Entscheidungsstichwort (Thema)

Gesetzliche Unfallversicherung. Geldleistungen im Wege der Sonderrechtsfolge gem § 56 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB 1. Erlöschen der Ansprüche gem § 59 S 2 SGB 1: weder Feststellung der Geldleistungen noch anhängiges Verwaltungsverfahren über diese im Zeitpunkt des Todes. BK-Verdacht: Kenntnis des Unfallversicherungsträgers nach dem Tod des Versicherten. sozialrechtlicher Herstellungsanspruch. Verletzung der ärztlichen Anzeigepflicht gem § 202 S 1 SGB 7. keine Zurechnung gegenüber dem zuständigen Unfallversicherungsträger. kein arbeitsteiliges Zusammenwirken im Sinne einer Funktionseinheit. sozialgerichtliches Verfahren. Kostenprivilegierung gem § 183 SGG. Möglichkeit einer Sonderrechtsnachfolge nach § 56 SGB 1

 

Leitsatz (amtlich)

1. Eine Verletzung der ärztlichen Anzeigepflicht nach § 202 S 1 SGB 7 ist der Beklagten im Rahmen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs nicht zuzurechnen.

2. Für die Kostenprivilegierung reicht es aus, dass zumindest die Möglichkeit einer Sonderrechtsnachfolge nach § 56 SGB 1 nicht völlig ausgeschlossen ist (vgl BSG vom 19.1.2017 - B 8 SO 82/16 B; vgl BSG vom 16.3.2021 - B 2 U 17/19 R = UV-Recht Aktuell 2021, 423; vgl LSG Celle-Bremen vom 20.12.2017 - L 8 SO 293/15 = FamRZ 2018, 1285).

 

Orientierungssatz

1. § 59 S 2 SGB 1 stellt nicht darauf ab, welche Verfahrenslage im Zeitpunkt des Todes hätte bestehen können oder müssen; maßgebend ist nur die in diesem Zeitpunkt tatsächlich bestandene Verfahrenslage. Der Gesetzgeber hat dabei einen Anspruchsübergang für den Fall, dass Verfahrensmaßnahmen unterblieben waren, nicht vorgesehen. Anhaltspunkte dafür, dass das Gesetz eine Lücke enthält, wenn der Versicherungsträger für das Unterbleiben (allein oder mit-)verantwortlich ist, sind nicht erkennbar.

2. Mit der Meldepflicht aus § 202 SGB 7 wird dem Arzt eine von seiner kurativen Rolle losgelöste persönliche Verpflichtung zur Anzeige einer möglichen BK auferlegt. Eine weitergehende, wie auch immer geartete (Rechts-)Beziehung besteht zwischen ihm und dem Unfallversicherungsträger nicht.

3. Gegen die Ableitung einer Funktionseinheit zwischen (allen) Ärzten und den Unfallversicherungsträgern alleinig aus der isolierten Meldeverpflichtung des § 202 S 1 SGB 7 spricht, dass die Unfallversicherungsträger gegenüber den mit ihnen gerade nicht vertraglich verbundenen Ärzten keinerlei Handhabe haben, auf die Erfüllung der gesetzlichen Verpflichtung aus § 202 S 1 SGB 7 hinzuwirken.

 

Tenor

I. Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 23. November 2018 wird zurückgewiesen.

II. Die Beteiligten haben einander auch für das Berufungsverfahren keine Kosten zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt als Sonderrechtsnachfolgerin die Gewährung von Geldleistungen nach ihrem verstorbenen Ehemann sowie posthum die Anerkennung der Berufskrankheit (BK) Nr. 4105 nach der Anlage 1 der Berufskrankheitenverordnung (BKV).

Die Klägerin ist die Witwe des 1941 geborenen Versicherten. Bis zu dessen Tod am X.XX.1992 lebte sie mit ihm und dem gemeinsamen, im Jahre 1977 geborenen Sohn in einem gemeinsamen Haushalt. Der Versicherte war nach entsprechender Ausbildung zeitlebens im familiären Elektrobetrieb als Elektroinstallateur/-monteur tätig, nach Übernahme des Betriebes am 1. Januar 1978 selbstständig.

Am 13. Juli 2015 teilte der Sohn des Versicherten der Beklagten per Mail mit, dass sein Vater an den Folgen von Asbest im Rippenfell verstorben sei und fragte, ob sich hieraus „berechtigte Ansprüche“ für seine Mutter ergäben.

Die Beklagte leitete daraufhin ein Verfahren zur Prüfung etwaiger Hinterbliebenenrentenansprüche der Klägerin ein. Dieses Verfahren ist unter dem Aktenzeichen L 9 U 134/21 nach den Anspruch ablehnenden Bescheiden der Beklagten (Bescheid vom 8. Mai 2017, Widerspruchsbescheid vom 16. Oktober 2017) und Klageabweisung durch das Sozialgericht Frankfurt am Main (Gerichtsbescheid vom 23. November 2018 - S 23 U 151/17) im Senat ebenfalls anhängig.

Im Rahmen der Sachermittlungen von Amts wegen zog die Beklagte medizinische Unterlagen zu der letalen Erkrankung des Versicherten von dessen Krankenversicherung (Signal Iduna), dem deutschen Mesotheliomregister und den behandelnden Ärzten bei. Nach dem Arztbrief des Internisten Dr. C. vom 3. September 1992 befand sich der Kläger vom 30. Juli 1992 bis 1. September 1992 im Krankenhaus Bad Orb. Diagnostiziert wurden dort ein rezidivierender linksseitiger Pleuraerguss bei Verdacht auf eine Pleurakarzinose eines Adenokarzinoms, Zustand nach B-II-Resektion des Magens 1978, Psoriasis und Hypercholesterinämie. In dem Konsiliarbericht des Radiologen D. vom 13. August 1992 über eine Thorax-CT heißt es, dass sich kein Hinweis auf einen entzündlichen Lungenprozess und auch kein sicherer Hinweis auf einen Lungentumor ergebe. Die pleuralen Verdickungen, insbesondere der Lungenspitze der apikalen Lungenabschnitte, könnten Hinweise auf ein Pleuramesotheliom geben. Eine am 18. August ...

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