Verfahrensgang

LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 04.10.1963)

 

Tenor

Die Revision der Kläger gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 4. Oktober 1963 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Die Kläger, Inhaber eines Bauunternehmens, zahlten in den Jahren 1955 bis 1957 ihren Arbeitnehmern etwa drei bis vier Tage nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses, ausnahmsweise auch zusammen mit dem letzten Arbeitslohn, Entschädigung für nicht gewährten Urlaub. Pur diese Beträge führten sie keine Beiträge zur Sozial- und Arbeitslosenversicherung ab. Nach einer Betriebsprüfung forderte die beklagte Krankenkasse mit Bescheid vom 18. Februar 1958 für insgesamt 138 Arbeitnehmer die Beiträge in Höhe von 5.320,94 DM; dabei legte sie der Berechnung allein die jeweils gezahlten Urlaubsentschädigungen zugrunde. Der Widerspruch der Kläger wurde am 17. April 1958 zurückgewiesen. In ihrer Klage gegen diesen Bescheid haben die Kläger vorgetragen. Urlaubsabgeltungen, die erst nach Beendigung des Beschäftigungsverhäitnisses ausgezahlt würden, seien grundsätzlich nicht beitragspflichtig, weil § 160 Abs. 3 der Reichsversicherungsordnung (RVO) das Bestehen eines Beschäftigungsverhältnisses voraussetze.

Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen.

Das Landessozialgericht (LSG) hat nach Beiladung der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (BfArb) und der Landesversicherungsanstalt (LVA) Württemberg das Urteil des SG geändert und den Bescheid der Beklagten insoweit aufgehoben, als die darin enthaltene Beitragsnachforderung den Betrag übersteigt, der sich ergibt, wenn der Beitrag unter Berücksichtigung der Bemessungsgrenzen für jeden aufgeführten Arbeitnehmer nach dem Grundlohn bemessen wird, den er in der letzten Beitragsperiode vor Beendigung seines Beschäftigungsverhältnisses einschließlich der ihm danach gewährten Urlaubsabgeltungen hatte; die jeweils für die letzte Beitragsperiode bereits abgeführten Beiträge sind hierbei anzurechnen. Zur Begründung hat das LSG ausgeführt: Die den Arbeitnehmern gewährte Urlaubsabgeltung sei auch dann grundsätzlich beitragspflichtiges Entgelt, wenn sie erst nach Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses ausgezahlt würde. Nach dem Gemeinsamen Erlaß des Reichsfinanzministers und des Reichsarbeitsministers vom 10. September 1944 (AN 1944, 281) seien die Beiträge zur Sozialversicherung grundsätzlich von den Bezügen zu berechnen, die für die Berechnung der Lohnsteuer maßgebend seien. Die Zuwendungen, die die Kläger gezahlt hätten, stellten für die Arbeitnehmer eine Entschädigung für den nicht genommenen Urlaub und damit Entgelt dar, auch wenn im Tarif recht eine solche Zuwendung nicht vorgesehen sei. Weder der Rahmentarifvertrag für das Baugewerbe vom 17. April 1950 noch der Bundesrahmentarifvertrag für das Baugewerbe vom 6. Juli 1956 verbiete grundsätzlich die Zahlung von Entschädigungen für nicht gewährten Urlaub, sie würden nur ein anderes Verfahren vorsehen, nämlich die Urlaubsmarkenregelung. Wenn die Kläger diesen Vorschriften nicht gefolgt seien, so hätten sie nur tarifwidrig gehandelt, die Zahlung der Entschädigung sei aber nicht nichtig.

§ 160 Abs. 3 RVO, wonach für die Berechnung der Beiträge einmalige Zuwendungen, soweit sie als Entgelt anzusehen seien, nur in dem Zeitabschnitt zu berücksichtigen sind, in dem sie gewährt wurden, sei durch den Gemeinsamen Erlaß nicht gegenstandslos geworden. Die Urlaubsabgeltung müsse im Sinne dieser Regelung der letzten Beitragsperiode des Beschäftigungsverhältnisses zugerechnet werden; entsprechend müßten auch die Beiträge erhoben worden. Revision ist zugelassen worden.

