Entscheidungsstichwort (Thema)

Berufsunfähigkeit eines Abteilungssteigers. zumutbarer Verweisungsberuf

 

Orientierungssatz

1. Bei der Feststellung des bisherigen Berufs ist auch bei Angestellten die Hierarchie der Berufe zu beachten, die sich in einer qualitativen Stufung ausdrückt (vgl BSG 1983-03-24 1 RA 15/82 = SozR 2200 § 1246 Nr 107). Bei den Versicherten, deren bisheriger Beruf eine tarifvertraglich erfaßte Angestelltentätigkeit mit einem Bruttoarbeitsentgelt innerhalb der Beitragsbemessungsgrenze ist, hat es Berufsgruppen unterschieden, die jeweils durch Leitberufe gekennzeichnet sind. Angestellte mit Einkünften oberhalb der Beitragsbemessungsgrenze sind als eine einheitliche Gruppe anzusehen. Der Umstand, daß der Gesetzgeber hinsichtlich der Beitragshöhe bei solchen Berufen, deren Arbeitsentgelte die Beitragsbemessungsgrenze überschreiten, nicht weiter differenziert, rechtfertigt es, bei der Prüfung der verbliebenen Erwerbsfähigkeit nicht näher zu differenzieren und diese Tätigkeiten einer gemeinsamen Gruppe zuzuordnen (vgl BSG 1979-06-20 5 RKn 26/77 = BSGE 48, 202).

2. Ein Abteilungssteiger der Gruppe 03 kann zumutbar auf Arbeiten der Gruppe 13 der technischen Angestellten der Anlage A zum Manteltarifvertrag für die Angestellten des Rheinisch-Westfälischen Steinkohlenbergbaus, gültig ab 1. September 1973 verwiesen werden (vgl BSG 1984-01-31 5a RKn 25/82).

 

Normenkette

RVO § 1246 Abs 2 Fassung: 1957-02-23; RKG § 46 Abs 2 Fassung: 1957-05-21

 

Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 16.06.1983; Aktenzeichen L 2 Un 60/80)

SG Duisburg (Entscheidung vom 19.03.1980; Aktenzeichen S 4 Kn 118/78)

 

Tatbestand

Der 1934 geborene Kläger begehrt von der Beklagten Knappschaftsrente wegen Berufsunfähigkeit.

Der Kläger war von 1950 bis 1952 als landwirtschaftlicher Arbeiter tätig. Seit September 1952 arbeitete er im Bergbau nacheinander als Schlepper, Gedingeschlepper, Lehrhauer und Hauer, Grubensteiger und Abteilungssteiger. Grubensteiger war er von 1972 bis Ende 1975 und Abteilungssteiger ab 1. Januar 1976. Seine Bezahlung als Abteilungssteiger erfolgte nach der Tarifgruppe 03 des Tarifvertrages der Angestellten im Rheinisch-Westfälischen Steinkohlenbergbau in der bis zum 30. September 1981 geltenden Fassung, nebst einer tariflichen Leistungszulage von 9 %; ihm oblag im maschinellen Streckenvortrieb die Aufsicht über einen Betriebspunkt, es waren ihm drei schichtführende Aufsichten sowie dreißig Mitarbeiter unterstellt.

Am 7. September 1976 erlitt der Kläger bei seiner Tätigkeit unter Tage einen Arbeitsunfall, bei dem er sich einen Kniescheiben- und Halswirbelbruch zuzog. Im Februar 1978 nahm er bei seiner früheren Arbeitgeberin eine Übertagetätigkeit in der Gehaltsgruppe T 12 auf, bei der er nach seinen Angaben die Staubkartei zu führen und Schichtenzettel fortzuschreiben hatte. Diese Tätigkeit gab er wieder auf, weil er sich ihr körperlich und fachlich nicht gewachsen fühlte. Seit dem 1. Februar 1981 ist er als Pförtner und Wachmann beschäftigt.

