15-jährige darf über ihre Covid-19-Impfung selbst entscheiden

Nach einer Entscheidung des Pfälzischen OLG kann eine 15-jährige Jugendliche ihren Wunsch nach einer Impfung gegen das Covid-19-Virus auch gegen den Willen ihrer alleinsorgeberechtigten Mutter durchsetzen.

Nach der Entscheidung des OLG stellt die strikte Ablehnung der Impfung durch die alleinsorgeberechtigte Kindesmutter trotz des erklärten Willens des Kindes, sich impfen zu lassen, einen Missbrauch ihres Sorgerechts dar.

Konfliktbeladene Mutter-Tochter-Beziehung

Die vom OLG getroffene Entscheidung betrifft eine konfliktbeladene Mutter-Tochter-Beziehung. Der Kindesmutter steht alleine die elterliche Sorge über ihre heute 15-jährige Tochter zu. Bereits seit ihrem 13. Lebensjahr lebt die Tochter nicht mehr bei der Mutter und verweigert die Rückkehr in den mütterlichen Haushalt.

Tochter wünscht Impfung gegen Cov-19-Virus

Seit längerer Zeit hatte die Jugendliche den Wunsch geäußert, sich gegen das Covid-19-Virus impfen zu lassen. Die Kindesmutter lehnt jegliche Impfung in Zusammenhang mit der Corona-Pandemie strikt ab und verweigerte ihrer Tochter die aufgrund des alleinigen Sorgerechts erforderliche Einwilligung in die Impfung.

Jugendamt leitete Sorgerechtsverfahren gegen Kindesmutter ein

Mit Zustimmung der Tochter hatte das Jugendamt im November 2021 ein Verfahren vor dem zuständigen Familiengericht zur Entziehung der elterlichen Sorge in dem Teilsegment Covid-19-Impfung eingeleitet. Das Familiengericht hat dem Antrag stattgegeben und für den ausgegliederten Sorgerechtsbereich die Ergänzungspflegschaft des Jugendamtes angeordnet.

Kindesmutter beharrte auf Impfverweigerung

Die Kindesmutter wollte sich dieser Entscheidung nicht beugen und legte Beschwerde beim OLG ein. Der Familiensenat des OLG kam nach Anhörung der Jugendlichen zu dem Ergebnis, dass keine Zweifel an der intellektuellen und psychischen Eignung der Tochter bestehen, die Tragweite der von ihr getroffenen Entscheidung zu erfassen, sich gegen das Coronavirus impfen zu lassen.

Keine konstruktive Kommunikationsebene zwischen Mutter und Tochter

Darüber hinaus nahm der Senat die Haltung der Jugendlichen, jeglichen Kontakt zu ihrer Mutter abzulehnen, ernst. Aufgrund der ablehnenden Haltung der Jugendlichen gegenüber ihrer Mutter und dem unnachgiebigen Willen der Mutter, die Impfung ihrer Tochter gegen das Covid-19-Virus zu verhindern, sei eine Verständigung oder auch nur ein Gespräch über den Impfwunsch der Tochter innerhalb der Familie bei realistischer Betrachtungsweise ausgeschlossen. Eine konstruktive Lösung des Problems sei zwischen Mutter und Tochter nicht zu erwarten.

Verweigerungshaltung der Mutter gefährdet Kindeswohl

Die strikt ablehnende Haltung der Mutter gegenüber einer Impfung, die sie in ihrer persönlichen Anhörung vor Gericht im Beisein der Tochter nochmals in unmissverständlicher Weise geäußert habe, laufe dem wohlverstandenen Kindeswohl zuwider.

Gesetzlicher Inhalt des Sorgerechts

Gemäß § 1626 Abs. 2 BGB haben Sorgeberechtigte die Pflicht, die wachsende Fähigkeit und das wachsende Bedürfnis des Kindes zu selbständigen verantwortungsbewussten Handeln zu berücksichtigen und entsprechend dem Entwicklungsstand des Kindes in Fragen der elterlichen Sorge mit diesem Einvernehmen anzustreben. Die Art und Weise der Verweigerungshaltung der Mutter läuft nach Auffassung des Senats diesem gesetzlichen Auftrag diametral zuwider. Der Senat könne die Haltung der Mutter nur als nachhaltigen Missbrauch des Sorgerechts bewerten.

Schutz des Kindeswohls nur über Teilsorgerechtsentziehung möglich

Vor diesem Hintergrund sah der Senat eine teilweise Entziehung des Sorgerechts gemäß § 1666 Abs. 3 Ziff. 6 BGB betreffend die Covid-19-Impfung als einzige Möglichkeit, eine Gefährdung des Kindeswohls zu verhindern. Die Jugendliche habe vor Gericht ihren Impfwunsch argumentativ nachvollziehbar und als Ergebnis einer intellektuellen Auseinandersetzung mit den Vor- und Nachteile einer Impfung überzeugend dargelegt, während die Kindesmutter sich den Argumenten ihrer Tochter, ohne auf deren Argumente und Bedürfnisse einzugehen, auf rigorose Weise verschließe.

OLG unterstützt autonomen Selbstbestimmungsakt der Tochter

Schließlich betonte der Senat, dass die Beachtung der autonom und selbstbestimmt von der Minderjährigen getroffene Entscheidung über eine Covid-19-Impfung für die geistige und seelische Entwicklung der Tochter von erheblicher Bedeutung sei und sie deshalb auch von Amts wegen in diesem mutigen Akt der Selbstbestimmung Unterstützung verdiene.

Partielle Sorgerechtsentziehung hat Bestand

Im Ergebnis wies das OLG die Beschwerde der Mutter gegen die teilweise Entziehung des Sorgerechts zurück.

(Pfälzisches OLG Zweibrücken, Beschluss v. 28.7.2022, 2 UF 37/22)

Hintergrund:

In der Vergangenheit hatten Gerichte im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie häufiger über die Durchführung einer Covid-19-Impfung an Minderjährigen bei Uneinigkeit der Sorgerechtsberechtigten über die Sinnhaftigkeit der Impfung zu entscheiden. In diesen Fällen hatten die Gerichte regelmäßig die Ansicht desjenigen Sorgeberechtigten für maßgeblich gehalten, die sich an den Impfempfehlungen des Robert Koch Instituts (RKI) orientiert (OLG Frankfurt, Beschluss v. 17.8.2021, 6 UF 120/21). In dem vom OLG Zweibrücken entschiedenen Fall hat der Senat ausdrücklich betont, dass die Empfehlungen des RKI für die Entscheidung keine Rolle gespielt haben. Im entschiedenen Fall sei die Achtung der autonom und selbstbestimmt getroffenen Entscheidung der Jugendlichen maßgeblich gewesen.

Schlagworte zum Thema:  Impfung, Jugendschutz, Kind, Kindeswohl, Sorgerecht