Entscheidungsstichwort (Thema)

Soziale Pflegeversicherung. Erfordernis einer Vorversicherungszeit. Anwendung des § 33 Abs 3 SGB 11

 

Leitsatz (amtlich)

Der Eintritt der Voraussetzungen für eine Familienversicherung in der gesetzlichen Pflegeversicherung ist nicht mit dem Eintritt von Versicherungspflicht identisch. Versicherungszeiten in der privaten Pflegeversicherung sind bei Eintritt der Voraussetzungen einer Familienversicherung in der gesetzlichen Pflegeversicherung daher nicht nach § 33 Abs 3 SGB XI auf die nach § 33 Abs 2 Satz 1 SGB XI erforderliche Vorversicherungszeit anzurechnen.

 

Orientierungssatz

Das Erfordernis einer Vorversicherungszeit für einen Anspruch aus dem Bereich der sozialen Pflegeversicherung ist nicht nur rechtlich unbedenklich, sondern zum Schutz der Versichertengemeinschaft vor finanzieller Überforderung sogar geboten (vgl LSG Stuttgart vom 26.2.1999 - L 4 P 2616/98 = juris RdNr 16).

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 30.11.2017; Aktenzeichen B 3 P 5/16 R)

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 10. Februar 2016 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Die Anschlussberufung der Klägerin wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander außergerichtliche Kosten in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Der Rechtsstreit betrifft die Gewährung von Pflegegeld für die Zeit vom 1. Mai 2013 bis zum 30. April 2015. Streitig ist insbesondere, ob die Vorversicherungszeit erfüllt ist.

Die Klägerin ist die Ehefrau des am 1962 geborenen und 2016 verstorbenen Versicherten, mit dem sie zum Zeitpunkt seines Todes in einem gemeinsamen Haushalt gelebt hat. Sie führt den Rechtstreit im Berufungsverfahren fort. Vom 1. Mai 2015 (Bescheid vom 16. April 2015) bis zu seinem Tod bezog der Versicherte Leistungen der Beklagten nach Pflegestufe III, unter anderem Pflegegeld.

Der Versicherte war vom 1. Januar 2001 bis zum 30. April 2013 bei der G. Versicherung privat pflegeversichert. Der Versicherte kündigte diese Versicherung mit Schreiben vom 1. April 2013 aus finanziellen Gründen unter Hinweis darauf, es bestehe seit dem 1. Januar 2013 eine gesetzliche Familienversicherung bei der Beklagten. Die G. Versicherung bestätigte die Beendigung des Vertragsverhältnisses aufgrund der einzuhaltenden Kündigungsfrist zum 30. April 2013 (Schreiben vom 17. April 2013). Ab dem 1. Mai 2013 führte die Beklagten die Familienversicherung des Versicherten durch.

Der Versicherte litt unter Bewegungseinschränkungen mit Gang- und Standunsicherheit bei amytropher Lateralsklerose (ALS). Am 17. Mai 2013 beantragte er bei der Beklagten Leistungen der Pflegeversicherung.

Im Auftrag der Beklagten erstellte die Pflegefachkraft S. vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK) auf Grund einer Begutachtung des Versicherten vom 5. Juni 2013 am 6. Juni 2013 ein Gutachten. Pflegebegründende Diagnosen seien Bewegungseinschränkungen mit Gang- und Standunsicherheit bei ALS und Blasenschwäche. Es bestünden ein Grundpflegebedarf von täglich durchschnittlich 55 Minuten sowie ein Pflegebedarf im Bereich der Hauswirtschaft von täglich durchschnittlich 60 Minuten.

Mit Schreiben vom 6. Juni 2013 wies die Beklagte den Versicherten darauf hin, dass Voraussetzung für die Gewährung von Leistungen aus der Pflegeversicherung sei, dass er über Vorversicherungszeiten von insgesamt zwei Jahren innerhalb der letzten zehn Jahre bei einer gesetzlichen Krankenversicherung verfüge. Da er erst ab dem 1. Januar 2013 bei ihr versichert sei, könne er frühestens am 1. Januar 2015 Leistungen aus der Pflegeversicherung erhalten. Er möge Ende 2014 einen erneuten Antrag stellen.

Hiergegen erhob der Versicherte am 5. Juli 2013 per E-Mail sowie am 9. Juli 2013 schriftlich Widerspruch. Er habe sämtliche Beiträge zur Pflegepflichtversicherung seit der gesetzlichen Einführung lückenlos bei der G. Versicherung eingezahlt. Da die Pflegepflichtversicherung gesetzlich vorgeschrieben werde und keine Rückstände bestünden, seien die Voraussetzungen für Leistungen aus der Pflegeversicherung erfüllt. Die Versicherungszeit bei der G. Versicherung müsse gemäß § 33 Abs. 3 Sozialgesetzbuch Elftes Buch (SGB XI) auf die Vorversicherungszeit angerechnet werden. Danach sei Personen, die wegen des Eintritts von Versicherungspflicht in der sozialen Pflegeversicherung aus der privaten Pflegeversicherung ausschieden, die dort ununterbrochen zurückgelegte Versicherungszeit auf die Vorversicherungszeit nach § 33 Abs. 2 SBG XI anzurechnen. Da das Dritte Kapitel des SGB XI (§§ 20 bis 27 SGB XI) Familienversicherte zum versicherungspflichtigen Personenkreis zähle und er familienversichert sei, sei die Vorschrift hier anwendbar.

Mit Schreiben vom 29. September 2014 teilte die Beklagte dem Versicherten mit, dass die Familienversicherung erst ab dem 1. Mai 2013 beginne, nachdem die G. Versicherung mitgeteilt habe, dass er erst seitdem nicht mehr bei ihr pflegeversichert sei. Die Vorversicherungszeit für die Pf...

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