Entscheidungsstichwort (Thema)

Pflegeversicherung. Leistungsvoraussetzungen. Vorversicherungszeit. Rechtmäßigkeit

 

Orientierungssatz

Das Erfordernis einer Vorversicherungszeit für einen Anspruch aus dem Bereich der sozialen Pflegeversicherung ist nicht nur rechtlich unbedenklich, sondern zum Schutz der Versichertengemeinschaft vor finanzieller Überforderung sogar geboten.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin auch für die Zeit vom 1. August 1996 bis 31. Juli 1997 Leistungen der Pflegeversicherung nach Pflegestufe I beanspruchen kann, ohne besondere Vorversicherungszeiten erfüllen zu müssen.

Die 1969 geborene Klägerin leidet an Dysmelie, einer Störung der Extremitätenentwicklung mit Verkürzung, Fehlbildung, Defektentwicklung und Fehlstellung sowohl der oberen wie der unteren Gliedmaßen. Sie hat Leistungen der Pflegestufe II nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG) bezogen. Am 01. August 1996 nahm sie eine versicherungspflichtige Beschäftigung auf. Seitdem ist sie bei der Beklagten erstmals pflichtversichert.

Am 27. Dezember 1996 beantragte sie bei der Beklagten Pflegegeld. Die Beklagte ließ sie beim Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) am 18. Februar 1997 untersuchen und begutachten. Dr. B. kam im Gutachten vom 26. Februar 1997 zu der Einschätzung, eine erhebliche Pflegebedürftigkeit im Sinne des Elften Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB XI) liege nicht vor. Die Beklagte lehnte den Antrag auf Pflegeleistungen durch Bescheid vom 27. Februar 1997 ab. Auf den Widerspruch der Klägerin, die noch den Befundbericht des Arztes für Orthopädie, Rheumatologie und Sportmedizin Dr. von C. vom 26. März 1997 sowie eine Aufstellung über ihren Hilfebedarf vorlegte, ließ die Beklagte nach Beizug des für das Sozialamt der Stadt Mannheim erstatteten Pflegegutachtens ein weiteres Gutachten durch den MDK erstellen. Dr. R. kam im Gutachten vom 12. Juni 1997 wiederum zu dem Ergebnis, die Voraussetzungen für eine Zuordnung zur Pflegestufe I seien nicht gegeben. Aufgrund der vom Bevollmächtigten der Klägerin überreichten Fremdbefunde sowie der Beantwortung von "Beweisfragen für eine Einzelfallentscheidung i.S. Pflegeversicherung" bewilligte die Beklagte durch Änderungsbescheid vom 21. Juli 1997 beginnend ab 01. August 1997 Pflegeleistungen entsprechend der Pflegestufe I und half damit dem Widerspruch teilweise ab. Der MDK habe in dem Gutachten der Dr. R. vom 12. Juni 1997 einen Zeitaufwand für die Grundpflege von 42 Minuten bestätigt. Die Ausführungen der Pflegekraft, wonach Hilfen auch beim Besuch der Toilette und hinsichtlich der mundgerechten Zubereitung von Speisen benötigt werden, seien nachvollziehbar. Die Voraussetzungen für die Pflegestufe II seien dagegen nicht erfüllt. Soweit dem Widerspruch nicht stattgegeben wurde, wies ihn der Widerspruchsausschuß in dem Widerspruchsbescheid vom 24. September 1997 als unbegründet zurück.

Mit der beim Sozialgericht (SG) Mannheim erhobenen Klage begehrte die Klägerin die Bewilligung von Leistungen nach Pflegestufe II ab dem 01. August 1996. In der nicht-öffentlichen Sitzung des SG am 19. Mai 1998 stellten die Beteiligten außer Streit, daß der Klägerin lediglich Leistungen nach Pflegestufe I zustehen. Letztere hielt an ihrem Klagebegehren auf Leistungen der Pflegestufe I für die Zeit ab 01. August 1996 fest. Die Beklagte trat der Klage unter Vorlage der Verwaltungsakten entgegen. Die Klägerin sei erst durch die Aufnahme einer versicherungspflichtigen Beschäftigung am 01. August 1996 ihr Mitglied geworden. Vor dem Bezug von Leistungen müsse sie die Vorversicherungszeit von einem Jahr zurücklegen. Mit dieser Maßgabe seien die beantragten Leistungen bewilligt worden.

Das SG hat die Klage mit Urteil vom 23. Juni 1998 abgewiesen. Die Klägerin habe vor August 1997 keinen Anspruch auf Pflegegeld. Zwar sei der Pflegebedarf bereits 1996 angefallen. Nach dem Beginn der Mitgliedschaft in der gesetzlichen Pflegeversicherung habe die Klägerin jedoch die Vorversicherungszeit von mindestens einem Jahr zurücklegen müssen. Ein Leistungsanspruch sei erst ab August 1997 entstanden. Eine Ausnahmeregelung, wonach die geforderte Vorversicherungszeit nicht erforderlich sei, bestehe nicht. Die Voraussetzungen des § 33 Abs. 4 SGB XI i.V.m. Art. 28 Abs. 1 des Gesundheitsstrukturgesetzes vom 21. Dezember 1992 (BGBl I S. 2266) seien nicht gegeben. Die Versicherungspflicht von Sozialhilfeempfängern in der Pflegeversicherung sei bislang nicht zustande gekommen, weil der Gesetzgeber das erforderliche Ausführungsgesetz nicht verabschiedet habe. Im übrigen sei die Klägerin zum gesetzlichen Stichtag am 01. Januar 1997 nicht mehr Bezieherin von Hilfe zum Lebensunterhalt gewesen. Das Urteil wurde dem Bevollmächtigten der Klägerin am 30. Juni 1998 gegen Empfangsbekenntnis zugestellt.

Am 29. Juli 1998 legte die Klägerin durch Fernkopie beim Landessozialgericht Berufung ein. Zur Begründung trägt sie vor, sie habe während des Bezugs von Leistungen nach dem BSHG nie die Möglichkeit gehabt, die Vo...

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