Den Antrag des Klägers vom September 1976 auf Gewährung von Berufsunfähigkeitsrente lehnte die Beklagte ab (Bescheid vom 10. Januar 1978; Widerspruchsbescheid vom 15. August 1978). Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte zur Zahlung von Rente wegen Berufsunfähigkeit verurteilt (Urteil vom 19. März 1980). Das Landessozialgericht (LSG) hat mit Urteil vom 16. Juni 1983 das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen. Es hat im wesentlichen ausgeführt: Der Kläger sei noch in der Lage, körperlich leichte Arbeiten ohne Zwangshaltungen vornehmlich im Sitzen zu verrichten. Seinen bisherigen Beruf als Abteilungssteiger könne er nicht mehr ausüben. Doch müsse er sich auf Arbeiten in Betrieben des Steinkohlenbergbaus, im Fehlschichtenbüro, als Staubkarteiführer, in der Wohnungsverwaltung, in der Arbeiterannahme, in der Stabsstelle, im Büro des Sicherheitsdienstes, im Büro des Arbeitsschutzes oder in der Steigerstube verweisen lassen. Wenn der Kläger auch nicht alle diesen Gehaltsgruppen zugeordneten Arbeiten ausführen könne, weil ihm insbesondere bei Bürotätigkeiten der Gruppe 43 mangels einer abgeschlossenen kaufmännischen Lehre die erforderlichen Kenntnisse fehlten, so verbleibe gleichwohl ein hinreichend großes Verweisungsfeld, auf dem er ohne Einarbeitungszeit von mehr als drei Monaten die während seiner Untertagetätigkeit erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten verwerten könne. Die bezeichneten Tätigkeiten im Fehlschichtenbüro, als Staubkarteiführer usw, würden in der tariflichen Praxis dem ihnen beigemessenen Stellenwert in der Gehaltsgruppe 43 aufwärts (kaufmännische Angestellte) bzw Gehaltsgruppe 13 (technische Angestellte über Tage) eingestuft und auch von ehemaligen Aufsichtspersonen verrichtet.

Der Kläger hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt. Er rügt eine Verletzung des § 128 Sozialgerichtsgesetz (SGG), der §§ 46 Reichsknappschaftsgesetz (RKG) und 1246 Reichsversicherungsordnung (RVO) durch das Berufungsgericht.

Der Kläger beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG Duisburg vom 19. März 1980 zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs 2 SGG) einverstanden erklärt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist iS der Zurückverweisung begründet. Die vom LSG festgestellten Tatsachen reichen zu einer abschließenden Entscheidung nicht aus.

Der Kläger hat nach § 46 RKG dann Anspruch auf Berufsunfähigkeitsrente, wenn er seinen bisherigen Beruf oder einen Beruf nicht mehr ausüben kann, der ihm nach seiner bisherigen beruflichen Stellung zumutbar ist. Ob das der Fall ist, läßt sich auf Grund der tatsächlichen Feststellungen des LSG nicht abschließend beurteilen. Wie das Bundessozialgericht (BSG) entschieden hat (SozR 2200 § 1246 Nr 107), hat die Rechtsprechung auch hinsichtlich der Angestellten die Hierarchie der Berufe zu beachten, die sich in einer qualitativen Stufung ausdrückt. Bei den Versicherten, deren bisheriger Beruf eine tarifvertraglich erfaßte Angestelltentätigkeit mit einem Bruttoarbeitsentgelt innerhalb der Beitragsbemessungsgrenze ist, hat es Berufsgruppen unterschieden, die jeweils durch Leitberufe gekennzeichnet sind. Angestellte mit Einkünften oberhalb der Beitragsbemessungsgrenze sind als eine einheitliche Gruppe anzusehen. Der Umstand, daß der Gesetzgeber hinsichtlich der Beitragshöhe bei solchen Berufen, deren Arbeitsentgelte die Beitragsbemessungsgrenze überschreiten, nicht weiter differenziert, rechtfertigt es, bei der Prüfung der verbliebenen Erwerbsfähigkeit nicht näher zu differenzieren und diese Tätigkeiten einer gemeinsamen Gruppe zuzuordnen (BSGE 48, 202 = SozR 2600 § 46 Nr 3). Im übrigen hat es das BSG als eine Aufgabe der Tatsachengerichte angesehen, zu ermitteln, ob sich in der Wirklichkeit des Arbeitslebens weitere Stufungen auffinden lassen, insbesondere für höher qualifizierte Berufsgruppen. Geeignete Mittel der Sachaufklärung sind unter anderem die Einholung von Auskünften der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerorganisationen. Grundsätzlich ist auch ein Angestellter auf die Gruppe unter seiner bisherigen verweisbar.

