Entscheidungsstichwort (Thema)

Auswirkungen von Arbeitsunterbrechungen auf Versicherungspflicht. Verjährung des Anspruchs auf Beitragsrückstände

 

Leitsatz (amtlich)

1. Arbeitsgerichtliche Verfahren unterbrechen die Verjährung des Anspruchs auf Zahlung rückständiger Sozialversicherungsbeiträge nicht.

2. Zur Frage der absichtlichen Beitragshinterziehung.

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Ein die Versicherungspflicht begründendes Beschäftigungsverhältnis kann auch ohne tatsächliche Arbeitsleistung bestehen, wenn ein Arbeitsverhältnis vorhanden ist, aufgrund dessen dem dienstbereiten Arbeitnehmer ein Arbeitsentgelt geschuldet wird.

2. Eine absichtliche Beitragshinterziehung liegt grundsätzlich auch dann vor, wenn durch die Gerichte der Arbeitsgerichtsbarkeit festgestellt worden ist, daß das (Versicherungspflicht begründende) Arbeitsverhältnis für eine bestimmte Zeit nach Beendigung der tatsächlichen Arbeitsleistung fortbestanden hat, der Arbeitgeber aber für diese Zeit Beiträge nicht entrichtet.

3. Hat ein Arbeitnehmer einen Antrag auf Befreiung von der Versicherungspflicht gestellt, dann sind ungeachtet dessen die Beiträge zunächst so lange an die Einzugsstelle abzuführen, bis über den Befreiungsantrag endgültig entschieden worden ist.

4. Wird jedoch in einem arbeitsgerichtlichen Verfahren rechtskräftig festgestellt, daß ein Beschäftigungsverhältnis besteht (fortbesteht) und werden vom Arbeitgeber die Sozialversicherungsbeiträge nicht entrichtet, so liegt eine absichtliche Beitragshinterziehung (RVO § 29 Abs 1 aF) vor. Unerheblich ist es dabei, daß die Umstände, die eine absichtliche Beitragshinterziehung begründen, nicht bereits vorhanden waren, als die streitigen Beiträge jeweils fällig wurden.

 

Normenkette

AVG § 121 Fassung: 1957-02-23, § 142 Abs. 2 Fassung: 1957-02-23; RVO § 1399 Fassung: 1957-02-23, § 1420 Abs. 2 Fassung: 1957-02-23, § 29 Abs. 1 Fassung: 1924-12-15; AVG § 142 Abs. 3 Fassung: 1957-02-23; RVO § 1420 Abs. 3 Fassung: 1957-02-23

 

Tenor

Die Revision der Beigeladenen zu 1) gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 25. Juli 1975 wird zurückgewiesen.

Die Beigeladene zu 1) hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Anspruch der Beklagten auf Entrichtung rückständiger Beiträge zur Angestelltenversicherung (AnV) für den Kläger für die Zeit vom 1. Juli bis 31. Dezember 1968 verjährt ist.

