Entscheidungsstichwort (Thema)

Säumniszuschläge im Konkurs. Geltendmachung einer Konkursforderung außerhalb des Konkursverfahrens

 

Orientierungssatz

1. Säumniszuschläge sind, obwohl erst für eine Zeit nach Eröffnung des Konkursverfahrens erhoben, den seit Eröffnung des Verfahrens laufenden Zinsen iS des § 63 Nr 1 KO nicht gleichzuachten. Für diese Auffassung spricht schon der Umstand, daß die Säumniszuschläge nicht in dieser Vorschrift, sondern in § 61 KO geregelt sind. Hinzu kommt, daß sie sich in mehrfacher Hinsicht von Zinsen, insbesondere von Verzugszinsen iS des § 288 BGB, unterscheiden. So entsteht der Anspruch auf Säumniszuschläge - anders als der auf Verzugszinsen - nicht kraft Gesetzes, sondern erst dadurch, daß die Beitragseinzugsstelle Säumniszuschläge "erhebt", davon aber auch nach ihrem Ermessen absehen "kann". Schon aus diesem Grunde kann, anders als bei Zinsen, nicht von "aufgelaufenen" Säumniszuschlägen gesprochen werden. Ferner setzt die Erhebung von Säumniszuschlägen - anders als die von Verzugszinsen - kein Verschulden des Säumigen voraus, sondern lediglich die Fälligkeit der Beitragsforderung.

2. Säumniszuschläge unterscheiden sich nach Zweck und Funktion von Zinsen, insbesondere von Verzugszinsen. Während diese dem Gläubiger wegen der ihm vom Schuldner vorenthaltenen Kapitalnutzung einen "Mindestschaden" ersetzen sollen, haben Säumniszuschläge zunächst den Zweck, "der Säumnis bei Erfüllung von Beitragspflichten entgegenzuwirken" (vgl BSG vom 1.12.1972 12/3 RK 36/71 = BSGE 35, 78, 81), sind also vor allem ein Druckmittel zur Sicherstellung eines geordneten Verwaltungsablaufs der Versicherungsträger und der von ihnen benötigten Finanzmittel.

3. Säumniszuschläge auf Beitragsrückstände aus einer Zeit, die länger als sechs Monate vor der Konkurseröffnung liegt, gehören somit ohne Rücksicht darauf, ob sie für eine Zeit vor oder nach Konkurseröffnung erhoben werden, zu den Konkursforderungen und sind deshalb grundsätzlich im Rahmen des Konkurses geltend zu machen, dh zur Konkurstabelle anzumelden.

4. Zwar können Konkursgläubiger ihre Forderungen auf Sicherstellung oder Befriedigung aus der Konkursmasse nur nach Maßgabe der Vorschriften für das Konkursverfahren verfolgen (§ 12 KO). Das bedeutet indes nicht, daß ihnen nur diese Möglichkeit offensteht. Ein Konkursgläubiger, der auf Befriedigung aus der Konkursmasse verzichtet, kann seine Forderung ungehindert durch das Konkursverfahren gegen den Gemeinschuldner selbst einklagen, denn er verlangt nicht, wie § 12 KO voraussetzt, "Befriedigung aus der Konkursmasse".

5. Die Entscheidung über die Erhebung von Säumniszuschlägen ist dem pflichtgemäßen Ermessen des Versicherungsträgers überlassen. Für die pflichtgemäße Ausübung des Ermessens sind ua die persönlichen Verhältnisse des Zahlungspflichtigen sowie die Umstände zu berücksichtigen, die zur Säumnis geführt haben. Bei Säumniszuschlägen, die nach einer Konkurseröffnung festgesetzt werden, darf vor allem nicht außer Betracht bleiben, daß der Beitragsschuldner die durch das Konkursverfahren verursachte weitere Verzögerung der Zahlung kaum mehr beeinflussen kann und deshalb einer der Zwecke des Säumniszuschlages, zur pünktlichen Beitragszahlung anzuhalten, entfällt.

6. Weder direkt noch analog können die §§ 62 Nr 3 und 63 Nr 1 KO auf die Säumniszuschläge gemäß § 24 SGB 4 angewandt werden.

