Entscheidungsstichwort (Thema)

Betriebsprüfung. Beitragsnachforderung. Sozialversicherungspflicht. LKW-Fahrer ohne eigenen LKW. abhängige Beschäftigung. selbstständige Tätigkeit. illegales Beschäftigungsverhältnis. unverschuldete Unkenntnis von der Zahlungspflicht. Vorsatz. Verjährung. Unternehmerrisiko. Beitragsbemessung. Hochrechnung auf ein fiktives Bruttoentgelt. Bewilligung eines Gründungszuschusses. Säumniszuschlag

 

Leitsatz (amtlich)

1. Lkw-Fahrer ohne eigenen Lkw sind regelmäßig abhängig beschäftigt.

2. Ein illegales Beschäftigungsverhältnis iSv § 14 Abs 2 S 2 SGB IV ist nicht anzunehmen, wenn die Beschäftigung der Scheinselbständigen auf eine fehlerhafte Bewilligung von Existenzgründungszuschüssen durch die Agentur für Arbeit zurückzuführen ist.

3. Für die Frage, ob iSv § 24 Abs 2 SGB IV unverschuldet keine Kenntnis von der Zahlungspflicht vorgelegen hat, ist nicht auf diejenigen Maßstäbe zurückzugreifen, die das BSG für die Beurteilung des Vorsatzes iSd § 25 Abs 1 S 2 SGB IV entwickelt hat. Maßgebend ist im Fall des § 24 Abs 2 SGB IV nur, ob die Unkenntnis des Beitragsschuldners von der Zahlungspflicht vermeidbar war (Abweichung von BSG vom 26.1.2005 - B 12 KR 3/04 R = SozR 4-2400 § 14 Nr 7).

 

Orientierungssatz

Anders als bei der strafrechtlichen Beurteilung, die Vorsatz bei Begehung der Taten fordert, reicht es im Rahmen der Verjährung von Beitragsansprüchen aus, wenn irgendwann im Laufe der kurzen Verjährungsfrist Vorsatz hinzutritt; die anfänglich vorhandene Gutgläubigkeit begründet dann keinen Vertrauensschutz mehr (vgl BSG vom 26.05.1977 - 12/3 RK 68/75 = SozR 2200 § 29 Nr 9).

 

Normenkette

SGB IV § 7 Abs. 1, § 14 Abs. 2, § 24 Abs. 2, § 25 Abs. 1, § 28p; SGB V § 5 Abs. 1 Nr. 1; SGB VI § 1 S. 1 Nr. 1; SGB III § 25 Abs. 1; SGB XI § 20 Abs. 1 S. 2 Nr. 1

 

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 08.09.2014 abgeändert und der Bescheid der Beklagten vom 25.05.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 31.01.2012 insoweit aufgehoben, als Sozialversicherungsbeiträge und Umlagen in Höhe von mehr als 130.703,92 € und Säumniszuschläge in Höhe von mehr als 67.387 € nachgefordert werden. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt 3/5, die Beklagte 2/5 der Kosten des Rechtsstreits in beiden Rechtszügen. Außergerichtliche Kosten der Beigeladenen sind nicht zu erstatten.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird endgültig auf 337.761,43 € festgesetzt.

 

Tatbestand

Die Klägerin wendet sich gegen die Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen im Rahmen einer Betriebsprüfung für die Zeit vom 01.08.2005 bis 31.07.2009 in Höhe von 220.764,85 € zuzüglich Säumniszuschlägen in Höhe von 116.996,58 €.

Die Klägerin betreibt ein Transportunternehmen. Der Geschäftsführer der Klägerin wurde vom Amtsgericht K. (AG) mit Urteil vom 02.02.2012 (1 Cs 430 Js 1755/10) wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt in 75 Fällen (betreffend die Fahrer L., F., H., K., N.) zu einer Gesamtgeldstrafe von 120 Tagessätzen à 35 € verurteilt, im Übrigen (betreffend die Fahrer R., F., K.) wurde er freigesprochen. Im Berufungsverfahren vor dem Landgericht F. wurde das Verfahren mit Beschluss vom 10.10.2012 (10 Ns 430 Js 1755/10-AK 18/12) gegen die Auflage der Zahlung von 4.200 € in Raten nach § 153a Strafprozessordnung vorläufig eingestellt, inzwischen endgültig.

Die Fahrer U. L., G. F., J. H., M. K., G. R., A. N., E. F. und U. K. (jetzt G.), die als Beigeladene zu 1) bis 8) am Verfahren beteiligt sind, waren im Zeitraum August 2005 bis Juli 2009 aufgrund mündlicher Vereinbarung auf Stundenlohnbasis für die Klägerin tätig. Sie erledigten dabei Transportaufträge mit Fahrzeugen der Klägerin in gleicher Weise wie die fest angestellten Fahrer der Klägerin. Die Beigeladenen zu 1) bis 8) stellten für ihre Tätigkeiten Rechnungen auf Stundenbasis mit einem festen Stundenlohn zwischen 17,50 € und 25 € im streitigen Zeitraum. Die Beigeladenen zu 1) bis 4) und 6) waren zuvor bei der Klägerin fest angestellt als Fahrer. Nach Kündigung durch die Klägerin beantragten sie bei der Arbeitsagentur eine Förderung als sog “Ich-AG„ (Existenzgründungszuschuss), die gewährt wurde, und waren danach in gleicher Weise wie zuvor für die Klägerin tätig. Bis auf den Beigeladenen zu 5) verfügte keiner der Fahrer über eine Erlaubnis nach § 3 Güterkraftverkehrsgesetz (GüKG) oder eine Gemeinschaftslizenz nach Art 3 der Verordnung (EWG) 881/92. Der Beigeladene zu 5) verfügte bis 07.12.2008 über eine EU-Lizenz aufgrund seiner früheren Tätigkeit als Inhaber eines Baggerbetriebs. Das letzte Fahrzeug dieses Betriebs wurde im April 2007 verkauft. Die Beigeladenen zu 1) bis 8) hatten alle Gewerbe als Fahrer angemeldet.

Die Beklagte hörte nach Auswertung der Ermittlungen des Hauptzollamts L. sowie des Urteils des AG die Klägerin mit Schreiben vom 23.03.2012 zu einer beabsichtigten Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen in Höhe von 220.764,85 € für den Zeitraum 01.08.2005 bis 31.07.2009 zuzüglic...

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