Gesetzestext

 

(1) Diese Verordnung gilt, ungeachtet der Art der Gerichtsbarkeit, für Zivilsachen mit folgendem Gegenstand:

a) die Ehescheidung, die Trennung ohne Auflösung des Ehebandes und die Ungültigerklärung einer Ehe,
b) die Zuweisung, die Ausübung, die Übertragung sowie die vollständige oder teilweise Entziehung der elterlichen Verantwortung

(2) Die in Abs. 1 Buchstabe b) genannten Zivilsachen betreffen insbesondere:

a) das Sorgerecht und das Umgangsrecht,
b) die Vormundschaft, die Pflegschaft und entsprechende Rechtsinstitute,
c) die Bestimmung und den Aufgabenbereich jeder Person oder Stelle, die für die Person oder das Vermögen des Kindes verantwortlich ist, es vertritt oder ihm beisteht,
d) die Unterbringung des Kindes in einer Pflegefamilie oder einem Heim,
e) die Maßnahmen zum Schutz des Kindes im Zusammenhang mit der Verwaltung und Erhaltung seines Vermögens oder der Verfügung darüber.

(3) Diese Verordnung gilt nicht für

a) die Feststellung und die Anfechtung des Eltern-Kind-Verhältnisses,
b) Adoptionsentscheidungen und Maßnahmen zur Vorbereitung einer Adoption sowie die Ungültigerklärung und den Widerruf der Adoption,
c) Namen und Vornamen des Kindes,
d) die Volljährigkeitserklärung,
e) Unterhaltspflichten,
f) Trusts und Erbschaften,
g) Maßnahmen infolge von Straftaten, die von Kindern begangen wurden.

A. Überblick über die Verordnung; Arbeitsweise und -hilfen in Fällen mit internationalem Bezug.

 

Rn 1

Die Verordnung, auch ›Brüssel IIa-Verordnung‹ genannt, ist die Nachfolgeverordnung zur sog ›Brüssel II-Verordnung‹ (VO [EG] Nr 1347/2000). Sie hat einheitliche Regeln betreffend die internationale Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Angelegenheiten der sog elterlichen Verantwortung (s dazu Art 2 Nr 7) für die gesamte Europäische Union unter Ausnahme Dänemarks (s Art 2 Nr 3) geschaffen.

Eine Revision der Brüssel IIa-VO ist auf den Weg gebracht worden (VO [EU] Nr 2019/1111 des Rates v 25.6.19, ABl L 178/49; sog Brüssel IIb-VO). Sie ist seit dem 22.7.19 in Kraft (Art 105 II Brüssel IIb-VO). Die VO ist allerdings nur auf am oder nach dem 1.8.22 eingeleitete gerichtliche Verfahren, förmlich errichtete oder eingetragene öffentliche Urkunden und eingetragene Vereinbarungen anzuwenden (Art 100 Brüssel IIb-VO; Überblick bei Erb-Klünemann/Niethammer-Jürgens FamRB 19, 454; Finger FuR 19, 640; Schulz FamRZ 20, 1141; Gruber/Möller IPRax 20, 393). Die neue Brüssel IIb-VO nebst den jeweiligen Erwägungsgründen findet sich im Anhang. Einzelne wichtige Vorschriften werden parallel kommentiert. Die Brüssel IIb-VO bezweckt eine Stärkung der Rechtssicherheit, Erhöhung der Flexibilität, die Verbesserung des Zugangs zu Gerichtsverfahren und die Gewährleistung effizienterer Verfahren (Erw 2). Neben der Beschleunigung und weiteren Präzisierung des Kindesrückgabeverfahrens bei einer internationalen Kindesentführung einschließlich der Möglichkeit alternativer Streitbeilegungsverfahren (Art 22–29) werden die Rechte des Kindes gestärkt (Art 21, Recht auf eigene Meinungsäußerung). Weiterhin ist eine zügige Vollstreckung durch Abschaffung des Exequaturverfahrens vorgesehen (Art 34 ff).

Die Art 3–20 der geltenden Verordnung befassen sich mit der internationalen Zuständigkeit. Dabei enthalten die Art 3–7 die Zuständigkeitsvorschriften in Ehesachen und die Art 8–15 diejenigen in Angelegenheiten betreffend die elterliche Verantwortung. Die Art 16–20 enthalten die beiden Verfahrensgegenständen gemeinsamen Bestimmungen. Das Vorliegen der internationalen Zuständigkeit ist in jeder Lage des Verfahrens vAw zu prüfen (BGH FamRZ 20, 1171; FamRZ 19, 1543; FamRZ 15, 479); § 65 IV FamFG greift insoweit nicht (BGH FamRZ 20, 918; Hamm FamRZ 12, 143).

Die Art 21–52 betreffen die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Angelegenheiten der sog elterlichen Verantwortung.

In den Art 53–58 finden sich Vorschriften zur Zusammenarbeit der Zentralen Behörden in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung. Die Art 59–63 regeln das Verhältnis der Verordnung zu anderen internationalen Rechtsinstrumenten. Art 64 enthält die Übergangsvorschrift. In den Art 65 ff finden sich die Schlussbestimmungen, ua zum Inkrafttreten (Art 72). Ausführungsgesetz ua zur Brüssel IIa-Verordnung ist in Deutschland das IntFamRVG (dazu Schulz FamRZ 11, 1273).

 

Rn 2

Nachfolgendes Prüfungsschema bietet bei Fällen mit grenzüberschreitendem Bezug die Gewähr dafür, nichts zu übersehen:

  • Hat der Sachverhalt einen grenzüberschreitenden Bezug?
  • Internationale Zuständigkeit? – zwischen den EU-Mitgliedstaaten gelten vorrangig die EG(EU)-Verordnungen (hier: Brüssel IIa-Verordnung)

    • gegenüber Nicht-EU Staaten werden bestimmte völkerrechtliche Abkommen maßgebend (bi- oder multilaterale Konventionen [Anm: solche Abkommen werden nur in Fällen hinsichtlich der elterlichen Verantwortung relevant]),
    • das (nachrangige) nationale Recht (§§ 97106 FamFG),
    • Sonderprüfungspunkt stets: Ist eine ausländische Rechtshängigkeit zu beachten?
  • Anwendbares Recht? Gibt es kollisionsrechtliche Bestimmungen in völkerrechtlichen Abkommen (deutsc...

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