Der für die Verweisbarkeit iS des § 46 Abs 2 Satz 2 RKG maßgebende bisherige Beruf des Klägers ist - wie das LSG zutreffend festgestellt hat - derjenige des Abteilungssteigers, eine Angestelltentätigkeit unter Tage in der Lohngruppe 03. Nach der Anlage zum Manteltarifvertrag für Angestellte des Rheinisch-Westfälischen Steinkohlenbergbaus in der bis zum 30. September 1981 geltenden Fassung, in die der Kläger nach der Feststellung des LSG eingestuft war, sind die Angestellten unter Tage (01 bis 04) dadurch gekennzeichnet, daß sie aufsichtsführende Tätigkeiten ausüben. Die Angestellten der Gruppe 03 führen selbst ein Revier oder vertreten einen Angestellten der Gruppe 04 oder stehen qualitativ den Führungskräften der Gruppe 3 gleich. Die Angestellten der Gruppe 4 führen ein größeres Abbau-, Aus- und Vorrichtungs-, Maschinen- oder Elektrorevier. Die Gruppe der Angestellten unter Tage kennt damit keine ganz einfachen Tätigkeiten. Die besondere Berufserfahrung des Klägers wird auch aus seinem Werdegang deutlich. Denn nach den Feststellungen des LSG war der Kläger von 1952 bis 1976, also vierundzwanzig Jahre lang, im Bergbau tätig, und übernahm dabei ständig aufsteigend höherwertigere Aufgaben.

Das LSG hat zwar im Einklang mit der zur Veröffentlichung bestimmten Entscheidung des erkennenden Senats vom 31. Januar 1984 (Az.: 5a RKn 25/82) ausgeführt, daß einem Abteilungssteiger der Gruppe 03 Arbeiten der Gruppe 13 der technischen Angestellten zugemutet werden können (Anlage A zum Manteltarifvertrag für die Angestellten des Rheinisch-Westfälischen Steinkohlenbergbaus, gültig ab 1. September 1973). Das LSG hat aber unsubstantiiert festgestellt, daß der Kläger nicht alle hierzu gehörigen Arbeiten ausführen könne. Dazu fehlten ihm teilweise die erforderlichen Kenntnisse. Es ist damit nicht klar, welche Tätigkeiten welcher Qualitätsstufe der Kläger verrichten kann und ob es Arbeitsstellen gibt, auf denen er gerade noch das tun kann, wozu er weiterhin fähig ist. Die Verweisbarkeit eines nur noch in Teilbereichen eines Berufs vollschichtig einsatzfähigen Versicherten setzt die konkrete Feststellung voraus, daß Arbeitsstellen mit der Beschränkung gerade auf diese Teilbereiche nicht nur in einer praktischen nicht ins Gewicht fallenden Zahl vorhanden sind (BSG SozR 2200 § 1246 Nr 82). Diese Feststellungen wird das LSG nachzuholen haben.

Das gleiche gilt, soweit das LSG den Kläger auf Tätigkeiten "in" der Arbeiterannahme, der Stabsstelle, der Steigergrube, "im" Büro des Sicherheitsdienstes, des Arbeitsschutzes oder "im" Fehlschichtenbüro verweisen möchte. Auch insoweit ist nicht klar, um welche Tätigkeiten welcher Qualitätsstufe es sich dabei handeln soll. Eine konkrete Benennung der Verweisungstätigkeit ist aber erforderlich, um überhaupt die Prüfung zu ermöglichen, ob der Kläger die angesonnenen Arbeiten noch ausführen kann, ob sie ihm zumutbar sind und ob ihm hinsichtlich dieser Tätigkeiten der Arbeitsmarkt nicht verschlossen ist (BSG SozR 2200 § 1246 Nr 104). Konkret bezeichnet hat das LSG lediglich die Tätigkeit des Staubkarteiführers. Sie könne der Kläger noch ausüben. Soweit diese Tätigkeit sowie die vorstehenden, unsubstantiierten Tätigkeiten der Lohngruppe 43 der kaufmännischen Angestellten zuzuordnen sind, kann indes der Kläger auf sie unter Berücksichtigung seines bisherigen Berufs als Abteilungssteiger nicht zumutbar verwiesen werden. Dies hat der erkennende Senat bereits mit Urteil vom 31. Januar 1984 aaO in einem vergleichbaren Fall unter teilweiser Aufgabe seiner im Urteil vom 14. März 1968 (SozR Nr 22 zu § 46 RKG) vertretenen Auffassung entschieden. Auf die nähere Begründung in der zur Veröffentlichung bestimmten Entscheidung vom 31. Januar 1984 wird insoweit Bezug genommen.

Soweit das LSG den Kläger auf kaufmännische Tätigkeiten verweisen möchte, die oberhalb der Gruppe 43 liegen, wird es diese konkret bezeichnen und damit die Prüfung ermöglichen müssen, ob er sie ausüben kann und ob für ihn insoweit ein offener Arbeitsmarkt vorhanden ist (vgl hierzu eingehend das ebenfalls zur Veröffentlichung bestimmte Urteil des erkennenden Senats vom 30. November 1983 - 5a RKn 28/82).

Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden haben.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1661259

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