Entscheidungsstichwort (Thema)

Pflege bei Verhinderung der Pflegeperson. Ruhen des Anspruchs bei Aufenthalt im Ausland. Geldleistung. Sachleistung. Surrogat für das Pflegegeld

 

Leitsatz (redaktionell)

Ein Anspruch auf Verhinderungspflege im Sinne des § 39 SGB XI ruht bei einem vorübergehenden Auslandsaufenthalt von bis zu sechs Wochen.

 

Normenkette

SGB XI § 34 Abs. 1 Nr. 1, §§ 37, 39

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 20.04.2016; Aktenzeichen B 3 P 4/14 R)

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 25. Oktober 2011 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten auch des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Erstattung von Kosten einer im Ausland (hier: Schweiz) durchgeführten Verhinderungspflege.

Der 1995 geborene Kläger ist bei der Beklagten pflegeversichert. Er bezieht Pflegegeld im Rahmen der Pflegestufe II. Pflegeperson ist die Mutter des Klägers.

In der Zeit vom 3. bis 8. Januar 2009 verbrachte der Kläger mit seinen Eltern einen Kurzurlaub in der Schweiz. Während die Mutter des Klägers gemeinsam mit anderen Familienangehörigen beim Skifahren war, übernahm der mitreisende, in Deutschland wohnhafte Großvater des Klägers in diesem Zeitraum stundenweise die Pflege des Klägers.

Unter dem 3. Dezember 2009 beantragte die Mutter des Klägers u. a. für diese Zeit die Übernahme der entstandenen Kosten in Höhe von € 279,00 und legte hierfür entsprechende Nachweise vor.

Mit Bescheid vom 21. Januar 2010, der keine Rechtsbehelfsbelehrung enthielt, lehnte die Beklagte die Erstattung der geltend gemachten Kosten ab, da Ersatzpflege grundsätzlich nur im Rahmen des über- bzw. zwischenstaatlichen Rechts in Betracht komme, sofern eine solche Leistung nach den Rechtsvorschriften des aushelfenden Trägers vorgesehen sei. Dies sei in der Schweiz nicht der Fall. Die Mutter des Klägers wendete daraufhin mit E-Mail vom 26. Januar 2010 ein, aus § 34 Elftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) gehe klar hervor, dass bei einem vorübergehenden Auslandsaufenthalt von bis zu sechs Wochen Pflegegeld und damit auch Leistungen wegen Verhinderungspflege i.S.d. § 39 SGB XI zu gewähren seien. Ergänzend führte die Beklagte mit weiterem Bescheid vom 2. Februar 2010 aus, ein Anspruch auf Leistungen der Verhinderungspflege im Ausland komme nur bei bereits in Deutschland organisierter professioneller Ersatzpflege in Betracht. Vorliegend sei die Ersatzpflege durch eine Privatperson und nicht durch eine professionelle Pflegekraft übernommen worden, weshalb eine Kostenübernahme ausgeschlossen sei.

Mit Schreiben vom 4. März 2010 legte die Mutter des Klägers Widerspruch ein. Zur Begründung legte sie dar, nur Pflegebedürftige, die wie der Kläger anstelle der Pflegesachleistung Pflegegeld bezögen, benötigten Leistungen der Verhinderungspflege. Während eines Auslandsaufenthaltes werde die Pflege nicht als Sachleitung erbracht. Vielmehr stelle der Pflegebedürftige mit dem Pflegegeld die erforderliche Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung selbst in eigener Weise sicher. Ein Versicherter habe Anspruch auf Verhinderungspflege, solange sein Anspruch auf Pflegegeld bestehe und nicht ruhe. Der Anspruch auf Verhinderungspflege teile insoweit das rechtliche Schicksal des Anspruchs auf Pflegegeld. Ihre Auffassung werde durch das Urteil des Landessozialgerichts (LSG) Baden-Württemberg vom 11. Mai 2007 - L 4 P 2963/06 - (in juris) gestützt.

Mit Widerspruchsbescheid vom 26. Mai 2010 wies der bei der Beklagten gebildete Widerspruchsausschuss den Widerspruch des Klägers zurück. Zur Begründung führte dieser aus, ein Anspruch auf Ersatzpflege bestehe bei Pflege durch Angehörige im Ausland nicht, da diese nicht als Geld- sondern vielmehr als Sachleistung zu werten sei. Lediglich dann, wenn die Pflege bereits aus Deutschland heraus organisiert werde und professionelle Pflegekräfte einer deutschen Einrichtung den Pflegebedürftigen ins Ausland begleiten würden, ergebe sich ein Anspruch auf Ersatzpflege von bis zu sechs Wochen. Im Fall des Klägers bestehe selbst unter Anwendung europarechtlicher Normen kein Anspruch auf die beantragte Pflegesachleistung.

Der Kläger erhob am 17. Juni 2010 Klage beim Sozialgericht Reutlingen (SG). Zur Begründung führte er unter Ergänzung seines bisherigen Vortrags aus, während eines Auslandsaufenthalts das Recht zu haben, eine stundenweise Verhinderungspflege selbst zu organisieren.

Die Beklagte trat der Klage mit dem Vortrag entgegen, ein Pflegebedürftiger, der Pflegegeld beziehe und sich ins Ausland begebe, habe einen Anspruch auf Weitergewährung des Pflegegeldes, sofern bei Verhinderung der Pflegeperson die Pflege durch Verwandte sichergestellt werde. Da die Ersatzpflege gemäß § 39 SGB XI als Sachleistung zu werten sei, ruhe der Leistungsanspruch nach § 34 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 SGB XI. Nur bei Inanspruchnahme von - vom Kläger nicht in Anspruch genommenen - Sachleistungen habe sie die Möglichkeit, auch im Rahmen eines vorübergehenden Auslandsaufent...

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