 

Normenkette

KO § 61 Abs 1 Nr 1 Buchst e, § 63 Nr 1; SGB 4 § 24; BGB § 288; KO § 12

 

Verfahrensgang

LSG Berlin (Entscheidung vom 13.03.1985; Aktenzeichen L 9 Kr 60/83)

SG Berlin (Entscheidung vom 23.06.1983; Aktenzeichen S 75 Kr 360/80)

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte Säumniszuschläge auf Beitragsrückstände, die einen Zeitraum vor Konkurseröffnung betreffen, gegen den Kläger als Gemeinschuldner außerhalb des Konkursverfahrens geltend machen kann.

Der Kläger war Komplementär der C. K.-F.  und Co KG. Über deren Vermögen wurde am 1. November 1978 das Konkursverfahren eröffnet. Der Beigeladene, Rechtsanwalt L., wurde zum Konkursverwalter bestellt. Das am 11. Dezember 1978 auch über das Vermögen des Klägers eröffnete Konkursverfahren, zu dessen Verwalter ebenfalls der Beigeladene bestellt war, wurde am 27. Januar 1982 aufgehoben.

Für die Beschäftigten der KG waren seit 1975 die Sozialversicherungsbeiträge verspätet entrichtet worden. Bei Konkurseröffnung war für die Zeit von Februar 1978 an ein Rückstand von 47.462,02 DM bekannt. Eine Betriebsprüfung ergab für die Zeit zwischen Mai und Oktober 1978 einen weiteren Rückstand von 61.486,02 DM, der gegenüber dem Konkursverwalter mit Bescheid vom 24. Januar 1979 geltend gemacht wurde. Auf die Beitragsrückstände von insgesamt 108.948,04 DM wurden am 7. Mai 1979 vom Konkursverwalter 2.264,92 DM und am 9. August 1979 von der Bundesanstalt für Arbeit (BA) gemäß § 141n des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) 93.160,80 DM gezahlt, so daß ein Beitragsrückstand von 13.522,32 DM verblieb.

Mit Haftungsbescheid vom 8. April 1980 forderte die Beklagte von dem Kläger als persönlich haftendem Gesellschafter der KG "nach Konkurseröffnung entstandene" Säumniszuschläge gemäß § 24 Abs 2 des Sozialgesetzbuches - Viertes Buch - (SGB 4) in Höhe von 8.020,60 DM. Der Widerspruch des Klägers blieb erfolglos. Im Widerspruchsbescheid vom 24. Juni 1980 schlüsselte die Beklagte den geforderten Betrag nach Erhebungszeitpunkten (4. Januar bis 4. Dezember 1979) und jeweils zugrunde liegendem Beitragsrückstand im einzelnen auf. Die Klage blieb ebenfalls erfolglos (Urteil des Sozialgerichts -SG- Berlin vom 23. Juni 1983).

Auf die Berufung des Klägers hat das Landessozialgericht (LSG) Berlin das Urteil des SG sowie den Bescheid der Beklagten vom 8. April 1980 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Juni 1980 aufgehoben (Urteil vom 13. März 1985). Zur Begründung hat das LSG im wesentlichen ausgeführt, die Säumniszuschläge für die den Zeitraum vom 1. Februar 1978 bis 31. Oktober 1978 betreffenden Beitragsrückstände hätten nicht außerhalb des Konkursverfahrens gegen den Kläger als Gemeinschuldner geltend gemacht werden können. Sie seien vielmehr wie die Beitragsrückstände selbst als Masseschulden bzw Konkursforderungen zum Konkurs anzumelden gewesen. Säumniszuschläge nach § 24 Abs 2 SGB 4 teilten das Schicksal der Hauptforderung. Die Vorschriften der §§ 59 Abs 1 Nr 3 Buchst e und 61 Abs 1 Nr 1 Buchst e der Konkursordnung (KO) bänden die Säumniszuschläge an den Beitragsrückstand, sähen sie also selbst als Teil der Konkursforderung bzw Masseschuld. Aufgrund des gesetzgeberischen Entschlusses, die Verzugszinsen fallen zu lassen, statt dessen den Säumniszuschlag zur Verfügung zu stellen und diesen fest an die Beitragsforderung anzubinden, sei bei der Änderung der KO durch das SGB 4 folgerichtig die Vorschrift des § 63 Nr 1 KO unverändert geblieben. Das Einfügen des Wortes "Säumniszuschläge" hätte die durch die §§ 59 Abs 1 Nr 3 Buchst e und 61 Abs 1 Nr 1 Buchst e KO gewollte Aufwertung dieser Nebenforderungen im Konkurs zunichte gemacht. Die Inanspruchnahme des Klägers gehe von der falschen Annahme der Beklagten aus, Säumniszuschläge für den Berechnungszeitraum von Januar bis Dezember 1979 könnten nach § 63 Nr 1 KO im Konkursverfahren nicht geltend gemacht werden. Die Entscheidung der Beklagten beruhe deshalb nicht auf sachlichen Erwägungen. Das mache sie ermessensfehlerhaft mit der Folge, daß sie aufzuheben sei.

