Entscheidungsstichwort (Thema)

Rentenberechnung. Berücksichtigung von Ausbildungszeiten. Fachschulausbildung. Gesamtleistungsbewertung. Verfassungsmäßigkeit

 

Orientierungssatz

1. Der Begriff des "Bewertens" in § 74 S 3 SGB 6 ist im Zusammenhang mit der Überschrift des § 74 SGB 6 ("Begrenzte Gesamtleistungsbewertung") iS der Zuordnung des maßgebenden Gesamtleistungswerts (§ 71 Abs 1 SGB 6 iVm den Vorschriften über dessen Höhe) bzw der Erhöhung der Summe der Entgeltpunkte um den Zuschlag nach § 71 Abs 2 SGB 6 zu lesen. Weder § 71 SGB 6 noch § 74 SGB 6 lässt sich eine Verpflichtung oder Befugnis des Rentenversicherungsträgers entnehmen, Ausbildungszeiten nur dann zu bewerten bzw iS von § 74 S 3 SGB 6 als "bewertet" anzusehen, wenn diese Zeiten gerade den für Ausbildungszeiten maßgebenden Gesamtleistungswert erhalten haben. Entscheidend ist dem Wortlaut nach vielmehr allein, dass eine Bewertung iS der Gesamtleistungsbewertung stattgefunden hat.

2. Ein abweichendes Ergebnis lässt sich auch nicht mit der Entstehungsgeschichte, mit Sinn und Zweck des § 74 S 3 SGB 6 sowie mit der Einordnung der Vorschrift in den gesetzessystematischen Zusammenhang begründen.

3. Die vom Senat vorgenommene Auslegung des § 74 S 3 SGB 6 ist mit dem Grundgesetz vereinbar. Sie verstößt insbesondere nicht gegen Art 14 Abs 1 GG und Art 3 Abs 1 GG.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 12.12.2011; Aktenzeichen B 13 R 3/10 R)

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 26.06.2009 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Gewährung einer höheren Altersrente, namentlich die Höherbewertung von beitragsgeminderten Zeiten seiner beruflichen Ausbildung vom 1.4.1964 bis zum 30.9.1965.

Im Versicherungskonto des Klägers sind der Zeitraum vom 1.4.1963 bis zum 30.9.1965 als Pflichtbeitragszeiten mit Zeiten einer beruflichen Ausbildung und der Zeitraum vom 1.4.1974 bis zum 31.3.1976 als Anrechnungszeit wegen Arbeitslosigkeit sowie wegen einer Fachschulausbildung (letztere bis zum 23.3.1976) gespeichert.

Die Beklagte bewilligte dem Kläger Altersrente für schwerbehinderte Menschen ab dem 1.2.2009 (Bescheid v. 11.11.2008). Dabei bewertete sie die beitragsfreie Zeit vom 1.4.1974 bis 31.3.1976 (24 Monate) als Anrechnungszeit wegen Arbeitslosigkeit mit 80 v. H. des 0,1314 EP je Kalendermonat betragenden Gesamtleistungswertes, insgesamt mit 2.5224 EP. Die Monate von April 1963 bis März 1964 (12 Monate) bewertete sie mit monatlich 0,0625 EP, insgesamt mit 0,7500 EP. Für die Monate April 1964 bis September 1965 berücksichtigte sie - wegen der in § 74 Satz 3 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) angeordneten Begrenzung der Gesamtleistungsbewertung für höchstens drei Jahre einer beruflichen Ausbildung, Fachschulausbildung oder der Teilnahme an einer berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahme bei vorrangiger Bewertung der Fachschulausbildung - keinen Gesamtleistungswert. Stattdessen legte sie für diesen Zeitraum lediglich die aus dem tatsächlich erzielten Arbeitsentgelt errechneten insgesamt 0,2067 EP zugrunde. Der dagegen erhobene Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid v. 5.3.2009).

Mit der dagegen zum Sozialgericht (SG) Aachen erhobenen Klage begehrte der Kläger die Bewertung auch des Zeitraums von April 1964 bis September 1965 mit monatlich 0,0625 EP, insgesamt also mit zusätzlich 0,9183 EP.

Zur Begründung hat er vorgetragen: Der Zeitraum von April 1974 bis März 1976 sei sowohl eine Anrechnungszeit wegen Arbeitslosigkeit im Sinne des § 58 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 des Sechsten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB VI) als auch eine Anrechnungszeit wegen Fachschulbesuches nach § 58 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 SGB VI. Ausweislich des Bescheides vom 11.11.2008 werde er aber nur als Anrechnungszeit wegen Arbeitslosigkeit bewertet, die Anrechnungszeit als Fachschulausbildung also verdrängt. Dementsprechend dürfe die Zeit der Fachschulausbildung auch im Rahmen von § 74 Satz 3 SGB VI keine Berücksichtigung finden. Vielmehr seien auf die Höchstfrist von 36 Monaten nur solche Zeiten anzurechnen, die auch tatsächlich in EP bewertet worden seien. Der Sinn des § 74 Satz 3 SGB VI bestehe in erster Linie darin, die Fachschulzeiten besser zu stellen als die Zeiten der beruflichen Ausbildung, da es in der Regel für Zeiten des Besuches einer Fachschule überhaupt nicht zu einer Entrichtung von Beiträgen komme, wohingegen für Berufsausbildungszeiten Pflichtbeiträge gezahlt würden. Liege also nur ein Fachschulbesuch vor und nicht gleichzeitig eine andere rentenrechtlich zu bewertende Zeit, so ergebe sich in jedem Fall eine Begünstigung. Die Beklagte verkehre demgegenüber den Gesetzeszweck in sein Gegenteil, wenn sie die Zeit der Fachschulausbildung, die schon als anderer rentenrechtlicher Tatbestand besser bewertet worden sei, nun voll auf die beitragsgeminderten Zeiten einer beruflichen Ausbildung anrechne. Diese Zeiten (der Fachschulausbildung) bekämen dann eben nich...

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