Der Kläger leitete aufgrund eines Dienstvertrages vom 14. September 1967 ab 1. Januar 1968 selbständig die Niederlassung der beigeladenen K-Baustoffe GmbH (Beigeladene zu 1) in Nürtingen. Die Beigeladene zu 1) kündigte das Arbeitsverhältnis zu dem Kläger mit Schreiben vom 24. Juni 1968 zum 31. Dezember 1968. Im Kündigungsschreiben wies sie den Kläger darauf hin, er brauche ab Bekanntwerden der Kündigung seine Arbeit nicht weiterzuführen; ihm werde sein Gehalt bis Ende Dezember 1968 auch dann weitergezahlt werden, wenn er vorher eine andere Tätigkeit aufnehmen sollte. Auf Wunsch des Klägers zahlte ihm die Beigeladene zu 1) am 1. Juli 1968 das restliche Gehalt für 1968 mit 9.484,84 DM nach Abzug der Lohnsteuer. Nachdem der Kläger von der Beigeladenen zu 1) vergeblich den Arbeitgeberanteil zur AnV für die Zeit vom 1. Juli bis 31. Dezember 1968 von 720,- DM, einen Autozuschuß für Juni 1968 von 250,- DM und eine Abgeltung des Urlaubsanspruchs 1968 von 2.750,- DM gefordert hatte, erhob er im Januar 1970 wegen dieser Forderungen Klage zum Arbeitsgericht (ArbG) Reutlingen. Den zunächst hilfsweise gestellten Antrag, die Beigeladene zu 1) zur Entrichtung der rückständigen Arbeitgeberanteile zur AnV für die Monate Juli bis Dezember 1968 zu verurteilen, nahm der Kläger zurück. Mit Urteil vom 12. März 1970 stellte das ArbG Reutlingen fest, das Arbeitsverhältnis des Klägers mit der Beigeladenen zu 1) habe bis zum 31. Dezember 1968 fortgedauert; im übrigen wies es die Klage ab. Es begründete sein Urteil u.a. damit, der Kläger habe an der Feststellung des Fortbestands seines Arbeitsverhältnisses ein berechtigtes Interesse, weil hiervon die sozialversicherungsrechtlichen Pflichten der Beigeladenen zu 1) abhingen. In dem die Berufung der Beigeladenen zu 1) zurückweisenden Urteil vom 25. Juni 1970 führte das Landesarbeitsgericht (LArbG) Baden-Württemberg u.a. aus, die Beigeladene zu 1) habe den Kläger auch für das zweite Halbjahr 1968 zur AnV anzumelden und dafür die Beiträge abzuführen.

Der Kläger hatte im Februar 1969 gegen den eine Befreiung von der Rentenversicherungspflicht nach Art. 2 § 1 des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes ablehnenden Bescheid der beigeladenen Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) - Beigeladene zu 2) - Klage erhoben; diese Klage wurde durch Urteil vom 27. Januar 1971 abgewiesen. Gleichzeitig hatte der Kläger am 25. März 1970 beim Sozialgericht (SG) Reutlingen Klage mit dem Antrag erhoben, die Beigeladene zu 1) zur Abführung der vollen Sozialversicherungsbeiträge für die Zeit vom 1. Juli bis 31. Dezember 1968 an die Beklagte zu verurteilen. Bis zur Verkündung des hier angefochtenen Berufungsurteils war über die Klage noch nicht entschieden worden. Der Kläger wiederholte diese Klage im April 1972 zum SG Reutlingen. Das inzwischen zuständig gewordene SG Stuttgart wies diese Klage durch Vorbescheid vom 3. März 1973 als unzulässig ab.

Der Kläger bat die Beklagte mit Schreiben vom 5. Oktober 1970 unter Hinweis auf das Urteil des LArbG und eine beigefügte Fotokopie der wesentlichen Entscheidungsgründe des Urteils des ArbG Reutlingen, wegen der Nachzahlung der Beiträge gegen die Beigeladene zu 1) die erforderlichen weiteren Schritte zu veranlassen. Auf Verlangen der Beklagten legte der Kläger am 11. November 1970 eine eidesstattliche Versicherung darüber vor, daß er bis zum 14. Januar 1969 in keinem weiteren Arbeitsverhältnis gestanden habe, obwohl er ab 1. Juli 1968 von der Beigeladenen zu 1) von der Arbeit freigestellt gewesen sei; seine Versicherungskarte reichte er am 2. Februar 1971 nach.

Nachdem die Beklagte von der Beigeladenen zu 1) erstmals mit Schreiben vom 8. Februar 1971 vergeblich Beiträge zur AnV und Arbeitslosenversicherung für den Kläger für die Zeit vom 1. Juli bis 31. Dezember 1968 nachgefordert hatte, setzte sie mit dem an die Beigeladene zu 1) gerichteten Bescheid vom 22. November 1971 die Beiträge zur AnV auf 1.440,- DM und zur Arbeitslosenversicherung auf 101,40 DM fest. Mit ihrem Widerspruch erhob die Beigeladene zu 1) die Einrede der Verjährung. Der hiervon von der Beklagten unterrichtete Kläger drängte die Beklagte, auf der Beitragsnachforderung zu beharren. Das lehnte die Beklagte gegenüber dem Kläger mit dem hier streitigen Bescheid vom 23. Oktober 1972 ab, weil die Beitragsforderung verjährt sei. Widerspruch und Klage des Klägers, den Bescheid vom 23. Oktober 1972 aufzuheben und die Beklagte zur Einziehung der Sozialversicherungsbeiträge für das zweite Halbjahr 1968 zu verurteilen, blieben erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 13. Juni 1973; Urteil des SG vom 23. November 1973).

