Entscheidungsstichwort (Thema)

Kranken- und Pflegeversicherung. Beitragsbemessung freiwillig Versicherter. keine Berücksichtigung des Landesblindengeldes in Baden-Württemberg. Rechtswidrigkeit der Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler

 

Leitsatz (amtlich)

1. Landesblindenhilfe nach dem Gesetz über die Landesblindenhilfe in Baden-Württemberg (BliHG - juris: BliHiG BW) ist keine Einnahme zum Lebensunterhalt iS des § 240 SGB V.

2. § 4 Nr 4 der Beitragsgrundsätze Selbstzahler ist rechtswidrig und damit unwirksam. Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen hat mit dieser Bestimmung die Grenzen der ihm eingeräumten Regelungsbefugnis überschritten.

 

Tenor

Die Berufungen der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 04.02.2015 werden zurückgewiesen. Die Bescheide vom 03.01.2014, 29.09.2014, 28.01.2015 und 14.10.2015 werden aufgehoben, soweit darin Beiträge auf das Landesblindengeld erhoben werden. Überzahlte Beiträge sind insoweit zu erstatten.

Die Beklagten erstatten die außergerichtlichen Kosten des Klägers auch im Berufungsverfahren.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob das Landesblindengeld beitragspflichtig in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung ist.

Der 1930 geborene Kläger ist seit 01.08.1993 bei der Beklagten zu 1) als Rentner freiwillig krankenversichert. Seit 01.05.2012 erhält er Pflegegeld nach Pflegestufe II iHv 440 € monatlich. Zuletzt mit Bescheid vom 30.04.2012 setzte die Beklagte zu 1) - auch im Namen der Beklagten zu 2) - die Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung auf insgesamt 151,39 € fest und legte hierbei als Einkommen die Rente des Klägers (657,27 €) und sonstige Einnahmen (Kapitalerträge) iHv 217,73 € zugrunde.

Am 27.03.2013 legte der Kläger, vertreten durch seine Ehefrau als Betreuerin, einen erneuten Einkommensfragebogen vor und teilte mit, er habe einen GdB von 100 und erhalte monatliche Blindenhilfe iHv 234 €. Beigefügt war der Bewilligungsbescheid vom 21.12.2012, wonach dem Kläger ab 01.09.2012 monatlich 233,03 € und ab 01.01.2013 monatlich 234,00 € nach dem Gesetz über die Landesblindenhilfe Baden-Württemberg (BliHG) bewilligt wurden.

Mit Bescheid vom 29.05.2013 setzte die Beklagte zu 1) die Beiträge - auch für die Pflegekasse - ab 01.09.2012 neu fest unter Berücksichtigung des Blindengeldes auf insgesamt 179,27 € mit Nachforderung für den Zeitraum 01.09.2012 bis 30.04.2013 iHv 198,36 € und hob den bisherigen Beitragsbescheid auf.

Mit seinem Widerspruch machte der Kläger geltend, die Berücksichtigung des Blindengeldes sei nicht rechtens. Nach § 240 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) seien alle Einnahmen zum Lebensunterhalt zur Berechnung der Beiträge heranzuziehen, Landesblindengeld und Blindenhilfe seien aber keine Einnahmen zum Lebensunterhalt. Das Bundessozialgericht (BSG) habe dort eine Grenze gezogen, wo es um Hilfe in besonderen Lebenslagen gegangen sei, hierzu habe die Blindenhilfe gehört. Dies habe auch für das Landesblindengeld gegolten, das ebenfalls eine staatliche Leistung als Ausgleich für blindheitsbedingte Mehraufwendungen sei und sich von der Blindenhilfe nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) nur insofern unterscheide, als nach Landesrecht auf eine Prüfung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse verzichtet werde. Das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) habe am 26.08.2009 eine aufsichtsrechtliche Anordnung erlassen, wonach Landesblindengeld generell nicht als beitragspflichtige Einnahme freiwillig Versicherter gelten solle. Die dagegen eingelegte Klage des GKV-Spitzenverbandes laufe beim Landessozialgericht (LSG) Berlin-Brandenburg (L 1 KR 34/10 KL). Das Sächsische LSG habe entschieden, dass eine Verbeitragung des Blindengeldes nicht statthaft sei (Urteil vom 06.12.2012, L 1 KR 172/11; Revision anhängig unter B 12 KR 2/13 R).

Mit Bescheid vom 22.07.2013 wurde dem Kläger mitgeteilt, aufgrund eines EDV-Fehlers müsse der Beitrag rückwirkend ab 01.09.2012 neu berechnet werden. Ab Juni 2013 ergebe sich ein Beitrag iHv 179,28 €.

Mit Bescheid vom 25.07.2013 setzte die Beklagte zu 1) die zum 01.07.2013 wirksame Rentenerhöhung um, der Beitrag wurde auf 179,57 € festgesetzt. Der Bescheid, den der Kläger in den letzten Tagen erhalten habe, sei als hinfällig zu betrachten.

Mit Widerspruchsbescheid vom 30.09.2013 wies die Beklagte zu 1) - auch im Namen der Beklagten zu 2) - den Widerspruch zurück. Da wegen der Vielzahl unterschiedlicher Einnahmearten eine abschließende konkrete Aufzählung nicht möglich sei, habe der GKV Spitzenverband in den Beitragsverfahrensgrundsätzen Selbstzahler eine allgemeine, generalklauselartige Regelung verfasst, um sämtliche Einnahmen beitragsrechtlich zu erfassen. Aus der Aufstellung des gemeinsamen Rundschreibens vom 24.10.2008 (Katalog von Einnahmen und deren beitragsrechtliche Bewertung nach § 240 SGB V Titel 2 unter Buchstabe B) gehe hervor, dass Blindengeld als beitragspflichtige Einnahme zu berücksichtigen sei.

Hiergegen richtet sich die am 18.10.2013 zum Sozialgericht...

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