Die Kläger haben gegen das Urteil Revision eingelegt. Sie rügen fehlerhafte Anwendung des § 160 Abs. 3 RVO sowie eine prozeßordnungswidrige, lückenhafte und gegen allgemeine Auslegungs- und Ergänzungsregeln verstoßende Ermittlung des in dem anzuwendenden Rechtssatzes vorausgesetzten Tatsachenstoffes. Das LSG habe sich mit seiner Entscheidung in Widerspruch gesetzt zu dem Erlaß des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung (BMA), nach welchem der § 160 Abs. 3 RVO das Bestehen eines Beschäftigungsverhältnisses voraussetze, und zu den Stellungnahmen der Spitzenverbände der Krankenkassen. Bei der Beurteilung der Frage, ob die Urlaubsabgeltung während oder nach Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses gezahlt worden sei, komme es allein darauf an, ob der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber im Zeitpunkt der Zahlung der Urlaubsabgeltung tatsächlich noch zur Verfügung gestanden habe. Das LSG habe sich auch in rechtsirriger Weise mit der im Baugewerbe gültigen tariflichen Urlaubsregelung auseinandergesetzt. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) habe mit Urteil vom 20. Dezember 1958 (AP Nr. 2 zu § 611 BGB) zum Ausdruck gebracht, daß Entschädigungen für nicht gewährten Urlaub, die in tarifwidriger Weise gezahlt würden, nichtig seien und den Urlaubsanspruch weiter bestehen ließen. Das LSG habe auch mit seinen Billigkeitserwägungen gegen die gesetzlichen Auslegungsvorschriften verstoßen.

Die Kläger beantragen,

die Urteile des SG Ulm vom 13. Mai 1959 und des LSG Baden-Württemberg vom 4. Oktober 1963 sowie den Bescheid der Beklagten vom 18. Februar 1958 aufzuheben.

Die Beklagte und die beigeladene LVA beantragen,

die Revision zurückzuweisen.

Die beigeladene BfArb hat keinen Antrag gestellt.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision konnte keinen Erfolg haben.

Wie der Senat in seinem Urteil vom gleichen Tage – 3 RK 44/64 –, das sich mit der Beitragspflicht von Urlaubsabgeltungen befaßt, die am letzten Tage des Beschäftigungsverhältnisses gezahlt wurden, näher ausgeführt hat, sind derartige Abgeltungen beitragspflichtiges Entgelt. Nach dem noch gültigen Gemeinsamen Erlaß des Reichsministers der Finanzen und des Reichsarbeitsministers vom 10. September 1944 (AN 1944, 281) sind die Beiträge zur Sozialversicherung grundsätzlich von dem Betrag zu berechnen, der für die Berechnung der Lohnsteuer maßgebend ist. Nach dem Lohnsteuerrecht sind aber Urlaubsabgeltungen ohne Rücksicht auf den Zeitpunkt ihrer Auszahlung lohnsteuerpflichtig. Damit unterliegen sie auch der Beitragspflicht. Eine der in dem genannten Erlaß geregelten Ausnahmen liegt nicht vor, insbesondere kommt Abschn. 1 Nr. 5 aaO nicht zur Anwendung.

