Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. Hilfsmittel. Blindenführhund dient unmittelbarem Behinderungsausgleich. Unterscheidung vom Behindertenbegleithund

 

Leitsatz (amtlich)

1. Ein Blindenführhund ist ein Hilfsmittel zum unmittelbaren Behinderungsausgleich im Sinne des § 33 Abs 1 S 1 SGB V; es besteht kein Anlass, von der entsprechenden BSG-Rechtsprechung zur Vorgängervorschrift der RVO unter Geltung des SGB V abzuweichen.

2. Entscheidend ist, dass das Hilfsmittel die beeinträchtigte Funktion - hier das Sehen - ermöglicht, ersetzt oder ergänzt.

3. Dies unterscheidet den Blindenführhund in der Regel vom Behindertenbegleithund.

 

Orientierungssatz

1. Zu Leitsatz 1 vergleiche ua BSG vom 25.2.1981 - 5a/5 RKn 35/78 = BSGE 51, 206 = SozR 2200 § 182b Nr 19 und LSG Stuttgart vom 10.5.2012 - L 11 KR 804/11.

2. Zu Leitsatz 3 vgl LSG Schleswig vom 9.9.2009 - L 5 KR 60/08.

 

Tenor

1. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 20. November 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Mai 2015 verurteilt, die Klägerin mit einem Blindenführhund, ausgebildet durch die Blindenführhundschule E, zu versorgen.

2. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin.

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt die Versorgung mit einem Blindenführhund als Sachleistung zulasten der Beklagten.

Sie hat am 19.06.2015 Klage erhoben. Zur Begründung hat sie im Kern ausgeführt, ohne die begehrte Versorgung, d.h. insbesondere lediglich durch Nutzung eines Blindenlangstocks, sei ihr eine sichere Mobilität angesichts von typischerweise im städtischen Wohngebiet auftretenden und sich verändernden Hindernissen und Gefahrenquellen nicht möglich.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 20. November 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Mai 2015 zu verurteilen, die Klägerin mit einem Blindenführhund, ausgebildet durch die Blindenführhundschule E, zu versorgen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Hinsichtlich der Frage des Bestehens von Versorgungsverträgen im Sinne von § 127 Sozialgesetzbuch 5. Buch (SGB V) hat die Beklagte erklärt, solche zur Versorgung mit Blindenführhund bislang nicht abgeschlossen zu haben und für den Fall des Bestehens eines Anspruches dem Grunde nach keine Einwände gegen eine Versorgung durch die von der Klägerin gewählte Leistungserbringerin zu haben. Im Übrigen hat die Beklagte im Kern die Auffassung vertreten, bei der begehrten Versorgung handele es sich lediglich um einen mittelbaren Behinderungsausgleich im Sinne der Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes (BSG), dessen (enge) Anspruchsvoraussetzungen nicht erfüllt sein.

Hinsichtlich des weiteren Tatbestandes wird gemäß § 136 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) auf die Klagebegründung sowie die Klageerwiderung nebst dortiger Bezugnahmen sowie auf die weiteren Schriftsätze der Beteiligten Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist begründet. Die angegriffenen Bescheide sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten, denn es besteht ein Anspruch auf die begehrte Versorgung.

Gemäß § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 Abs. 4 ausgeschlossen sind.

Zunächst greift vorliegend weder ein Ausschluss nach § 34 Abs. 4 SGB V noch handelt es sich bei einem (entsprechend speziell ausgebildeten) Blindenführhund um einen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens. Weiter liegt in der Erblindung der Klägerin auch offenkundig eine Behinderung vor, deren - jedenfalls teilweisen - Ausgleich die begehrte Versorgung bezweckt.

Nach ständiger Rechtsprechung des BSG ist weiter zwischen einem unmittelbaren sowie einem mittelbaren Behinderungsausgleich zu unterscheiden. Im Bereich des unmittelbaren Behinderungsausgleichs, bei dem der unmittelbare Ausgleich der ausgefallenen natürlichen Funktion im Vordergrund steht, wird ein weitreichender, auf möglichst vollständigen funktionalen Ausgleich gerichteter Anspruch bejaht. Im Bereich des mittelbaren Behinderungsausgleichs wird dagegen nur ein begrenzter Anspruch im Sinne eines Basisausgleichs in Bezug auf bestimmte, sogenannte Grundbedürfnisse des täglichen Lebens angenommen (vgl. insgesamt nur PV. in: KassKomm SGB V § 33 Rn. 11 ff. mwN).

Speziell hinsichtlich eines Blindenführhundes hat das BSG am 25.02.1981 zum Az. 5a/5 RKn 35/78 in Anwendung der Vorgängervorschrift des heutigen § 33 SGB V ausgeführt:

Auch wenn man mit der Rechtsprechung des 3. Senats des BSG bei Hilfsmitteln danach unterscheidet, ob sie nur mittelbar oder ob sie unmittelbar auf den Ausgleich der Behinderung selbst gerichtet sind, muß der Blindenführhund zu letzteren gezählt werden, die nach der ständigen Re...

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