Entscheidungsstichwort (Thema)

Nachversicherung. Fälligkeit der Beitragsforderung. Zahlungspflicht von Säumniszuschlägen bei Organisationsverschulden. Verjährung. bedingter Vorsatz. unzulässige Rechtsausübung

 

Leitsatz (amtlich)

Zur Verpflichtung der Zahlung von Säumniszuschlägen bei (hier bejahtem) Organisationsverschulden eines zur Zahlung von Nachversicherungsbeiträgen Verpflichteten (Aufgabe von LSG Stuttgart vom 16.11.2007 - L 4 R 2218/05 - in juris).

 

Orientierungssatz

1. Für Vorsatz iS des § 25 Abs 1 S 2 SGB 4 ist das Bewusstsein und der Wille erforderlich, die Abführung der Beiträge zu unterlassen. Hierzu reicht es aus, wenn der Arbeitgeber die Beiträge mit (nur) bedingtem Vorsatz vorenthalten hat, also die Beitragspflicht für möglich gehalten, die Nichtabführung der Beiträge aber billigend in Kauf genommen hat. Direkter Vorsatz ist nicht erforderlich (vgl BSG vom 30.3.2000 - B 12 KR 14/99 R = SozR 3-2400 § 25 Nr 7, vom 26.1.2005 - B 12 KR 3/04 R = SozR 4-2400 § 14 Nr 7 und vom 17.4.2008 - B 13 R 123/07 R = BSGE 100, 215 = SozR 4-2400 § 25 Nr 2).

2. Das Rechtsinstitut der unzulässigen Rechtsausübung wegen Rechtsmissbrauchs ist eine aus dem Grundsatz von Treu und Glauben im Sinne des § 242 BGB abgeleitete, der gesamten Rechtsordnung immanente Schranke, die auch im Bereich des Sozialrechts zu beachten ist. Regelmäßige Voraussetzung für den Einwand unzulässiger Rechtsausübung ist, dass der Schuldner eine Tätigkeit entfaltet und Maßnahmen trifft, die den Gläubiger veranlassen, verjährungsunterbrechende Schritte zu unterlassen, sei es auch nur, weil ihm infolge eines solchen Tuns Ansprüche unbekannt geblieben sind. Grundsätzlich hat allein der Nachversicherungsschuldner es in der Hand, ob der Nachversicherungsgläubiger überhaupt von seinem Anspruch erfährt. Auch Sinn und Zweck der Nachversicherung sowie der systematische Zusammenhang zwischen der Nachversicherung, den Tatbeständen der Versicherungsfreiheit oder der Befreiung von der Versicherungspflicht begründen die Pflicht des Nachversicherungsschuldners, Nachversicherungsbeiträge rechtzeitig und unverzüglich zu zahlen. Einer aktiven Pflichtverletzung des Schuldners der Nachversicherungsbeiträge bedarf es nicht (vgl LSG Stuttgart vom 17.5.2013 - L 4 R 2044/10).

 

Normenkette

SGB IV § 24 Abs. 2, § 25 Abs. 1 Sätze 2, 1; SGB VI § 184 Abs. 1 Sätze 1-2, Abs. 2 S. 1; BGB § 242

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 29. November 2012 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

 

Tatbestand

Das klagende Land wendet sich gegen die Festsetzung von Säumniszuschlägen wegen verspäteter Durchführung der Nachversicherung in Höhe von € 2.007,50.

Die am 7 1971 geborene A. S. H. (im Folgenden: Versicherte) war im Zeitraum vom 1. Februar 2002 bis 23. Juli 2003 als Lehreranwärterin im Beamtenverhältnis auf Widerruf im Dienst des Klägers. In der Zeit vom 18. November 2003 bis einschließlich 8. September 2005 übte die Versicherte eine abhängige sozialversicherungspflichtige Beschäftigung aus, für die Rentenversicherungsbeiträge entrichtet wurden. Mit Wirkung vom 9. September 2005 wurde sie zur Beamtin auf Lebenszeit ernannt.

Mit Schreiben vom 29. Juli 2003 bat der Kläger die Versicherte um Abgabe einer Erklärung zur Durchführung der Nachversicherung. Die von der Versicherten ausgefüllte Erklärung ging am 25. August 2003 beim Kläger ein. Darin führte die Versicherte aus, sie sei derzeit nicht beschäftigt, beabsichtige jedoch innerhalb von zwei Jahren nach ihrem Ausscheiden wieder eine versicherungsfreie Beschäftigung (z.B. als Beamtin) aufzunehmen. Diese Absicht habe bereits am Tag ihres Ausscheidens aus dem Dienst beim Kläger bestanden. Eine entsprechende Einstellungszusage liege ihr noch nicht vor. Entsprechende Bewerbungen auf eine Stelle als Beamtin oder Angestellte mit Gewährleistung einer Versorgungsanwartschaft liefen derzeit nicht. Gleichzeitig gab sie die Beklagte als ihren zuständigen Rentenversicherungsträger sowie ihre Versicherungsnummer an. Eine Nachversicherung sei noch nicht durchgeführt bzw. eine Aufschubbescheinigung noch nicht erteilt worden.

Daraufhin erteilte der Kläger unter dem 26. August 2003 eine sogenannte Aufschubbescheinigung, die er an die Beklagte und die Versicherte versandte. Zur Begründung führte er aus, die Versicherte werde voraussichtlich innerhalb von zwei Jahren nach ihrem Ausscheiden eine andere versicherungsfreie Beschäftigung aufnehmen, in der wegen Gewährleistung einer Versorgungsanwartschaft Versicherungsfreiheit bestehe oder eine Befreiung von der Versicherungspflicht erfolge und bei der der Nachversicherungszeitraum bei der Versorgungsanwartschaft berücksichtigt werde.

Nachdem die Versicherte am 9. September 2005 erneut in das Beamtenverhältnis berufen wurde, übersandte diese mit Schreiben vom 19. September 2005 im Rahmen einer Prüfung ihres Lebenslaufes den Nachweis über ihre vorherige versicherungspflichtige Tätigkeit vom 18. November 2003 bis 8. September 2005. ...

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