Auf die Berufung des Klägers hat das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg das Urteil des SG vom 23. November 1973 und den Bescheid der Beklagten vom 23. Oktober 1972 aufgehoben. Es hat die Beklagte verurteilt, für den Kläger die Beiträge zur AnV für die Zeit vom 1. Juli bis 31. Dezember 1968 bei der Beigeladenen zu 1) einzuziehen. Es hat die Revision zugelassen (Urteil des LSG vom 25. Juli 1975).

Gegen dieses Urteil hat die Beigeladene zu 1) Revision eingelegt. Sie rügt eine Verletzung des § 205 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) i.V.m. § 29 Abs. 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO).

Die Beigeladene zu 1) beantragt,

das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG zurückzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Die Beklagte und die beigeladene BfA (Beigeladene zu 2) stellen keinen Antrag.

Die Beteiligten sind damit einverstanden, daß der Senat ohne mündliche Verhandlung durch Urteil gemäß § 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) entscheidet.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beigeladenen zu 1) ist unbegründet. Sie ist zurückzuweisen.

Mit Recht hat das Berufungsgericht die Beklagte verurteilt, für den Kläger die Beiträge zur AnV für die Zeit vom 1. Juli bis 31. Dezember 1968 bei der Beigeladenen zu 1) einzuziehen. Dazu war die verbundene Aufhebungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 SGG) das zutreffende Mittel. Denn in ihrem angefochtenen Bescheid vom 23. Oktober 1972 hatte es die Beklagte als Einzugsstelle abgelehnt, von der Beigeladenen zu 1) Sozialversicherungsbeiträge für den Kläger für 1968 zu fordern, da der Beitragsanspruch nach § 29 Abs. 1 RVO verjährt sei. Die Beklagte verneinte zudem eine Unterbrechung der Verjährung durch die Arbeitsgerichtsurteile.

Der Beklagten ist zuzugeben, daß ihr Anspruch als Einzugsstelle (§ 121 AVG) auf die Beiträge zur AnV für den Kläger für die Zeit vom 1. Juli bis 31. Dezember 1968 unter der Rücksicht des reinen Zeitablaufs mit Ende des Jahres 1970 verjährt war (§ 205 AVG i.V.m. § 29 Abs. 1 RVO). Der Anspruch als solcher bestand, weil der Kläger bei der Beigeladenen zu 1) auch in der Zeit vom 1. Juli bis 31. Dezember 1968 versicherungspflichtig beschäftigt war, wenngleich er vereinbarungsgemäß keine Arbeitsleistung zu erbringen hatte. In der Rechtsprechung des Reichsversicherungsamts (RVA) und des Bundessozialgerichts (BSG) war und ist anerkannt, daß ein die Versicherungspflicht begründendes Beschäftigungsverhältnis auch ohne tatsächliche Arbeitsleistung bestehen kann, wenn ein Arbeitsverhältnis vorhanden ist, auf Grund dessen dem dienstbereiten Arbeitnehmer ein Entgelt geschuldet wird (Großer Senat RVA AN 1927, 581; EuM 22, 238, 242; BSGE 36, 161, 163 f = SozR Nr. 75 zu § 165 RVO). Wenngleich die Einzugsstellen berechtigt sind, diese - im vorliegenden Fall gegebenen - Voraussetzungen für die Versicherungspflicht solcher nicht zur Arbeitsleistung verpflichteter Personen selbständig festzustellen - überprüfbar durch die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit -, konnte jedenfalls im Falle des Klägers auf die Feststellung in dem rechtskräftigen Urteil des LArbG Baden-Württemberg vom 25. Juni 1970 zurückgegriffen werden. Danach hatte das mit keiner Arbeitsverpflichtung verbundene Arbeitsverhältnis des Klägers mit der Beigeladenen zu 1) bis zum 31. Dezember 1968 fortgedauert.

