zu deren Einlegung die Beschwerdeführerin nach § 60 FamFG berechtigt ist, hat in der Sache Erfolg. Der betroffenen Jugendlichen, die ihre Verfahrenskostenarmut durch ihre Erklärung vom 22.12.2020 und Vorlage entsprechender Belege hinreichend nachgewiesen hat, ist Verfahrenskostenhilfe unter Beiordnung der sie vertretenden Rechtsanwältin als Verfahrensbevollmächtigte in dem ihre Person betreffenden Kinderschutzverfahren zu bewilligen.

Die betroffene Jugendliche ist in ihrer Geschäftsfähigkeit zur Beauftragung einer Rechtsanwältin für die Vertretung in einem sie selbst betreffenden Kinderschutzverfahren gemäß § 1666 BGB nicht beschränkt, da ihre Verfahrensfähigkeit gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 3 FamFG zu bejahen ist. Auch wenn ein minderjähriges Kind grundsätzlich weder einen Geschäftsbesorgungsvertrag mit einem Rechtsanwalt schließen noch diesem Verfahrensvollmacht erteilen kann, muss aufgrund des Sinns und Zwecks von § 9 Abs. 1 Nr. 3 FamFG eine beschränkte Geschäftsfähigkeit Minderjähriger dahingehend angenommen werden, dass sie in Angelegenheiten, für die sie verfahrensfähig sind, einen Rechtsanwalt wirksam mit der Wahrnehmung ihrer Rechte beauftragen und in diesem Rahmen selbst für die Verfahrensführung Verfahrenskostenhilfe beantragen können (OLG Frankfurt, BeckRS 2020, 40266; OLG München, FamRZ 2019, 1706; OLG Schleswig, BeckRS 2018, 48075; OLG Hamburg, FamRZ 2018, 843; OLG Braunschweig, BeckRS 2016, 17960; OLG Bremen, BeckRS 2016, 120484; MüKo FamFG/Pabst, 3. Aufl. 2018 § 9 FamFG Rn. 6a).

b) Ob Jugendliche, die das 14. Lebensjahr vollendet haben, in Fällen wie dem vorliegenden verfahrensfähig sind oder nicht, wird in Rechtsprechung und Literatur nicht einheitlich beurteilt. Nach § 9 Abs. 1 Nr. 3 FamFG sind die nach bürgerlichem Recht beschränkt Geschäftsfähigen verfahrensfähig, soweit sie das 14. Lebensjahr vollendet haben und in einem Verfahren, das ihre Person betrifft, ein ihnen nach bürgerlichem Recht zustehendes Recht geltend machen.

Einheitlich bejaht wird die Verfahrensfähigkeit in Verfahren etwa, soweit eine Norm des BGB dem Minderjährigen eine eigenständige Rechtsposition einräumt, etwa im Fall der Geltendmachung des Umgangsrechts mit einem Elternteil (§ 1684 Abs. 1 BGB) und des Widerspruchsrechts des Kindes nach § 1671 Abs. 2 Nr. 1 BGB (vgl. OLG Frankfurt, a.a.O.; Keidel/Sternal, FamFG, 20. Aufl. 2020 § 9 FamFG Rn. 12).

Streitig ist die Verfahrensfähigkeit in Verfahren, die ausschließlich Eingriffsbefugnisse des Gerichts regeln, wie der Ausschluss des Umgangsrechts gemäß § 1684 Abs. 4 BGB (Keidel/Sternal a.a.O.) oder gerichtliche Maßnahmen bei Gefährdung des Kindeswohls, § 1666 BGB (OLG Frankfurt, a.a.O.; OLG München a.a.O.;).

Insoweit wird vertreten, die Ausdehnung des Anwendungsbereichs des § 9 Abs. 1 Nr. 3 FamFG auf diese Verfahren verkenne Rechtsnatur und Umfang dieser Regelungen. Aus...

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