Mit der vom Senat durch Beschluß vom 6. März 1986 - auf die die Beitragsrückstände für den Zeitraum vom 1. Februar 1978 bis 30. April 1978 betreffenden Säumniszuschläge beschränkt - zugelassenen Revision rügt die Beklagte die Verletzung des § 24 Abs 2 SGB 4 sowie der §§ 59 Abs 1 Nr 3 Buchst e, 61 Abs 1 Nr 1 Buchst e und § 63 Nr 1 KO. Sie vertritt die Auffassung, bei zutreffender Auslegung des Begriffes "Säumniszuschläge" müßten diese den Verzugszinsen des § 63 Nr 1 KO gleichgestellt werden. Die Verzugszinsenregelung sei durch § 24 Abs 2 SGB 4 lediglich zur Verwaltungsvereinfachung ersetzt worden, um Schwierigkeiten zu vermeiden, die sich infolge schwankender Diskontsätze bei der Zinsberechnung ergeben hatten. Sachlich bestünden jedoch keine Unterschiede zwischen altem und neuem Rechtsinstitut. Die Anwendbarkeit des § 63 Nr 1 KO auf Säumniszuschläge sei auch unter systematischen Gesichtspunkten gerechtfertigt. Es sei zwar richtig, daß die §§ 59 Abs 1 Nr 3 Buchst e und 61 Abs 1 Nr 1 Buchst e KO grundsätzlich eine Ranggleichheit zwischen Haupt- und Nebenforderung vorsehen, und daß § 63 Nr 1 KO diesen Vorschriften nicht durch Aufnahme des Begriffes "Säumniszuschläge" sprachlich angeglichen worden sei. Eine sachliche Änderung in der Behandlung von nach Konkurseröffnung fällig werdenden Säumniszuschlägen von Konkursforderungen sei vom Gesetzgeber damit aber nicht bezweckt worden. Der nur Konkursforderungen betreffende § 63 Nr 1 KO greife zwar bei Masseforderungen nicht ein, so daß gemäß § 59 Abs 1 Nr 3 KO auch die nach Konkurseröffnung anfallenden Säumniszuschläge im Konkursverfahren geltend zu machen seien. Das sei jedoch nur die Folge einer Systemwidrigkeit (Einbeziehung vom Gemeinschuldner begründeter Verbindlichkeiten in den Katalog des § 59 Abs 1 KO) und rechtfertige keine Übertragung auf die Regelung von Konkursforderungen aus systematischen Erwägungen. Die Auffassung des LSG, die Säumniszuschläge von Beitragsforderungen, die lediglich Konkursforderungen darstellen, hätten im Konkursverfahren angemeldet werden können und müssen, sei somit unzutreffend. Der Geltendmachung gegen den Kläger persönlich außerhalb des Konkursverfahrens habe demnach nichts im Wege gestanden. Das ihr eingeräumte Ermessen habe die Beklagte in zutreffender Weise ausgeübt.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG zurückzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision zu "verwerfen".