Die Verjährung des Anspruchs auf die streitigen Beiträge ist nicht durch das rechtskräftige Urteil des LArbG Baden-Württemberg vom 25. Juni 1970 unterbrochen worden. Allerdings unterbrechen bestimmte Tatsachen nach den Absätzen 1 und 2 des § 142 AVG die Verjährung des Anspruchs auf Zahlung rückständiger Beiträge (§ 142 Abs. 3, 1. Alternative AVG). Der hier allein in Betracht kommende Unterbrechungstatbestand des Absatz 2 des § 142 AVG ("Zeiträume, in denen eine Beitragsstreitigkeit ... im Verfahren vor den Sozialgerichten ... schwebt") fehlt indessen. Das Gesetz hat als Unterbrechungsgrund insoweit nur eine Beitragsstreitigkeit im Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit zugelassen. Demnach beeinflussen arbeitsgerichtliche Verfahren den Fristablauf nicht (Koch/Hartmann/von Altrock/Fürst, § 142 C I 1, S. V 857, 24. Lieferung Stand: Dezember 1971).

Das LSG hat den Beitragsanspruch der Beklagten gegen die Beigeladene zu 1) aus doppeltem Grund für berechtigt erklärt: Die Verjährung sei durch die unerledigte Klage des Klägers vom 25. März 1970 zum SG Reutlingen (S 1 An 214/69) nach § 142 Abs. 2 und 3 AVG unterbrochen worden, ferner - und unabhängig davon - sei die Verjährung nach § 205 AVG i.V.m. § 29 Abs. 1 RVO deshalb nicht eingetreten, weil K. die streitigen Beiträge absichtlich hinterzogen habe.

Es kann offen bleiben, ob die Verjährung des Anspruchs der Beklagten gegen die Beigeladene zu 1) auf die Beiträge zur AnV für die Zeit vom 1. Juli bis 31. Dezember 1968 auf Grund der unerledigten Klage des Klägers vom 25. März 1970 nach § 142 Abs. 2 und 3 AVG unterbrochen worden ist. Jedenfalls ist der Beitragsanspruch nicht verjährt, weil die Beigeladene zu 1) die Beiträge zur AnV entgegen ihrer Auffassung absichtlich hinterzogen hat. Beiträge werden dann absichtlich hinterzogen, wenn sie wider besseres Wissen und trotz Kenntnis der Verpflichtung zur Leistung nicht gezahlt werden, um sie dem Versicherungsträger zu entziehen (RVA AN 1935, 175; EuM 43, 75; BSGE 28, 61, 63 = SozR Nr. 15 zu § 29 RVO; SozR 2200 § 29 Nr. 1). Der Beigeladenen zu 1) war bekannt, daß auf Grund der angestelltenversicherungspflichtigen Beschäftigung des Klägers Sozialversicherungsbeiträge an die Beklagte als Einzugsstelle abzuführen waren. Bis zum 30. Juni 1968 hat sie sich auch an diese Rechtspflicht gehalten und Beiträge für den Kläger abgeführt (§§ 118 Abs. 1, 112 AVG). Spätestens mit der Rechtskraft des Urteils des LArbG Baden-Württemberg vom 25. Juni 1970 wußte sie durch die eindeutige Urteilsfeststellung auch, daß das Arbeitsverhältnis des Klägers mit ihr bis zum 31. Dezember 1968 fortgedauert hatte. Darüber hinaus war ihr zumindest durch dieses Urteil bekannt geworden, daß sie als Arbeitgeberin des Klägers auch für die Zeit vom 1. Juli bis 31. Dezember 1968 die Beiträge zur AnV für den Kläger abzuführen hatte. Schon das Urteil des ArbG Reutlingen vom 12. März 1970 enthielt dazu in den Entscheidungsgründen folgenden eindeutigen Hinweis: "An der Feststellung des Fortbestands des Arbeitsverhältnisses bis 31. Dezember hat der Kläger ein berechtigtes Interesse, da hiervon sozialversicherungsrechtliche Pflichten der Beklagten (das ist in diesem Verfahren die Beigeladene zu 1) abhängen." Das rechtskräftige Urteil des LArbG Baden-Württemberg belehrte die Beigeladene zu 1) darüber hinaus, daß sie auch für die streitige Zeit die Beiträge zur AnV für den Kläger abzuführen hatte, in dem es ausführte:

"Ist aber danach das Arbeitsverhältnis des Klägers nicht mit dem 30.6.1968, sondern erst mit dem 31.12.1968 beendet worden, dann hatte die Beklagte den Kläger auch für das 2. Halbjahr 1968 zur Angestelltenversicherung anzumelden und die Beiträge dafür abzuführen. Da sie dies nicht getan hat, von der Anmeldung und der Entrichtung der Beiträge aber die Altersversorgung des Klägers in der Zukunft abhängt, hat der Kläger einen Anspruch auf Anmeldung und Abführung der Beiträge durch die Beklagte. Voraussetzung für diesen Anspruch ist der Fortbestand des Arbeitsverhältnisses des Klägers, den die Beklagte bestreitet. An der Feststellung des Fortbestandes hat der Kläger deshalb ein rechtliches Interesse im Sinne des § 256 ZPO. Mit dem Feststellungsurteil kann er der Bundesanstalt für Angestelltenversicherung bzw. der für die Erhebung der Beiträge zuständigen Ortskrankenkasse den Fortbestand des Dienstverhältnisses nachweisen und diese zur Erhebung der Beiträge veranlassen. Damit ist das Feststellungsurteil der einfachste Weg zur Durchsetzung der Ansprüche des Klägers."

Das Berufungsgericht hält es unter diesen Umständen für schlechthin ausgeschlossen, daß die Beigeladene zu 1) von der Verpflichtung zur Beitragsleistung keine Kenntnis hatte. Dem ist beizustimmen. Wenn die Beigeladene zu 1) dennoch ihrer gesetzlichen Pflicht, die Beiträge an die Beklagte abzuführen, und zwar ohne dazu von der Beklagten eigens aufgefordert zu werden, nicht nachgekommen ist, handelte sie wider besseres Wissen. Sie entzog damit der Beklagten als Einzugsstelle die dieser geschuldeten fälligen Beiträge und erlangte durch die Unterlassung der Zahlung einen ihr nicht zustehenden Vermögensvorteil. Unerheblich ist es dabei, daß die Umstände, die eine absichtliche Beitragshinterziehung begründen, nicht bereits vorhanden waren, als die streitigen Beiträge jeweils fällig wurden. Auch solche Umstände, die - wie hier - erst innerhalb der regelmäßigen Verjährungsfrist von zwei Jahren eintreten und die die Feststellung rechtfertigen, daß die Beiträge absichtlich hinterzogen worden sind, verhindern, daß die kurze Verjährung von zwei Jahren eintritt. Der Anspruch auf absichtlich hinterzogene Beiträge verjährt in 30 Jahren. Das gilt auch für den hier streitigen Beitragsanspruch.

Die Beigeladene zu 1) kann sich demgegenüber nicht erfolgreich darauf berufen, erst durch das Urteil des SG Reutlingen vom 27. Januar 1971 - Ablehnung des Befreiungsantrags - sei klargestellt worden, daß der Kläger nicht von der Versicherungspflicht habe befreit werden können, so daß ihre Pflicht zur Beitragsleistung bis zum 31. Dezember 1970 nicht festgestanden habe. Selbst wenn die Beigeladene zu 1) von diesem Verfahren Kenntnis gehabt haben sollte - sie war nicht beigeladen, und aus den Gerichtsakten ergibt sich nichts für ihre Kenntnis -, wäre dies unerheblich. Der Arbeitgeber bleibt nämlich verpflichtet, die Beiträge für den Beschäftigten an die Einzugsstelle so lange abzuführen, bis dem Befreiungsantrag bestandskräftig stattgegeben worden ist. Eine derartige Entscheidung fehlt aber.

Der Beklagten wird es obliegen, falls dies noch nicht geschehen sein sollte, der Beigeladenen zu 1) die rückständigen Beiträge aufzugeben und einschließlich etwaiger Zinsen und Säumniszuschläge (vgl. BSG SozR 2200 § 28 Nr. 1) beizutreiben.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1653404

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Personal Office Platin. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge