Unterhaltsanspruch jetzt auch während dem freiwilligen sozialen Jahr
Die geschiedenen Eltern eines Sohnes stritten um Kindesunterhalt. Seit der Trennung der Eltern lebten die beiden gemeinsamen Kinder im Haushalt der Mutter. Im Alter von siebzehneinhalb Jahren begann der Sohn ein freiwilliges soziales Jahr (FSJ) beim Deutschen Roten Kreuz. Unter anderem für diese Zeit verklagte die Mutter den Vater auf Zahlung von Kindesunterhalt.
Früher bestand während des FSJ kein Anspruch auf Kindesunterhalt
Bereits beim AG hatte die Mutter mit ihrer Unterhaltsklage Erfolg. Gegen die Entscheidung des AG legte der Vater Beschwerde ein. Hierbei stützte er sich auf die früher herrschende Meinung in Rechtsprechung und Literatur,
- wonach die Ableistung eines FSJ auf einer freien Entscheidung des Unterhaltsberechtigten beruht,
- mit welcher er seine weitere Ausbildung verzögert
- und damit seiner Erwerbsobliegenheit gegenüber dem Unterhaltsverpflichteten nicht hinreichend nachkommt.
Das Kind hat nach dieser Auffassung die Pflicht, nach Abschluss der Schulausbildung, alsbald eine Berufsausbildung zu beginnen und sie „mit Fleiß in der gebotenen Zielstrebigkeit in angemessener Zeit zu beenden“ (OLG Naumburg, Beschluss v. 10.5.2007, 4 UF 94/07; OLG Schleswig, Beschluss v. 19.10.2007, 15 WF 214/07; OLG Karlsruhe, Beschluss v. 8.3.2012, 2 WF 174/11).
Neuere Ansicht: FSJ als Bestandteil der Persönlichkeitsbildung
Das zweitinstanzlich mit der Sache befasste OLG bestätigte unter Abkehr von der früher herrschenden Rechtsprechung im wesentlichen die Entscheidung der Vorinstanz und bejahte grundsätzlich einen Anspruch des Sohnes auf Unterhalt auch während der Ableistung des FSJ. Das OLG wertete im konkreten Fall das soziale Jahr als Teil der Ausbildung des Sohnes, so dass der Vater zur Zahlung von Ausbildungsunterhalt verpflichtet sei, § 1610 Abs. 2 BGB.
FSJ will soziale Kompetenz stärken
Das OLG stützte seine Auffassung auf das Gesetz zur Förderung von Jugend-Freiwilligen-Diensten.
- Das Gesetz verfolge das erklärte Ziel, Jugendlichen durch eine am Gemeinwohl orientierte Tätigkeit „soziale, kulturelle und interkulturelle Kompetenzen zu vermitteln“.
- Die Ableistung eines FSJ diene daher grundsätzlich der Entwicklung der noch nicht ausgebildeten Persönlichkeit des Jugendlichen, solle seine Verantwortungsfähigkeit stärken und damit letztlich seine Persönlichkeit festigen.
- Dies sei im weiteren Sinne Teil einer sinnvollen Ausbildung eines Jugendlichen hin zu einer gereiften Persönlichkeit.
Ähnlich hatte bereits das OLG Celle argumentiert, das einen Anspruch auf Ausbildungsunterhalt auch für den Fall bejahte, dass das FSJ keine zwingende Voraussetzung für den weiteren Ausbildungsweg ist (OLG Celle, Beschluss v. 6.10.2011,10 WF 300/11).
FSJ dient der Berufsfindung
Das OLG betonte allerdings im konkreten Fall den unmittelbaren Bezug des konkret abzuleistenden FSJ zur angestrebten Ausbildung des Sohnes zum Beruf des Altenpflegers. Das FSJ beim Deutschen Roten Kreuz diene im konkreten Fall unmittelbar der Vorbereitung seiner Ausbildung:
- So sei dem Sohn aus nachvollziehbaren Gründen empfohlen worden, vor Beginn der Ausbildung zum Altenpfleger im Rahmen eines FSJ zu erproben, ob er für diesen Beruf geeignet sei.
- Damit sei das FSJ ein wichtiger Baustein für die künftige Ausbildung.
- Dies falle vorliegend umso mehr ins Gewicht, als der Sohn bei Beginn des FSJ noch nicht volljährig gewesen sei.
- Bei einem minderjährigen Jugendlichen sei die Erwerbsobliegenheit gegenüber dem Unterhaltspflichtigen deutlich vorsichtiger zu beurteilen als bei einem volljährigen Jugendlichen.
- Hierbei sei auch zu berücksichtigen, dass selbst einem volljährigen Jugendlichen eine gewisse Orientierungs- und Erprobungsphase während der Berufsfindung zugestanden wird und die Eltern hierdurch bedingte maßvolle Verzögerungen der Ausbildung in Kauf nehmen und finanziell tragen müssen.
Ähnlich hat das OLG Hamm im Fall einer beabsichtigten Ausbildung zur Krankenschwester und der Vorschaltung eines FSJ in einem Krankenhaus entschieden (OLG Hamm, Beschluss v. 8.1.2015, 1 WF296/14).
Rechtsbeschwerde zum BGH zugelassen
Der Senat des OLG Frankfurt betonte, dass die Unterhaltsverpflichtung während der Ableistung eines FSJ nicht pauschal sondern immer im Rahmen einer Bewertung der Gesamtumstände des Einzelfalls erfolgen müsse. Ob eine Volljährigkeit bei Beginn des sozialen Jahres zu einer anderen Entscheidung geführt hätte, ließ das Gericht ausdrücklich offen. Im Hinblick auf die bisher immer noch nicht einheitliche Rechtsprechung zu diesem Problemkreis hat das OLG die Rechtsbeschwerde zum BGH zugelassen.
(OLG Frankfurt, Beschluss v. 4.4.2018, 2 UF 135/17).
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