Der Beigeladene hat keinen Antrag gestellt. Er bezieht sich auf die Revisionsbegründung der Beklagten und weist darauf hin, daß das Konkursverfahren bereits am 27. Januar 1982 aufgehoben wurde.

Alle Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist unbegründet. Das LSG hat im Ergebnis zutreffend den Bescheid der Beklagten vom 8. April 1980 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Juni 1980 aufgehoben.

Die im Revisionsverfahren noch streitigen Säumniszuschläge für die den Zeitraum vom 1. Februar 1978 bis 30. April 1978 betreffenden Beitragsrückstände hätte die Beklagte als Konkursforderungen gemäß § 61 Abs 1 Nr 1 Buchst e KO geltend machen können. Entgegen ihrer Auffassung sind sie, obwohl erst für eine Zeit nach Eröffnung des Konkursverfahrens erhoben, den seit Eröffnung des Verfahrens laufenden Zinsen iS des § 63 Nr 1 KO nicht gleichzuachten. Für diese Auffassung spricht schon der Umstand, daß die Säumniszuschläge nicht in dieser Vorschrift, sondern in § 61 KO geregelt sind. Hinzu kommt, daß sie sich in mehrfacher Hinsicht von Zinsen, insbesondere von Verzugszinsen iS des § 288 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB), unterscheiden. So entsteht der Anspruch auf Säumniszuschläge - anders als der auf Verzugszinsen - nicht kraft Gesetzes, sondern erst dadurch, daß die Beitragseinzugsstelle Säumniszuschläge "erhebt", davon aber auch nach ihrem Ermessen absehen "kann". Schon aus diesem Grunde kann, anders als bei Zinsen, nicht von "aufgelaufenen" Säumniszuschlägen gesprochen werden. Ferner setzt die Erhebung von Säumniszuschlägen - anders als die von Verzugszinsen - kein Verschulden des Säumigen voraus, sondern lediglich die Fälligkeit der Beitragsforderung. Säumniszuschläge können auch nicht alsbald nach Eintritt der Fälligkeit erhoben werden, sondern nach § 24 Abs 1 SGB 4 erst nach Ablauf einer Woche, in den Fällen des § 24 Abs 2 SGB 4 sogar erst nach Ablauf von drei Monaten, im letzteren Fall dann allerdings bereits für jeden angefangenen Monat. Dagegen sind Verzugszinsen für die Zeit vom Eintritt des Verzugs bis zu dessen Beendigung zu entrichten. Schließlich unterscheiden sich Säumniszuschläge auch nach Zweck und Funktion von Zinsen, insbesondere von Verzugszinsen. Während diese dem Gläubiger wegen der ihm vom Schuldner vorenthaltenen Kapitalnutzung einen "Mindestschaden" ersetzen sollen (vgl Palandt, BGB, 46. Aufl, § 288 Anm 1), haben Säumniszuschläge zunächst den Zweck, "der Säumnis bei Erfüllung von Beitragspflichten entgegenzuwirken" (BSGE 35, 78, 81), sind also vor allem ein Druckmittel zur Sicherstellung eines geordneten Verwaltungsablaufs der Versicherungsträger und der von ihnen benötigten Finanzmittel. Dieser Zweck wird besonders deutlich bei den Säumniszuschlägen nach § 24 Abs 1 SBG 4, die schon ihrer Höhe nach (bis zu 2 vH der rückständigen Beiträge) und auch weil nur eine geringe Überschreitung der Zahlungsfrist (eine Woche) vorzuliegen braucht, kaum dazu bestimmt sein können, einen etwaigen durch den Zahlungsverzug verursachten "Zinsverlust" des Versicherungsträgers auszugleichen.

