Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. Klagebefugnis. Weiterführung des Klageverfahrens als Rechtsnachfolger des Ehegatten. Sozialhilfe. Überprüfungsantrag. Ablehnung von Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung. Vermögenseinsatz. Vermögensfreibeträge bei gemischter Bedarfsgemeinschaft mit Leistungsberechtigtem nach dem SGB 2. Ausschluss rückwirkender Leistungserbringung. Übergang des Rücknahmeanspruchs auf den Ehegatten. Anwendbarkeit des § 56 SGB 1. Vererbbarkeit von Sozialhilfeansprüchen

 

Leitsatz (amtlich)

1. § 56 SGB I findet auf Sozialhilfeansprüche keine Anwendung.

2. Eine nicht von vornherein abwegige Behauptung, als Rechtsnachfolger ein Klageverfahren (weiter) führen zu wollen, ist im Rahmen der Begründetheit einer Klage zu prüfen; eine derartige Klage ist grundsätzlich zulässig.

3. Sozialhilfeansprüche sind nur vererblich, wenn die hilfebedürftige Person zu Lebzeiten ihren Bedarf mithilfe eines im Vertrauen auf die spätere Bewilligung vorleistenden Dritten gedeckt hat, weil der Sozialhilfeträger nicht rechtzeitig geholfen oder die Leistung abgelehnt hat (Anschluss an BSG vom 23.7.2014 - B 8 SO 14/13 R = BSGE 116, 210 = SozR 4-3500 § 28 Nr 9, RdNr 12 und vom 12.5.2017 - B 8 SO 14/16 R = SozR 4-3500 § 66 Nr 1, RdNr 14).

 

Orientierungssatz

1. Wenn eine rückwirkende Leistungsgewährung ausgeschlossen ist, besteht mangels eines rechtlich geschützten Rücknahmeinteresses kein Rücknahmeanspruch nach § 44 Abs 1 S 1 SGB 10. Dies betrifft vor allem die Fälle, in denen rückwirkende Leistungen nach § 44 Abs 4 SGB 10 (iVm § 116a SGB 12) nicht mehr in Betracht kommen (vgl BSG vom 26.6.2013 - B 7 AY 6/12 R = BSGE 114, 20 = SozR 4-3520 § 9 Nr 4, RdNr 10) oder in denen die Bedürftigkeit zumindest zeitweise entfallen ist (vgl BSG vom 17.12.2015 - B 8 SO 24/14 R = SozR 4-3500 § 116a Nr 2, RdNr 16).

2. Bei einer sog gemischten Bedarfsgemeinschaft, in der ein Partner grundsätzlich nach dem SGB 2 und der andere grundsätzlich nach dem SGB 12 leistungsberechtigt ist, ist über den kleinen Barbetrag (§ 90 Abs 2 Nr 9 SGB 12) hinaus im Wege des gesetzlichen Härtefalls (§ 90 Abs 3 S 1 SGB 12) ein gemeinsamer Vermögensfreibetrag geschützt, der sich aus dem maßgeblichen Barbetrag sowie dem nach dem SGB 2 zu berechnenden Freibetrag ergibt (vgl BSG vom 20.9.2012 - B 8 SO 13/11 R = BSGE 112, 61 = SozR 4-3500 § 90 Nr 5).

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bremen vom 15. September 2015 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt als Rechtsnachfolger seiner am 20. August 2008 verstorbenen Ehefrau Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem SGB XII (Grundsicherungsleistungen) für die Zeit von August 2006 bis zum Tod seiner Ehefrau.

Der am 18. September 1943 geborene Kläger und seine am 2. Januar 1943 geborene Ehefrau bewohnten seit März 2005 eine Mietwohnung im Kreisgebiet des Beklagten, für die im streitigen Zeitraum eine monatliche Gesamtmiete von 553,00 € zu entrichten war. Die Ehefrau, die als schwerbehinderter Mensch mit einem Grad der Behinderung von 100 und den Merkzeichen G, B und aG anerkannt war, bezog eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit (monatlicher Zahlbetrag ab Juli 2005: 548,87 €; ab Juli 2006: 549,17 €; ab Juli 2007: 552,11 €) und anstelle dieser Rente ab September 2007 eine Altersrente für schwerbehinderte Menschen (monatlicher Zahlbetrag ab September 2007: 573,74 €). Sie war pflegebedürftig und bezog von der Pflegekasse Pflegegeld nach Pflegestufe II (410,00 € monatlich, ab Juli 2008: 420,00 €).

Seit Juni 2005 bezogen der Kläger und die Ehefrau von der ARGE Jobcenter Cuxhaven (im Folgenden: ARGE) Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II, die Rente der Ehefrau wurde als Einkommen angerechnet. Im Bescheid vom 8. August 2006, mit dem Leistungen für die Monate September bis November 2006 festgesetzt wurden, wies die ARGE darauf hin, dass die Ehefrau auf Grund der dauerhaften Erwerbsunfähigkeit einen Leistungsanspruch nach dem SGB XII habe, und forderte sie auf, die Leistungen beim Beklagten zu beantragen. Den am 30. August 2006 gestellten Antrag der Ehefrau auf Grundsicherungsleistungen lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 14. September 2006 ab. Die Ehefrau sei nach ihren Vermögensverhältnissen nicht hilfebedürftig. Die Guthaben auf dem Girokonto und dem Sparbuch beliefen sich auf 5.885,16 € und überstiegen damit den Freibetrag von 3.214,00 €. Die Ehefrau habe die Möglichkeit, einen Wohngeldantrag zu stellen. Den Widerspruch der Ehefrau gegen den Bescheid vom 14. September 2006 wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 27. Dezember 2006 zurück. In der Begründung führte er aus, dass nach den Einkommensverhältnissen keine Hilfebedürftigkeit vorliege. Neben der Rente sei ein Wohngeldanspruch in Höhe von 82,00 € als Einkommen zu berücksichtigen.

Nach der Ablehnung von Grundsiche...

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