Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. Aufsichtsangelegenheit iS des § 29 Abs 2 Nr 2 SGG. Bindungswirkung des § 17a GVG. Krankenversicherung. Genehmigung einer Satzungsänderung (hier Wahltarife). kein Rechtsanspruch eines Dritten (hier privates Krankenversicherungsunternehmen) auf aufsichtsbehördliches Einschreiten. Beihilferegelungen des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV)

 

Orientierungssatz

1. Eine Aufsichtsangelegenheit iS des § 29 Abs 2 Nr 2 SGG liegt nicht schon deshalb vor, weil sich die Klage gegen eine Maßnahme bzw einen Bescheid der Aufsichtsbehörde richtet. Hinzukommen muss, dass die Klage von einer Körperschaft erhoben wird, die der Aufsicht unterliegt oder unterliegen könnte (vgl LSG Stuttgart vom 02.08.2011 - L 11 KR 2269/11 KL = NZS 2011, 960).

2. Die in § 17a GVG angesprochene Bindungswirkung betrifft allein die Zulässigkeit des Rechtswegs und nicht die funktionelle, sachliche und örtliche Zuständigkeit, was bereits aus dem Wortlaut der Norm folgt.

3. Jedweder Dritte ist von der Genehmigung einer Satzungsänderung nicht unmittelbar betroffen. Die Satzungsgenehmigung hat, wie die Satzung selbst, keine für Dritte (insbesondere andere Kassen oder private Krankenversicherungsunternehmen) verbindliche Wirkung. Demzufolge besteht kein Rechtsanspruch eines Dritten auf aufsichtsbehördliches Einschreiten (hier: Genehmigung von Wahltarifen) (vgl BSG vom 14.2.2007 - B 1 A 3/06 R = BSGE 98, 129 = SozR 4-2400 § 35a Nr 1).

4. Ob und inwieweit eine Satzungsgenehmigung sich als Verstoß gegen die Beihilferegelungen des Art 107 Abs 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) und das ggf daraus resultierende Durchführungsverbot (Art 108 Abs 3 AEUV) darstellt, kann dahinstehen.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 12.03.2013; Aktenzeichen B 1 A 2/12 R)

 

Tenor

Die Klage wird als unzulässig abgewiesen. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits einschließlich der erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Klägerin, ein privates Krankenversicherungsunternehmen, wendet sich gegen die Genehmigung der am 01.04.2007 in Kraft getretenen Satzung der Beigeladenen, einer Trägerin der gesetzlichen Krankenversicherung, im Hinblick auf die in den §§ 26 - 29 der Satzung enthaltenen Wahltarife durch das Landesversicherungsamt Nordrhein-Westfalen, dem Rechtsvorgänger des beklagten Landes.

Die Beigeladene beschloss im März 2007 eine Änderung ihrer Satzung, die in den §§ 26 - 29 Wahltarife vorsieht. Im Einzelnen handelt es sich dabei um einen Tarif für die Kostenerstattung für Leistungen im Ausland (§ 26), einen Tarif für die Kostenerstattung "Krankenhauszuzahlung" (§ 27), einen Tarif für die Kostenerstattung bei Wahlleistung "Ein- oder Zwei-Bett-Zimmer" im Krankenhaus (§ 28) sowie einen Tarif für die Kostenerstattung bei Zahnersatz (§ 29). Die Beigeladene stützte sich bei der Satzungsänderung auf die Regelungen des durch das Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz - GKV-WSG) vom 26.03.2007 (BGBl. I S. 378) eingeführten § 53 Abs. 4 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V). Die Änderung der Satzung wurden vom Landesversicherungsamt Nordrhein-Westfalen durch Bescheid vom 20.03.2007 genehmigt und trat zum 01.04.2007 in Kraft. Gegen die Genehmigung legte die Klägerin - nach Vorkorrespondenz - am 11.05.2007 Widerspruch im Wesentlichen mit der Begründung ein, die von der Beigeladenen beschlossenen Wahltarife seien rechtswidrig und hätten nicht genehmigt werden dürfen. Das Landesversicherungsamt bzw. der Beklagte teilte der Klägerin daraufhin mit, dass nach ihrer Auffassung die Wahltarife der Beigeladenen rechtmäßig seien und die Satzung deshalb zu Recht genehmigt worden sei. Die Klägerin könne dies nicht anfechten, da sie als Dritte nicht in eigenen Rechten betroffen sei; ein Widerspruchsbescheid werde nicht erlassen (Schreiben vom 21.05.2007).

Die Klägerin hat daraufhin am 25.06.2007 beim Sozialgericht (SG) Dortmund einen Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes gestellt und die Feststellung begehrt, dass der am 11.05.2007 gegen die Genehmigung der Satzungsänderung eingelegte Widerspruch aufschiebende Wirkung habe. Ferner hat sie hilfsweise beantragt, der Beklagten aufzugeben, der Beigeladenen vorläufig das Angebot von Leistungen aufgrund der §§ 26 - 29 der Satzung zu untersagen. Das SG hat die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes durch rechtskräftigen Beschluss vom 25.07.2007 - S 40 KR 132/07 ER - abgelehnt; der Widerspruch der Klägerin sei offensichtlich unzulässig.

Zudem hat die Klägerin im Wege eines einstweiligen Anordnungsverfahrens - erfolglos - versucht, der Beigeladenen das Angebot der Tarife nach den §§ 26 - 29 der Satzung untersagen zu lassen (SG Dortmund, Beschluss vom 24.01.2008 - S 40 KR 236/07 ER -; Senat, Beschluss vom 27.05.2008 - L 11 B 6/08 KR ER -). Außerdem hat die Klägerin vor dem SG Dortmund Klage mit dem Ziel erhoben, dass ...

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