Auch im Steuerrecht, dessen Säumniszuschläge (§ 240 Abgabenordnung 1977) für die nach § 24 Abs 2 SGB 4 erhobenen Vorbild geworden sind (vgl BT-Drucks 7/4122, S 34, zum damaligen § 25; Gemeinschaftskomm zum SGB 4, § 24 Rz 2) und der Höhe nach den Säumniszuschlägen nach § 24 Abs 2 SGB 4 im wesentlichen entsprechen (1 vH der Rückstände je Monat), wird der Zweck der Zuschläge nicht in der Erzielung von Einnahmen für den Fiskus gesehen, sondern in der "Abgeltung von Verwaltungsaufwendungen, die aufgrund nicht fristgerechter Zahlung fälliger Steuern entstehen" (Urteil des BFH vom 22. April 1983, BFHE 138, 169, 171). Ob das gleiche in dieser Zuspitzung auch für das Sozialversicherungsrecht gelten kann, mag fraglich sein, zumal hier die Säumniszuschläge - anders als im Steuerrecht - nicht derjenigen Stelle zufließen, die die Beiträge einzuziehen und deshalb den Verwaltungsaufwand zu tragen hat (Einzugsstelle), sondern nach herrschender Meinung den Gläubigern der jeweiligen Beitragsforderungen (vgl Gemeinschaftskomm aaO Rz 24 mwN, anders aber Hauck/Haines, Komm zu § 24 SGB 4, Rz 6). Auch wenn hiernach gewisse Unterschiede zwischen den Säumniszuschlägen des Steuerrechts und denen des Sozialversicherungsrechts bestehen mögen (die steuerlichen "sind" zu entrichten, ohne daß der Verwaltung ein Ermessensspielraum zusteht, und zwar für jeden angefangenen Monat der Säumnis), so kann gleichwohl für sie im Sozialversicherungsrecht nichts anderes als im Steuerrecht gelten, wo sie, soweit ersichtlich, nicht zu den Zinsen gerechnet werden (vgl BFHE aaO S 172 am Ende). Dafür spricht auch, daß der Gesetzgeber im Sozialversicherungsrecht bisher terminologisch stets zwischen Säumniszuschlägen und Zinsen unterschieden hat (vgl zB die unterschiedliche Verwendung beider Begriffe in §§ 397a, 1400 RVO idF von § 246 Abs 1 Nrn 2 und 3 des Gesetzes vom 25. Juni 1969, BGBl I 582, 627).

Sind Säumniszuschläge iS des § 24 SGB 4 hiernach nicht zu den Zinsen iS der §§ 62 und 63 KO zu rechnen, dann hat der Gesetzgeber sie, soweit sie für Beitragsrückstände erhoben werden, die bei Konkurseröffnung älter als sechs Monate und deshalb nicht mehr Masseschulden sind, systematisch richtig bei den Konkursforderungen in § 61 Abs 1 Nr 1 Buchst e KO geregelt. Dabei hat er - wie bei den Beitragsrückständen aus den letzten sechs Monaten vor Konkurseröffnung (§ 59 Abs 1 Nr 3 Buchst e KO) - nicht zwischen Säumniszuschlägen, die auf die Zeit vor der Konkurseröffnung entfallen, und solchen für die Zeit danach unterschieden. Säumniszuschläge auf Beitragsrückstände aus einer Zeit, die länger als sechs Monate vor der Konkurseröffnung liegt, gehören somit ohne Rücksicht darauf, ob sie für eine Zeit vor oder nach Konkurseröffnung erhoben werden, zu den Konkursforderungen und sind deshalb grundsätzlich im Rahmen des Konkurses geltend zu machen, dh zur Konkurstabelle anzumelden. Dies dient im übrigen auch der Verwaltungsvereinfachung, die der Gesetzgeber bei § 24 SGB 4 besonders im Auge gehabt hat (BT-Drucks aaO).