Der Umstand, daß im vorliegenden Falle im Gegensatz zu der Sache 3 RK 44/64 die Urlaubsabgeltungen zum Teil erst nach dem Ausscheiden aus dem Beschäftigungsverhältnis gezahlt wurden, ändert an dieser Beurteilung nichts. Auch diese Bezüge sind Entgelt aus dem Beschäftigungsverhältnis. Der Ansicht, daß nur die während oder allenfalls bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses, nicht jedoch die erst später gezahlte Urlaubsabgeltung beitragspflichtiges Entgelt sei (BMA vom 8. Juli 1959, ABl. des Bayerischen Staatsministers für Arbeit und soziale Fürsorge, 1959 S. 182 A; vom 24. Juni 1959, Sozberater 1959, 75; vom 15. Mai 1961, Beitrüge 1961, 297; BfArb vom 6. Mai 1959, Beiträge 1959, 218), kann sich der Senat nicht anschließen. Für die Entgeltseigenschaft von Bezügen eines Versicherten ist, wie bereits dargelegt, allein maßgebend, ob sie lohnsteuerpflichtig sind. Nach Lohnsteuerrecht unterliegen Urlaubsabgeltungen jedoch ohne Rücksicht darauf, ob das Beschäftigungsverhältnis beendet oder nicht beendet ist und ob die Urlaubsabgeltungen bei seiner Beendigung oder erst später ausgezahlt werden, der Lohnsteuerpflicht (vgl. BSG v. 26. Januar 1967 – 3 RK 44/64). Es darf daher auch für die Frage der Beitragspflicht keinen Unterschied machen, ob die Urlaubsabgeltungen noch am letzten Tage des Beschäftigungsverhältnisses oder erst einige Zeit nachher entrichtet worden sind. In beiden Fällen handelt es sich um eine Entschädigung, die für nicht gewährten Urlaub gezahlt worden ist. Eine verschiedene Behandlung der Urlaubsabgeltungen je nachdem, ob sie vor, bei oder nach Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses ausgezahlt werden, wäre somit auch nach der Natur der Sache nicht gerechtfertigt. Anderenfalls hätten es überdies die Beteiligten in der Hand 9 durch entsprechende Wahl des Auszahlungstages die Beitragspflicht zu manipulieren.

Der Umstand, daß diese Abgeltungen nicht im Einklang mit den für das Baugewerbe geltenden Tarifverträgen gezahlt wurden, ändert an diesem Ergebnis nichts. Wie der einer werdenden oder stillenden Mutter für verbotswidrig geleistete Mehrarbeit gezahlte Lohn Teil des Arbeitsentgelts und bei der Beitragsberechnung zu berücksichtigen ist (BSG 13, 23, 26), genügt es auch für die Entgeltseigenschaft einer tarifvertragswidrig gezahlten Urlaubsabgeltung, daß sie dem Arbeitnehmer im Hinblick auf das Beschäftigungsverhältnis zugeflossen ist. Allenfalls könnten dann Bedenken bestehen wenn tarifvertragswidrig gezahlte Urlaubsabgeltungen vom Arbeitnehmer zurückgezahlt werden müßten. Mit Recht hat jedoch das Bundesarbeitsgericht in zwei Urteilen (vom 20. Dezember 1958 und 7. Dezember 1956 – AP § 611 BGB, Urlaubskarten Nr. 2 und 3) ausgesprochen, ein Arbeitgeber könne von seinen Arbeitnehmern mit Rücksicht auf § 817 Satz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) nicht den Geldbetrag wegen ungerechtfertigter Bereicherung zurückfordern, den er bewußt tarifwidrig seinen Bauarbeitern als Urlaubsgeld bar ausgezahlt habe, statt die tariflich vorgesehene Leistung mittels Urlaubskarten zu gewähren. Demnach sind auch tarifvertragswidrig gezahlte Urlaubsabgeltungen beitragspflichtiges Entgelt.

Als „einmalige Zuwendungen” sind sie nach – auch jetzt noch gültiger (vgl. BSG v. 26. Januar 1967 – 3 RK 44/64 –) – Vorschrift des § 160 Abs. 3 RVO nur in dem Zeitabschnitt zu berücksichtigen, in dem sie gewährt werden. Der Zweck dieser Regelung geht allein dahin sicherzustellen, daß „einmalige Zuwendungen” nur einmal in einem bestimmten Zeitabschnitt berücksichtigt und nicht auf mehrere Zeitabschnitte aufgeteilt worden. Diese Zielsetzung verbietet nicht, verspätet gezahlte Urlaubsabgeltungen der letzten in Frage kommenden Beitragsberechnungsperiode des Beschäftigungsverhältnisses zuzurechnen.

Fällt demnach eine verspätete Zahlung der Urlaubsabgeltung in Zeiträume, in denen kein laufender Arbeitslohn mehr zugeflossen ist, so sind sie in dem letzten Lohnzahlungsabschnitt zu berücksichtigen, in dem noch laufender Arbeitslohn angefallen ist. Das Urteil des LSG ist auch insoweit zu billigen.

Die Revision der Kläger muß daher zurückgewiesen werden.

Die Kostenentscheidung ergeht nach § 193 SGG.

 

Unterschriften

Dr. Langkeit, Spielmeyer, Dr. Krebs

 

Fundstellen

Dokument-Index HI927521

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