Handelte es sich mithin bei den streitigen Säumniszuschlägen um Konkursforderungen iS des § 61 Abs 1 Nr 1 Buchst e KO, so war die Beklagte dennoch berechtigt, von der Anmeldung zur Konkurstabelle abzusehen und sie - außerhalb des über das Vermögen der Gesellschaft und das Vermögen des Klägers als Gesellschafter eröffneten Konkursverfahrens - gegen den Kläger persönlich geltend zu machen. Zwar können Konkursgläubiger ihre Forderungen auf Sicherstellung oder Befriedigung aus der Konkursmasse nur nach Maßgabe der Vorschriften für das Konkursverfahren verfolgen (§ 12 KO). Das bedeutet indes nicht, daß ihnen nur diese Möglichkeit offensteht. Ein Konkursgläubiger, der auf Befriedigung aus der Konkursmasse verzichtet, kann seine Forderung ungehindert durch das Konkursverfahren gegen den Gemeinschuldner selbst einklagen, denn er verlangt nicht, wie § 12 KO voraussetzt, "Befriedigung aus der Konkursmasse" (Kuhn/Uhlenbruck, KO, 10. Aufl, § 12 Rdn 4 mwN). Gleiches gilt, wenn der Gläubiger seine Forderung gegen den Gemeinschuldner in Unkenntnis des laufenden Konkursverfahrens persönlich einklagt (OLG Frankfurt, ZIP 1980, 629), wenn also ein ausdrücklicher Verzicht auf Befriedigung aus der Konkursmasse aus der Sicht des Gläubigers nicht in Betracht kommt. Eines solchen Verzichts bedarf es auch dann nicht, wenn ein Gläubiger, wie die Beklagte im vorliegenden Fall, der Meinung ist, eine Forderung falle unter § 63 KO und könne deshalb im Konkursverfahren nicht geltend gemacht werden; denn der Verzicht auf ein Recht setzt naturgemäß das Wissen um dieses Recht voraus.

War sonach die Beklagte berechtigt, die den Beitragsrückstand vom 1. Februar 1978 bis 30. April 1978 betreffenden Säumniszuschläge außerhalb des Konkurses gegenüber dem Kläger persönlich geltend zu machen (ob sie dazu auch wegen des nachträglich aufgehobenen Konkursverfahrens gegen den Kläger berechtigt war, hat der Senat offen gelassen), so ist ihre Entscheidung vom LSG letztlich doch zu Recht aufgehoben worden, weil sie nicht den Erfordernissen entsprach, die an eine Ermessensentscheidung zu stellen sind.

Nach § 24 Abs 2 Halbsatz 1 SGB 4 "kann" der Versicherungsträger, der die Beiträge einzuziehen hat, für Beiträge, die länger als drei Monate fällig sind, für jeden angefangenen Monat einen Säumniszuschlag in Höhe von 1 vH der rückständigen Beiträge erheben. Die Entscheidung darüber ist dem pflichtgemäßen Ermessen des Versicherungsträgers überlassen. Für die pflichtgemäße Ausübung des Ermessens sind ua die persönlichen Verhältnisse des Zahlungspflichtigen sowie die Umstände zu berücksichtigen, die zur Säumnis geführt haben. Bei Säumniszuschlägen, die nach einer Konkurseröffnung festgesetzt werden, darf vor allem nicht außer Betracht bleiben, daß der Beitragsschuldner die durch das Konkursverfahren verursachte weitere Verzögerung der Zahlung kaum mehr beeinflussen kann und deshalb einer der Zwecke des Säumniszuschlages, zur pünktlichen Beitragszahlung anzuhalten (vgl Gemeinschaftskomm zum SGB 4, § 24 Rz 20), entfällt. Der Bescheid vom 8. April 1980 und der Widerspruchsbescheid vom 24. Juni 1980 lassen nicht erkennen, daß die Beklagte derartige Umstände berücksichtigt und gegeneinander abgewogen hat. Die formelhafte Wendung im Widerspruchsbescheid, die Beklagte habe als Einzugsstelle für die Gesamtsozialversicherungsbeiträge "nach pflichtgemäßem Ermessen unter Beachtung des Gebots der Gleichbehandlung ordnungsgemäß entschieden", stellt keine hinreichende Begründung für eine Ermessensentscheidung dar. Die Entscheidung ist deshalb rechtswidrig, weil es an der durch den Zweck der Ermächtigung vorgeschriebenen Abwägung und angemessenen Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles fehlt (vgl BSG SozR 1200 § 66 Nr 10 S 9; BSGE 56, 55, 61 = SozR 7910 § 59 Nr 15 S 21; BSG SozR 1300 § 45 Nr 19 S 65; Urteil des 11. Senats vom 24. Februar 1987 - 11b RAr 24/86 -).

Die Revision der Beklagten ist sonach zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

ZIP 1988, 984

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